Der Final der Fussball-Weltmeisterschaft in Russland hat für denkwürdige Momente gesorgt. Dazu gehört das Foto von Emmanuel Macron in Jubelpose nach dem 1:0 für Frankreich (eigentlich ein Eigentor des Kroaten Mario Mandzukic). Aufgenommen wurde es sinnigerweise vom gleichen Fotografen, der sonst Russlands Präsidenten Wladimir Putin ins beste Licht rückt.
Gestellt war die Aufnahme, die sich in Form von zahlreichen Memes im Internet verbreitete, keineswegs. Der französische Präsident ist ein grosser Fussballfan. Seit Kindertagen schwärmt der im nordfranzösischen Amiens aufgewachsene Macron für Olympique de Marseille (OM), den populärsten Fussballklub des Landes.
Ein Schlüsselerlebnis war der Sieg von OM 1993 im allerersten Final der heutigen Champions League. Captain war ein gewisser Didier Deschamps, der Frankreich nun als Nationalcoach zum zweiten Weltmeistertitel geführt hat. Der Erfolg gegen Kroatien im Endspiel von Moskau stürzte das Land in eine beispiellose Euphorie, die durch einzelne Ausschreitungen kaum getrübt wurde.
Höhepunkt war die Triumphfahrt der «Bleus» am Montagabend über die Champs-Elysées in Paris. Hunderttausende jubelten den Spielern mit dem WM-Pokal zu. Der Titelgewinn der Multikulti-Truppe mit ihrem beispielhaften Teamgeist wirkt wie eine kollektive Erlösung für eine Nation, die schwere Jahre hinter sich hat, geprägt durch wirtschaftliche Stagnation und islamistischen Terror.
Die Anschlagsserie vom 13. November 2015 in Paris hatte auch den Fussball im Visier. Einige Attentäter planten, sich im Stade de France während des Freundschaftsspiels zwischen Frankreich und Deutschland in die Luft zu sprengen. Die strengen Kontrollen verhinderten den terroristischen Super-Gau, die Islamisten zündeten ihre Sprengstoffgürtel im Umfeld des Stadions.
Die beiden Mannschaften mussten aus Sicherheitsgründen die Nacht im Stadion verbringen. Auch sportlich lieferte Frankreichs Nationalteam seit dem WM-Titel 1998 und der Europameisterschaft 2000 mehr negative als positive Schlagzeilen. Tiefpunkt war die «Meuterei» während der WM 2010 in Südafrika. Sie überschattete die Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy ähnlich wie der verlorene EM-Final 2016 gegen Portugal im Stade de France jene von François Hollande.
Die zehn Jahre unter den beiden glücklosen Staatschefs waren auch wirtschaftlich eine verlorene Dekade für Frankreich. Emmanuel Macron packte Reformen an und scheute nicht vor einer Konfrontation mit der kampflustigen Eisenbahnergewerkschaft zurück. Damit und mit angeblichen «Extravaganzen» enttäuschte er viele linke Wähler, die ihn als «Präsident der Reichen» kritisieren.
Macrons Popularität befand sich zuletzt im Sinkflug. Der Erfolg der Fussball-Nationalmannschaft könnte für eine Trendwende sorgen. Schon Präsident Jacques Chirac profitierte vom Titelgewinn 1998, seine Beliebtheitswerte stiegen um 14 Prozentpunkte. Meinungsforscher glauben, dass Macron ebenfalls profitieren wird, wenn auch kaum im gleichen Ausmass.
Auf jeden Fall kommt der Triumph von Moskau zum richtigen Zeitpunkt. Einmal mehr erweist sich der 40-Jährige als Glückspilz, wie bei der Präsidentschaftswahl 2017. Macron war damals als Aussenseiter gestartet und profitierte davon, dass alle ernsthaften Gegenkandidaten von ihrer Partei verschmäht wurden (Manuel Valls) oder sich selbst zerlegten (François Fillon), womit er als einzige valable Alternative zur rechtsradikalen Marine Le Pen verblieb.
Nun scheint Macron erneut gewillt, die Gunst der Stunde zu nutzen. Als er nach dem Moskauer Endspiel die Mannschaft in der Kabine aufsuchte, hatte er einen Kriegsveteranen an seiner Seite, der im Antiterror-Einsatz in Mali ein Bein und einen Arm verloren hatte. Zum Halbfinal gegen Belgien in St.Petersburg hatte er einen zwölfjährigen Jungen aus der Banlieue mitgebracht.
Innenpolitisch will er ebenfalls neue Akzente setzen. Noch im Juli will Macron die Chefs der 100 wichtigsten Unternehmen zu sich rufen, um von ihnen Engagement bei Ausbildung und Beschäftigung in Problemvierteln zu fordern. Und in seiner Grundsatzrede vor dem Parlament im Schloss von Versailles erklärte er, den «Sozialstaat des 21. Jahrhunderts» schaffen zu wollen.
Mit solchen Initiativen ist die Hoffnung verbunden, die Euphorie über den Weltmeistertitel möge die Zuversicht im Land längerfristig stärken. Denn noch spüren viele Franzosen kaum eine positive Auswirkung von Macrons Reformpolitik in ihrem Portemonnaie. Fast noch wichtiger sei der Erfolg für Frankreichs Image im Ausland, sagte Frédéric Dabi vom Meinungsforschungsinstitut Ifop der Agentur Reuters: «Er verstärkt Macrons Botschaft ‹France is back›.»
Das wäre nötig in einer Zeit, in der die liberalen Demokratien unter Druck stehen und es an starken Führungsfiguren mangelt. US-Präsident Donald Trump betrachtet die Europäer als Gegner und turtelt lieber mit Autokraten, Bundeskanzlerin Angela Merkel ist angeschlagen, Premierministerin Theresa May durch den Brexit absorbiert, und in Italien toben sich die (Rechts-)Populisten aus.
Bleibt eigentlich nur Emmanuel Macron. Er hat in letzter Zeit mehrfach darauf hingewiesen, dass die mit der «dunklen Bedrohung» des Nationalismus konfrontierten liberalen Demokratien auf Helden angewiesen seien, um ein positives Nationalgefühl zu erzeugen. «In den 23 Spielern und ihrem Trainer, die den Weltcup nach Hause brachten, hat der glücklichste Mann der französischen Politik seine Helden gefunden», meint The Economist nicht ohne Pathos.
Fussballer als Helden der liberalen Demokratie? Auf den ersten Blick eine eher absurde Idee. Und doch sind vielleicht gerade die Spieler mit ihrem multiethnischen Background, die teilweise aus benachteiligten Verhältnissen stammen (Jungstar Kylian Mbappé wuchs als Sohn einer Algerierin und eines Kameruners im Pariser Vorort Bondy auf, wo die Arbeitslosigkeit bis 40 Prozent beträgt) genau die Vorbilder, die Europa in einer Zeit grassierender Flüchtlings-Hysterie braucht.
Überschätzen darf man diesen Effekt aber nicht. Der populäre Komiker Jamel Debbouze (er ist marokkanischer Abstammung) witzelte am Sonntag auf dem Fernsehsender TF1 mit Verweis auf die als «Black blanc beur» gefeierten Weltmeister von 1998: «Sie brachten den Rassismus in Frankreich zum Verschwinden ... für 48 Stunden.»
Man kann nur hoffen, dass Emmanuel Macron sein Glückskonto noch nicht aufgebraucht hat.
War übrigens schon immer so, dass Staatsmänner - wenn sie im Beliebtheitsgrad absanken oder durch unpopuläre Reformen beim Volk in Ungnade fielen - kompensatorisch sportliche Grosserfolge und die dadurch gute Stimmungslage nutzten, um die Duldsamkeit ihrer Wählerschaft wieder zu erhöhen....
Und wenn es für ihn opportun ist Donald Trump zu herzen und mit ihm Bäume zu pflanzen, dann macht er das auch. Er will ja everybody's darling sein, sonst wird man ja nicht gewählt. Aber Medienschaffende reagieren ja immer wie verliebte Teenager auf "liberale" Politiker, die aber eigentlich mit dem einfachen Volk nichts anfangen können. Verständlich, denn Medienschaffenden kommen ja meist selbst aus diesem elitären Milieu.