In Montenegro haben die Bürger am Sonntag einen neuen Präsidenten gewählt. Der prowestliche Amtsinhaber Milo Djukanovic trat zum zweiten Mal in Folge an. Nach der Wahlniederlage seiner DPS-Partei bei der Parlamentswahl vor mehr als zwei Jahren kämpft er um sein politisches Überleben. Weitere sechs Männer und Frauen bewarben sich um das höchste Staatsamt, unter ihnen vier Politiker, die dem proserbischen Lager zugerechnet werden.
Entschieden wird das Rennen voraussichtlich am 2. April in einer Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten vom Sonntag. Bis 13.00 Uhr gaben 35.5 Prozent der rund 540 000 wahlberechtigten Bürger ihre Stimme ab, teilte das Wahlforschungsinstitut Cemi mit. Das waren um 2.7 Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der letzten Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren. Aussagekräftige Meinungsumfragen lagen nicht vor. Der Ausgang gilt als offen. Die Wahllokale sollten um 20.00 Uhr schliessen. Mit ersten Ergebnissen wurde in der Nacht zum Montag gerechnet.
Die Wahl findet in einem stark polarisierten politischen Klima statt. Djukanovic, der Montenegro 2006 in die Unabhängigkeit und 2017 in die Nato führte, bestimmte mehr als drei Jahrzehnte lang die Geschicke seines Landes. Seine oft von Korruption und Nähe zum organisierten Verbrechen überschattete Alleinherrschaft fand ein Ende, als eine heterogene Koalition mehr oder weniger proserbischer Kräfte die Präsidentenpartei DPS bei der Parlamentswahl im August 2020 in die Opposition schickte.
Die folgenden Regierungen erwiesen sich jedoch als instabil. Erst am vergangenen Donnerstag löste Djukanovic das Parlament auf, weil sich die proserbischen Parteien auf keinen neuen Ministerpräsidenten einigen konnten. Dem bisherigen Amtsinhaber Dritan Abazovic hatte das Parlament im vergangenen August das Vertrauen entzogen. Djukanovic setzte vorgezogene Parlamentswahlen am 11. Juni an.
Obwohl der Präsident eher nur protokollarische Befugnisse hat, gilt die Wahl als schicksalsträchtig. Wie sich auch bei der Auflösung des Parlaments durch Djukanovic zeigte, kann das Staatsoberhaupt das Funktionieren der demokratischen Institutionen bis zu einem gewissen Grad überwachen.
Anhänger der Unabhängigkeit und Westanbindung Montenegros sehen deshalb in Djukanovic ein letztes Bollwerk gegen die schleichende Serbisierung des Landes durch die Wahlsieger vom August 2020. Unbeschadet ihres chaotischen Regierens hätten diese Kräfte die meisten Universitäten, Schulen und Kultureinrichtungen unter ihre Kontrolle gebracht, sagen Kritiker.
Djukanovic, der den Erwartungen zufolge in die Stichwahl einziehen wird, könnte am Ende davon profitieren, dass das proserbische Lager nicht geeint antrat. Die Chancen des Amtsinhabers gelten als gut, wenn es Andrija Mandic, der Chef der offen proserbischen und prorussischen Demokratischen Front, in die Stichwahl schafft.
Hingegen würde es für den Amtsinhaber schwierig werden, wenn er in der zweiten Runde auf Jakov Milatovic von der neuen Partei «Europa jetzt!» träfe. Der 37-jährige Ökonom mit enger Bindung an die von Belgrad gesteuerte serbisch-orthodoxe Kirche gibt sich modern, gemässigt und reformorientiert. (sda/dpa)