David, wie kommt man darauf, den weltabgelegensten Inselstaat in der Nähe von Australien zu besuchen?
David Rossel: Ich habe mich schon immer für Geografie und für fremde und entfernte Länder interessiert. Irgendwann stiess ich auf Nauru, die kleinste Republik der Welt und war fasziniert, doch es liess sich nur sehr wenig
darüber herausfinden. In der Schule mussten wir damals ein Entwicklungsland vorstellen und da habe ich dann begonnen, mich intensiv mit dem kleinen Land zu beschäftigen, das so viele interessante Aspekte aufweist. Zum Beispiel gehörte Nauru einmal zu den wohlhabendsten Ländern der Welt, heute ist es ein Entwicklungsland. In meiner Maturarbeit habe ich mich mit der
nauruischen Sprache auseinandergesetzt. Infos und News bezog ich vor allem über alte Bücher aus
der Kolonialzeit und australische Zeitungen.
Und dann hast du dich entschlossen, nach Nauru zu fliegen?
Ja. Ich wollte eigentlich schon länger dahin, aber ich hatte kein Geld. Erst als ich meinen
Studentenjob angenommen habe, konnte ich für die Reise sparen. Im Sommer 2008 flog ich dann
über Singapur nach Brisbane und von dort schliesslich nach Nauru. Die Reise hat fast 30 Stunden
gedauert. Mein Visum bekam ich vom nauruischen Konsulat in Melbourne. Voraussetzung ist, dass
man eine Zimmerreservation im einzigen Hotel, das dem Staat gehört, vorweist. Dort kostet eine
Nacht 110 Dollar. Ich bin nur vier Nächte dort geblieben und bin anschliessend in die einzige private
Pension umgezogen, weil es günstiger war. Es war aber nicht fertig gebaut.
Wie meinst du, nicht fertig gebaut?
Es fehlte mindestens ein Stock. Auf dem Dach waren schon die Säulen für den dritten Stock errichtet, der Stock selber wurde aber nie gebaut. Es gibt viele solche Häuser in Nauru. Das Gerüst steht, aber die Häuser wurden schliesslich doch nicht gebaut. Es gibt auch viele leerstehende Lagerhallen, die zugemüllt sind und natürlich die Überreste des Phosphatabbaus.
Ist der Phosphatabbau noch präsent?
Der Abbau ist fast zum Stillstand gekommen, aber das komplette Inland gleicht einer
Mondlandschaft. Das ganze Leben findet auf einem 300-Meter-Gürtel an der Küste statt. Besonders
eindrücklich ist aber, was der Phosphatabbau für Spuren auf den Menschen von Nauru hinterlassen
hat. Als die Republik 1968 ihre Unabhängigkeit erlangt hatte und den Phosphatabbau selber betrieb,
schwamm der Inselstaat plötzlich im Geld. Für die Arbeit selbst holte man Gastarbeiter von den
Nachbar-Inseln wie Fidschi. Die Nauruer selbst liessen es sich gut gehen. Sie jetteten nach Australien
zum Shoppen und jeder kaufte sich zwei, drei Autos.
Ein Auto auf einer solch kleinen Insel?
Ja, man stelle sich das mal vor: Nauru hat etwa 20 Kilometer befestigte Asphaltstrassen und nur eine
einzige Ampel beim Flughafen, aber während der fetten Jahre gab es jeden Tag Stau! Mit dem Velo
brauchte ich nur etwa 45 Minuten, um die Insel zu umrunden. Durch den plötzlichen Wohlstand und
den unsteten Lebensstil verschlechterte sich die Gesundheit der Bewohner extrem. Ein Grossteil der
Bevölkerung ist fettleibig und leidet an Diabetes. Hinzu kommt noch die Phosphatbelastung der Luft.
Die Lebenserwartung liegt etwa bei 65 Jahren.
Treiben die Nauruer denn keinen Sport?
Oh doch! Es gibt zwei Sportarten, die dominieren: Gewichtheben und Australian Football, die
australische Form von American Football. Man sagt sogar, dass die nauruischen Footballspieler die
härtesten der Welt sind, weil sie nicht auf Rasen, sondern auf hartem Korallensteinboden spielen. Es
gibt auf der Insel sogar eine eigene Liga mit acht Clubs, was für eine Einwohnerzahl von 10'000 schon
beachtlich ist. Der damalige Staatspräsident, den ich getroffen habe, war ein ehemaliger
Olympiateilnehmer im Gewichtheben.
Du hast den Präsidenten getroffen? Wie kam es denn dazu?
Nun, ich bin zwei Wochen auf Nauru geblieben, die meisten Touristen bleiben nur ein oder zwei Tage
als Transitaufenthalt. Da hat es sich schon etwas rumgesprochen, dass da ein Schweizer Tourist auf
der Insel herumirrt und Fotos macht. Ich war auch öfters in den Archiven der Behörden und habe
Akten gesammelt und kopiert für ein späteres Projekt. Irgendwann fragte ich dann die Sekretärin
dort, ob es vielleicht möglich sei, dass ich mit dem Präsidenten reden könne. Sie sagte, sie schaue,
was sich machen liesse und am nächsten Tag schüttelte ich dem Präsidenten von Nauru die Hand.
Wie war er so?
Er war sehr ernst, aber freundlich und hat alle meine Fragen beantwortet. Ich habe ihn zum Beispiel
gefragt, ob es diplomatische Beziehungen zur Schweiz gäbe. Er sagte, es laufe alles über die EU. Als
ich dann erwiderte, dass die Schweiz nicht zur EU gehöre, staunte er und sagte, in diesem Falle gäbe
es wohl keine diplomatischen Beziehungen. Er war in jüngerer Zeit einer der ersten Präsidenten, der
sich über längere Zeit halten konnte. Vorher gab es häufige Wechsel, manchmal innert weniger
Wochen. Gewählt wird der Präsident von Nauru aus der Mitte eines 18-köpfigen Parlaments, dass
sich immer wieder mit 9:9-Pattsituationen blockiert. Wichtige politische Geschäfte werden dadurch
ewig verzögert, zum Beispiel die überfällige Verfassungsreform.
Wovon leben die Nauruer denn jetzt, seit der Phosphatabbau zum erliegen kam?
Die Haupteinnahmequelle sind die Flüchtlingslager. Australien hat zwei grosse Flüchtlingslager nach
Nauru ausgelagert und zahlt der Insel dafür Geld. Sie nennen es die «Pacific Solution». 2001 gab es
einen Aufstand in einem solchen Lager und die Präsidialresidenz wurde abgefackelt. Die
Grundmauern stehen immer noch so dort, als sei der Brand erst gestern gelöscht worden. Weiter
diskutiert man darüber, ob man auf der Insel ein Atommüll-Endlager einrichten will. Das würde
zusätzlich Geld bringen. Ansonsten investiert Taiwan hie und da etwas Geld dafür, dass die Republik
Nauru Taiwan als Staat anerkennt. Das einzige Flugzeug der nauruischen Airline ist zum Beispiel von
Taiwan gesponsert.
Denkst du, der Tourismus könnte irgendwann doch noch aufkommen?
Dafür wäre viel Arbeit nötig. Die Mondlandschaft im Inland müsste renaturiert werden, eine
Infrastruktur errichtet und die Strände müssten ebenfalls touristenfreundlich gestaltet werden. Es
gab damals weder Handynetz noch Geldautomaten und nur ein Internetcafé. Traumstrände sucht
man vergeblich, weil die Insel von einem etwa 100 Meter breiten Saumriff umgeben ist. Da ist das
Wasser nur etwa einen Meter tief. Danach fällt es rasant ab. Ausserdem gibt es starke Strömungen,
wie ich erfahren musste, als ich etwas rausgeschwommen bin. Besondere Sehenswürdigkeiten gibt
es keine und Reise und Aufenthalt sind sehr teuer, wenn man niemanden dort kennt. Zum teuren
Hotel kommt der Flug von Australien auf Nauru dazu: fast 1'000 Franken! Als ich dort war, fragten
mich die Einheimischen immer wieder, warum ich so weit reise, um mir eine solch kaputte Insel
anzuschauen. Für mich war es aber ein eindrücklicher Abschluss, nachdem ich mich so intensiv mit
Nauru auseinandergesetzt hatte.
Gut, dass es immer wieder Leute gibt, die neugierig sind, Neues erfahren wollen und einen an den eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen teilhaben lassen.