«Es ist unsere traurige Pflicht mitzuteilen, dass unser Sohn, Otto Warmbier, seine Reise nach Hause beendet hat», hiess es in der schriftlichen Stellungnahme der Eltern von Otto Warmbier. «Die schreckliche, qualvolle Misshandlung, die unser Sohn in den Händen der Nordkoreaner erfahren hat, machte keinen anderen Ausgang möglich», schrieb die Familie weiter.
Die Warmbiers gehen folglich von qualvollen Misshandlungen – von Folter – aus. Nordkorea dementiert diese Anschuldigungen. Warmbier sei an Botulismus, einer schweren Nahrungsmittelvergiftung, erkrankt und nach Einnahme einer Schlaftablette nicht mehr aufgewacht, heisst es von Seiten des Regimes.
Was in den 17 Monaten Haft tatsächlich passiert ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Wir haben darüber mit den Länderexperten Reto Rufer und Arnold Fang von Amnesty International gesprochen.
Was ist mit Warmbier passiert? Glauben Sie den Angaben, wonach Warmbier aufgrund einer schweren Lebensmittelvergiftung und Schlaftabletten eine Bewusstseinsstörung erlitt?
Reto Rufer und Arnold Fang: Dazu kann man nur grobe Vermutungen anstellen. Otto Warmbier könnte infolge von grosser psychischer Belastung oder als Folge einer falschen Medikation einen Zusammenbruch erlitten haben. Folgen von physischen Misshandlungen sind nicht sehr wahrscheinlich, wenn wir von den Aussagen ehemaliger ausländischer Häftlinge bzw. Geiseln ausgehen. Wir wissen es letztlich nicht. Die Obduktion der Leiche wird womöglich weitere Hinweise auf die Ursachen des Komas geben.
Werden Häftlinge in Nordkorea gefoltert?
Ja, Folter ist in nordkoreanischen Haftanstalten gang und gäbe, ganz besonders schlimm ist es in den Gefangenenlagern für politische Gefangene. In der Regel werden dabei aber nicht Ausländer gefoltert, bei Otto Warmbier würde es sich um eine Ausnahme handeln.
Wo werden Gefangene gefoltert?
Diese Gefangenenlager sind hermetisch abgeriegelte Orte, von der Aussenwelt abgeschnitten. Darin werden Oppositionelle und deren Verwandte von der Gesellschaft isoliert und für ihre vorgeblich mangelnde Loyalität bestraft. Das bekannteste ist das Lager Yodok. Aber auch in den normalen Gefängnissen findet schwerste physische und psychische Folter statt.
War Otto Warmbier in einem solchen Internierungslager?
Wo Warmbier genau festgehalten wurde, ist nicht bekannt. Höchst wahrscheinlich an einem bewachten und abgeschlossenen Ort, nicht in einem Gefangenenlager.
Warmbier wurde zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt. Ist eine solch harte Strafe normal?
Dass das Regime geringfügige Zeichen mangelnder Loyalität mit drakonischen Urteilen bestraft, ist bekannt. Bei Ausländern steht jedoch das politische Kalkül im Vordergrund. So war der Zeitpunkt der Verhaftung von Warmbier kein Zufall. Anfang 2016 verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat neue Sanktionen gegen das nordkoreanische Regime. Das Regime antwortete mit der Verhaftung von Otto Warmbier und einem anderen Amerikaner.
Was erhofft sich Nordkorea davon?
Neben Otto Warmbier sind auch noch weitere Ausländer in Nordkorea in Haft. Darunter ein Kanadier, ein Amerikaner und zwei Südkoreaner. Die Häftlinge sind für Pjöngjang ein Druckmittel gegen den Westen. Mit den inhaftierten Ausländern versucht das Regime politische Konzessionen zu erwirken.
Warum liess Nordkorea Warmbier doch noch frei? War dies ein politischer Schachzug? Hier kann man auch nur spekulieren: Die Freilassung von Warmbier hat womöglich mit den guten Kontakten des Profibasketballspielers Dennis Rodman mit Pjöngjang zu tun. Rodman besuchte kurz vor Warmbiers Freilassung Kim Jong-un in Nordkorea. Ob es ein politischer Schachzug war, kann man so nicht beantworten.
Was bedeutet der Tod von Warmbier für die Beziehung zwischen den USA und Nordkorea? Eine Verbesserung der bereits angespannten Stimmung ist es sicherlich nicht.
Die von Otto Warmbier genutzte Reiseagentur nimmt Nordkorea-Besuche für US-Touristen aus dem Programm. Das Risiko sei «zu gross geworden», teilte das in China ansässige Unternehmen Young Pioneer Tours heute auf seiner Facebook-Seite mit. Was raten Sie Schweizerinnen und Schweizer die eine Reise nach Nordkorea planen? Reto Rufer: Ich will hier keinem Boykott das Wort reden, aber jeder, der nach Nordkorea reist, sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein und vielleicht nicht ein Konterfei von Kim Jong-un zerreissen … Die Schweiz steht sicherlich nicht im gleichen Fokus wie die USA, da es für Nordkorea kaum politische Motive gibt, Schweizer in Nordkorea in Gefangenschaft zu nehmen. Persönlich habe ich jedoch Mühe damit, in Nordkorea beispielsweise luxuriöse Skiferien zu verbringen. Das Geld, das man zahlt, fliesst direkt in die Staatskasse von Kim Jong-un.