Trotz internationaler Warnungen rückt die von Israel angekündigte Bodenoffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens einem Medienbericht zufolge näher. Israel bereite sich darauf vor, Zivilisten aus Rafah in die zuvor schwer umkämpfte Stadt Chan Junis und andere Gebiete zu bringen, berichtete das «Wall Street Journal» am Montag unter Berufung auf ägyptische Beamte, die über die israelischen Pläne informiert seien. Israel will in Rafah die letzten Bataillone der islamistischen Hamas zerschlagen. Mit scharfer Kritik reagierte Israel unterdessen auf einen in New York vorgelegten Untersuchungsbericht zum Palästinenserhilfswerk UNRWA. Das «enorme Ausmass der Unterwanderung» des Hilfswerks durch die Hamas werde darin nicht berücksichtigt, hiess es am Montagabend. Zu Beginn des jüdischen Pessach-Festes kam es am selben Abend in Israel erneut zu Protesten von Angehörigen der in Gaza festgehaltenen Geiseln gegen Regierungschef Benjamin Netanjahu.
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Israels Verbündete wie die USA haben eindringlich vor einer Bodenoffensive in Rafah gewarnt, weil sich dort derzeit Hunderttausende palästinensischer Binnenflüchtlinge drängen. Die Stadt nahe der ägyptischen Grenze gilt als die einzige in dem abgeriegelten Küstenstreifen, die noch vergleichsweise intakt ist. Unter anderem im nahen Chan Junis sollen für die Bewohner Zelte, Lebensmittelverteilungszentren und Feldlazarette eingerichtet werden, berichtete das «Wall Street Journal». Die Evakuierungsaktion würde zwei bis drei Wochen dauern und in Abstimmung mit den USA, Ägypten und anderen arabischen Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten durchgeführt. Seit dem Abzug israelischer Truppen aus Chan Junis seien dort in einem Massengrab nahe dem Nasser-Krankenhaus bisher 283 Tote gefunden worden, teilte der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz am Montag mit.
Israel plane, Truppen schrittweise nach Rafah zu verlegen, berichtete die US-Zeitung weiter. Die Kämpfe dürften mindestens sechs Wochen dauern, hiess es. Israels Ministerpräsident Netanjahu hatte zuvor «weitere schmerzhafte Schläge» gegen die Hamas angekündigt. «Und dies wird in Kürze geschehen». Hunderte Demonstranten versammelten sich derweil zum Beginn des Pessach-Festes vor Netanjahus Privathaus in Caesarea und forderten ihn auf, eine Einigung zur Freilassung der Geiseln zu erzielen. «Wie ist es möglich, dass die Familie Netanjahu in einer schicken Villa feiert, während Israelis in Tunneln gefangen gehalten werden, hungern, vergewaltigt, geschlagen und ermordet werden», hiess es. Das Pessach-Fest erinnert an den Auszug der Israeliten aus Ägypten und die Befreiung aus der Sklaverei.
Israel und die Hamas verhandeln seit Monaten indirekt über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln, die bei dem Hamas-Massaker am 7. Oktober nach Gaza entführt wurden. Israel war bis vor wenigen Wochen davon ausgegangen, dass knapp 100 der rund 130 verbliebenen Geiseln noch am Leben sind. Inzwischen wird befürchtet, dass deutlich mehr von ihnen bereits tot sein könnten. Bei den Verhandlungen habe die Hamas ihre Positionen zuletzt verhärtet, erklärte Netanjahu. Israel habe sich bei den Verhandlungen erheblich bewegt, woraufhin die Hamas jedoch «die Zielpfosten» verschoben habe, sagte auch der Sprecher des US-Aussenministeriums, Matthew Miller, am Montag. Die Terrororganisation signalisiere derzeit, «dass sie keine Einigung will». Es liege an der Hamas.
Israel übte derweil deutliche Kritik an einem am Montag vorgelegten Untersuchungsbericht zum Palästinenserhilfswerk UNRWA. Die Hamas habe das Hilfswerk so tief infiltriert, «dass es nicht mehr möglich ist, festzustellen, wo das UNRWA endet und wo die Hamas beginnt», schrieb das israelische Aussenministerium auf der Plattform X (vormals Twitter). In dem in New York vorgestellten Bericht kamen unabhängige Experten dagegen zum Schluss, UNRWA habe eine Reihe «robuster» Mechanismen etabliert, um die Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes zu gewährleisten. Allerdings gebe es Verbesserungsbedarf. Zugleich hiess es in dem Bericht, Israel habe für manche seiner Behauptungen nie Beweise vorgelegt.
UNRWA war im Januar in die Schlagzeilen geraten, weil Israel behauptete, zwölf Mitarbeiter seien in das Massaker der Hamas vom 7. Oktober verwickelt gewesen und die Organisation als Ganzes von der Hamas unterwandert. Als Reaktion entliess UNRWA mehrere Beschäftigte. Einige der wichtigsten Geldgeber, darunter Deutschland, setzten Zahlungen vorübergehend aus. Der Bericht der mit der Prüfung beauftragten ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna «ignoriert die Schwere des Problems», schrieb das israelische Aussenministerium und forderte die Geberländer auf, andere Organisationen in Gaza zu finanzieren. «UNRWA kann nicht Teil der Lösung in Gaza sein, weder jetzt noch in Zukunft».
Colonna warb unterdessen für Unterstützung von UNRWA. «Die internationale Gemeinschaft muss UNRWA bei der Bewältigung seiner Herausforderungen zum Erreichen von Neutralität unterstützen. Es ist eine gemeinsame Verantwortung», sagte Colonna der Deutschen Presse-Agentur nach Vorlage ihres Expertenberichts. Auf eine Frage zur ausstehenden Entscheidung der Bundesregierung über eine Wiederaufnahme der Zahlungen antwortete sie nicht direkt. Es sei nun an jedem Land, den Bericht zu studieren und über die nächsten Schritte zu entscheiden. «Was ich gesehen habe, ist, dass die überwiegende Mehrheit der Geberstaaten die unverzichtbare und unersetzliche Rolle von UNRWA anerkennt, bestrebt ist, Lösungen zu finden und bei Bedarf Verbesserungen zu unterstützen», sagte Colonna.
Derweil dauern die Spannungen auch an Israels Grenze zum Libanon an. Die Hisbollah-Miliz feuerte nach eigenen Angaben Dutzende Raketen auf den Norden Israels ab. Den Angriff auf Militärziele bezeichnete die proiranische Miliz in einer Mitteilung am Montagabend als Vergeltung für israelische Luftangriffe. Am Sonntag war eine israelische Drohne von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden und auf libanesischen Boden gestürzt. Kampfflugzeuge hätten die Abschussbasis angegriffen, teilte Israels Militär mit. Ob die Gefechte vom Sonntag im Zusammenhang mit dem Raketenangriff erfolgten, war zunächst unklar. Seit Beginn des Gazakriegs schiesst die Hisbollah mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf den Norden Israels. Bei den Gefechten im Grenzgebiet wurden bislang rund 280 Kämpfer der Schiitenmiliz getötet. Auch auf israelischer Seite gab es seitdem mehrere Todesopfer. (sda/dpa/con)