Mitten im muslimischen Fastenmonats Ramadan und dem jüdischen Pessachfest heizen sich die religiösen Spannungen in Israel gerade besonders auf. So kam es in der Nacht zum Donnerstag zu heftigen Zusammenstössen zwischen israelischen Sicherheitskräften und muslimischen Gläubigen in der al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem.
Gruppen junger Palästinenser hätten am späten Mittwochabend Feuerwerkskörper und Steine auf Polizisten geworfen und versucht, sich in der al-Aqsa-Moschee zu verbarrikadieren, berichteten israelische Medien unter Berufung auf die Polizei. In der Folge hat die israelische Polizei Tränengas, Schlagstöcke und Blendgranaten eingesetzt, um die Moschee zu räumen. Die israelische Polizei meldete, sie habe daor versucht, den Campus der Al-Aqsa-Moschee «durch Dialoge» zu räumen.
Bilder und Videos von israelischen Sicherheitskräften, die auf Palästinenser einprügeln oder mit Kabelbindern gefesselten Muslimen verbreiteten sich in Windeseile in den sozialen Medien.
Shocking footage showing Israeli occupation forces brutally beating Palestinian worshippers inside al Aqsa mosque in Jerusalem, around an hour ago.pic.twitter.com/4syEscQSRX
— Maha Hussaini (@MahaGaza) April 5, 2023
Bereits in der Nacht zum Mittwoch waren auf dem Gelände des Tempelbergs israelische Sicherheitskräfte mit Dutzenden Palästinensern zusammengestossen. Nach Angaben der Polizei wurden rund 350 Menschen festgenommen.
Fast identische Szenen haben sich letztes Jahr am Freitag, 15. April zugetragen. Der damalige Premierminister Naftali Bennett verteidigte das Einschreiten der israelischen Polizei auf dem Tempelberg in einem Interview mit dem amerikanischen Sender CNN damit, dass einige Palästinenser Steine geworfen und so 80'000 friedliche Muslime vom Gebet abgehalten hätten.
Und im Jahr 2021 eskalierte die Situation nach Ramadan zu einem elftägigen Konflikt zwischen Israel und der radikal-muslimische Terrororganisation Hamas, die im Gazastreifen die Regierung stellt. Die Hamas hat unter anderem das Ziel, den Staat Israel mit militärischen Mitteln zu vernichten.
Der Palästinensische Rote Halbmond meldete, dass bei den Zusammenstössen in der Nacht auf Donnerstag 40 Palästinensern durch Schläge und Gummigeschossen verletzt worden seien. Zudem beschuldigte die Organisation die israelischen Sicherheitskräfte, auch Krankenwagen daran gehindert zu haben, die Al-Aqsa-Moschee zu erreichen.
Bereits im Vorfeld des Ramadans war eine Verschärfung der ohnehin angespannten Sicherheitslage im Land befürchtet worden. Denn während des Ramadans kommen besonders viele Muslime al-Aqsa-Moschee, um während des Fastenmonats dort zu beten. Der Ramadan stellt nämlich für Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland und dem Gazastreifen eine seltene Gelegenheit dar, die heilige Stadt mit einer Militärerlaubnis zu betreten – die ausserhalb des heiligen islamischen Monats für sie kaum ausgestellt wird.
Eine geltende Regelung, auf die die Palästinenser immer wieder verweisen, besagt zudem, dass während der letzten zwei Wochen des Ramadans der Zutritt zum Tempelberg ausschliesslich den Muslimen vorbehalten sei. Allerdings ereigneten sich die aktuellen Zusammenstösse während der ersten Hälfte des Ramadans.
Am Mittwoch begann zudem das einwöchige jüdische Pessachfest. Einer der Bräuche ist dabei eine Wallfahrt nach Jerusalem. Und am morgigen Karfreitag werden Hunderte Christen in Jerusalem an den Kreuzweg Jesu ziehen.
Nach den Zusammenstössen in der al-Aqsa-Moschee wurden von militanten Palästinensern Raketen in Richtung Israel abgefeuert. In mehreren Städten im Grenzgebiet seien am frühen Donnerstagmorgen Warnsirenen zu hören gewesen, teilte das israelische Militär mit. Sieben Raketen seien demnach in der Luft explodiert. Und bereits am Abend vorher landete eine aus dem Gazastreifen abgeschossene Rakete auf israelischem Gelände. Verletzt wurde niemand. In der Regel antwortet das israelische Militär nach einem solchen Beschuss mit einem Gegenangriff.
Medienberichten zufolge reklamierte der militante Islamische Dschihad den Raketenbeschuss für sich. Die vom Iran finanzierte Palästinenserorganisation ist hauptsächlich im Gazastreifen aktiv und verübt von dort regelmässig Raketenangriffe auf Israel.
Der Tempelberg / Haram al-Scharif ist ein Hügel in der Altstadt von Jerusalem, der bereits in vorchristlicher Zeit als Tempelareal gedient hat.
Dominiert wird der Tempelberg / Haram al-Scharif heute von einem ummauerten Plateau auf dem Gipfel, in dessen Mitte seit dem 7. Jahrhundert nach Christus der Felsendom thront – ein Sakralbau des Islams. Dieser soll laut der jüdischen Überlieferung auf dem Fundament von Tempelbauten aus biblischer Zeit errichtet worden sein.
Der Begriff «Tempelberg» nimmt dann auch auf diese Tempelbauten Bezug und referiert auf (1.) den sogenannten salomonischen Tempel, (2.) den nachexilisch begründete Tempel sowie (3.) den Herodianischen Tempel – in chronologischer Reihenfolge. Ein Teil der westlichen Umfassungsmauer des Plateaus des Herodianischen Tempels ist heute die Klagemauer – eine seit Jahrhunderten zentrale religiöse Stätte des Judentums. Der Tempelberg bildet in dieser Tradition das symbolische Zentrum der Welt und stellt eine Verbindung von irdischer und göttlicher Sphäre her.
Auf der südlichen Seite der Esplanade befindet sich die al-Aqsa-Moschee, die drittheiligste Stätte des Islam. Muslime glauben, dass Mohammed während der sogenannten Nachtreise von der Moschee in Mekka an diesen Ort gebracht wurde.
Archäologisch ist die Frage der Kontinuitäten zwischen den Tempelbauten aus biblischer Zeit und den heutigen Sakralbauten zwar nicht eindeutig geklärt, trotzdem gilt: Der Tempelberg / Haram al-Scharif ist ein Erinnerungsort, den mehrere Religionen für sich beanspruchen.
(yam/saw/sda/dpa)