Er war das intellektuelle Aushängeschild der sandinistischen Revolution in Nicaragua. Als idealistischer Dichter träumte er vom Himmelreich in sozialistischen Kommunen, als Kulturminister seiner mittelamerikanischen Heimat trieb er die Alphabetisierung der armen Landbevölkerung voran. Zuletzt war er ein erbitterter Gegner seiner einstigen Genossen. Jetzt ist Ernesto Cardenal im Alter von 95 Jahren gestorben.
«Stärker als der Glaube treibt mich die Hoffnung an und noch stärker als die Hoffnung die Liebe», sagte der Theologe und Schriftsteller einmal im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Cardenal sei ein wortgewaltiger Mahner, der sein dichterisches Werk gegen die Hoffnungslosigkeit stelle und die Liebe als einziges Element der Veränderung kenne, begründete die Jury des Friedenspreises des deutschen Buchhandels einst die Auszeichnung des Nicaraguaners (1980).
Cardenal stammte aus einer wohlhabenden Familie aus Granada. Er studierte Philosophie und Literatur in Mexiko-Stadt sowie New York, später Theologie in Mexiko und Kolumbien. Zwei Jahre verbrachte er in einem Trappistenkloster in den USA, bevor er 1965 zum Priester geweiht wurde.
Auf der Insel Mancarrón im Solentiname-Archipel im Nicaraguasee gründete Cardenal eine Bauernkommune nach urchristlichem Vorbild. Er verstand die Gemeinschaft als Versuch, das Reich Gottes im irdischen Kommunismus zu verwirklichen. Dort entstand auch sein bekanntestes Werk, «Das Evangelium der Bauern von Solentiname».
Als scharfer Kritiker der Diktatur von Anastasio Somoza musste Cardenal ins Exil nach Costa Rica fliehen und schloss sich dort der Guerillaorganisation FSLN an. Nach dem Sieg der Sandinisten 1979 kehrte er in seine Heimat zurück und startete als Kulturminister der neuen Regierung eine grosse Bildungskampagne unter den verarmten Bauern.
Beim Papstbesuch 1983 in Managua kam es zum Eklat zwischen dem linken Befreiungstheologen und dem Vatikan. Weil sandinistische Parteihänger Johannes Paul II. ausbuhten, massregelte das Kirchenoberhaupt Cardenal in aller Öffentlichkeit. Zwei Jahre später wurde er wegen seiner politischen Tätigkeit vom Priesteramt suspendiert.
Nach dem Ende der ersten sandinistischen Regierungszeit brach Cardenal auch mit seinen einstigen revolutionären Weggefährten. Der autoritäre Führungsstil von Sandinistenchef Daniel Ortega und die unverhohlene Raffgier der linken Nomenklatur liessen ihn an seiner Partei verzweifeln.
Gemeinsam mit seinem Freund, dem österreichischen Schauspieler Dietmar Schönherr, gründete er die Kulturstiftung «Casa de los tres mundos» in Granada.
Er widmete sich nun wieder mehr dem Schreiben und veröffentlichte den Gedichtszyklus «Gesänge des Universums». Seine Lesereisen führten ihn auch immer wieder nach Deutschland, häufig gemeinsam mit der Band Grupo Sal. Seine Markenzeichen: Schwarze Baskenmütze, weisses Bauernhemd, Ledersandalen.
Gerade für die europäische Linke war Cardenal eine Ikone der sandinistischen Revolution, doch mit seinen früheren Genossen wollte er nichts mehr zu tun haben.
«Es ist nichts geblieben von der Revolution», klagte Cardenal. Seit Ortega 2007 an die Macht zurückgekehrt sei, habe er sich das Land zur Beute gemacht, sagte Cardenal. «Es ist eine Diktatur von Daniel Ortega, seiner Frau und seinen Kindern, die sich schamlos bereichern.»
Ortega, der im Januar 2017 seine vierte Amtszeit antrat und seine ganze Familie mit wichtigen Posten versorgte, war zuletzt der Lieblingsfeind des streitbaren Schriftstellers.
Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes bezog er während der monatelangen Proteste gegen die Regierung mit mittlerweile Hunderten Toten klar Position.
«Die Unterdrückung, die wir erleben, bereitet mir grosses Leid. Es gibt Massaker und Verhaftungen, Entführungen und Folter», sagte er zuletzt. «Wir wollen eine andere Regierung, eine demokratische Republik.»
Gegenüber der katholischen Kirche hingegen zeigte er sich zuletzt milde. Vor allem das bescheidene Auftreten von Papst Franziskus gefiel ihm. «Das ist eine grosse Veränderung im Vatikan, die niemand vorhersehen konnte», sagte Cardenal.
Franziskus versuche, die Welt zu einem besseren Ort für die Armen und Vergessenen zu machen. Zuletzt rehabilitierte das katholische Kirchenoberhaupt den einst verfemten linken Priester. Anfang Februar 2019 hob Franziskus die Sanktionen gegen ihn auf.
Schriftsteller, Priester, Politiker - für Cardenal war das nie ein Widerspruch. «Ich versuche nach der Botschaft des Evangeliums zu leben», sagte er einmal. «Es ist eine politische Botschaft: Die Welt verändern und verbessern nach 100'000 Jahren der Ungleichheit.» (sda/dpa)