Wer sich einsam und traurig fühlt, wünscht sich meist Gesellschaft. Die muss nicht unbedingt menschlich sein – und häufig ist die Gesellschaft eines Tieres unkomplizierter als die eines Menschen. Das Schnurren einer Katze oder der treue Blick eines Hundes schaffen es auch völlig ohne Worte, uns ein tröstendes Gefühl zu vermitteln. Es ist daher nicht verwunderlich, dass man auch in der Behandlung oder Bewältigung psychischer Probleme auf tierische Hilfe setzt.
In den USA hat diese Idee inzwischen konkrete Formen angenommen: «Emotional Support Animals», also Tiere zur emotionalen Unterstützung, gibt es mittlerweile unzählige. Die unterscheiden sich von Servicetieren wie beispielsweise Blindenhunden insofern, dass sie kein besonderes Training absolvieren müssen. Oberflächlich gesehen sind solche Emotional Support Animals gewöhnliche Haustiere – die in manchen Fällen allerdings auch sehr ungewöhnliche Formen annehmen können, da diese nicht gesetzlich reguliert sind.
Joie Henney, ein 65-jähriger Mann aus York County, Pennsylvania, USA, litt nach den Toden dreier Kindheitsfreunde unter Depressionen. Sein Arzt wollte ihm zur Linderung Medikamente verschreiben. Darauf wollte sich Henney jedoch nicht einlassen – und schöpfte mit seinem Doktor einen Plan. Henney hatte bemerkt, dass es ihm nur dann so richtig gut ging, wenn er zu Hause war – bei seinem Alligator Wally. Also machte sein Arzt kurzen Prozess und erklärte Wally offiziell zu Henneys emotionalem Unterstützungstier.
Richtig gelesen – denn tatsächlich gibt es in den USA derzeit kein Gesetz, das bestimmte Tierarten davon ausschliessen würde, sich als «Emotional Support Animal» zu qualifizieren. Gebräuchlich sind vor allem Hunde und Katzen, aber laut der amerikanischen ESA-Registrierungsstelle kann jedes Tier, das für seinen Halter einen therapeutischen Wert hat, zum ESA werden.
Wally ist der erste Alligator, der einen offiziellen ESA-Schein (s. o.) ausgestellt bekommen hat – aber lange nicht das einzige ausgefallene ESA, das es jemals in die Nachrichten schaffte. Insbesondere an Flughäfen sorgen die Tiere immer wieder für Schlagzeilen, da es jeder Fluggesellschaft gesetzlich frei steht, ungewöhnliche Tierarten vom Transport auszuschliessen.
Bis dahin führt der inzwischen fast vier Jahre alte Alligator, der aus Disney World in Florida gerettet und von Henney aufgenommen wurde, das Leben eines Schosshunds – und fühlt sich dabei sichtlich wohl.
Dabei ist sich Henney bewusst, dass ein Alligator gewisse Risiken mit sich bringt. Laut seiner Aussage habe Wally aber noch nie jemanden gebissen und fürchte sich sogar vor Katzen. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste: Schlafen, Kuscheln – und Bauchgekraule.
Anderthalb Meter ist er inzwischen lang, fast 30 kg schwer, und weicht seinem «Herrchen» auch im Alltag selten von der Seite. So kann es schon mal sein, dass die Bewohner des Alligator-unüblichen Bundesstaats Pennsylvania Henney und Wally im nächsten Walmart antreffen.
Zum Glück hat Henney Erfahrung mit der Aufzucht wilder Tiere: Er wuchs auf einem Bauernhof auf und hielt im Laufe seines Lebens bereits mehrere Schlangen.
Wally braucht wie seine wilden Artgenossen Wasser, in dem er herumschwimmen kann – also besorgte Henney einen grossen Plastik-Teich, den er in seinem Haus aufgestellt hat und jeden Tag mit frischem Wasser befüllt. Dort ist Wally auch nicht allein: Henney hält sich derzeit einen zweiten, kleineren Alligator namens Scrappy, ebenfalls ein gerettetes Wildtier, das er aber nach dessen Aufpäppelungszeit nicht behalten wird.
(AP, The Inquirer, York Dispatch)