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EU streitet über Seenotrettungen, während Tunesien Tote begraben muss.

Hier liegen im Mittelmeer Ertrunkene begraben. Der Friedhof sieht eher aus, wie eine Müllhalde.
Hier liegen im Mittelmeer Ertrunkene begraben. Der Friedhof sieht eher aus, wie eine Müllhalde.bild: dpa/simon kremer

Die EU streitet über Seenotrettung – Tunesien über die Toten

Während Europa darüber streitet, wie Migranten über die EU verteilt werden könnten, haben sie in Tunesien ganz andere Probleme. Dort kommen im Sommer auf die Insel Djerba die Touristen – und die Toten.
22.07.2019, 19:0222.07.2019, 21:44
simon kremer / dpa
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Worüber redet man, wenn man drei Tage an einer Holzplanke im Mittelmeer treibt? «Jedenfalls nicht über die Fussballkarriere», sagt Mamadou und grinst zum ersten Mal seit einer Stunde. «Du sprichst über alles mögliche, versuchst, dich gegenseitig wach zu halten, denn wenn du loslässt, dann bist du tot.»

Dann versinkt der 16-Jährige wieder in seiner Gedankenwelt, blickt zu Boden, knibbelt nervös an den zitternden Fingern. Vielleicht denkt er an sein Idol, Lionel Messi. Vielleicht an das, was er in der vergangenen Woche erlebt hat.

Vielleicht denkt er an sein Idol, Lionel Messi. Vielleicht an das, was er in der vergangenen Woche erlebt hat.

Zusammen mit 85 anderen setzt sich Mamadou, der schüchterne Junge aus Mali, an einem Strand der libyschen Hafenstadt Suara morgens um fünf Uhr in ein Gummiboot und macht sich auf in Richtung Europa. Er will Fussballprofi werden.

Sieben Stunden später ist das Boot in Richtung Tunesien abgetrieben, befindet sich ein paar Seemeilen vor der Küste. Wellen schlagen ins Boot, Panik bricht aus, das Boot kippt um. Mamadou hockt auf dem Boden des Gummibootes, der mit einer Holzplanke verstärkt ist. Er hält sich daran fest als er ins Wasser fällt, zusammen mit sechs anderen.

Mamadou Kamarra (links), und Ousmane Koulibali, beide aus Mali, sitzen auf einer Terasse. Kamarra und Koulibali sind zwei Überlebende eines aktuellen Schiffsunglücks vor der tunesischen Küste, bei dem ...
Mamadou Kamarra (links), und Ousmane Koulibali, beide aus Mali, sitzen auf einer Terasse. Kamarra und Koulibali sind zwei Überlebende eines aktuellen Schiffsunglücks vor der tunesischen Küste, bei dem 83 Menschen gestorben sind. bild: dpa/simon kremer

Während um ihn herum mit jeder neuen Welle jemand der 86 Flüchtlinge verschwindet, hält er sich fest, drei Tage lang, bis sie von einem tunesischen Fischerboot gefunden werden.

Da sind sie nur noch zu viert und einer von ihnen wird noch im Spital sterben.

Leichen auf Touristeninsel

Ein paar Tage nach dem Unglück werden die ersten Leichen an den Strand gespült. 16 Tote finden die Helfer auf Djerba, der beliebten Ferieninsel, wo in dieser Sommersaison der Tourismus endlich wieder anzieht.

«Der Wind und die Strömung bringen die Toten hierher.»
Mongi Slim.

«Dass die Leichen bis nach Djerba kommen ist selten», sagt Mongi Slim. «Normalerweise werden sie hier angespült.» Seit 25 Jahren arbeitet der Arzt als Freiwilliger beim Roten Halbmond. Von der Terrasse eines Cafés blickt er auf den Strand, wo Familien ihre Sonnenschirme mit Tüchern zu kleinen Burgen ausgebaut haben und die Kinder mit aufblasbaren Gummikrokodilen im Wasser jauchzen. «Der Wind und die Strömung bringen die Toten hierher.»

Noch immer kein EU-Deal zur Seenotrettung im Mittelmeer
Er glaube, «dass wir deutlich weitergekommen sind und weiter sind, als wir bisher in dieser Frage jemals waren», sagte der deutsche Aussenminister Heiko Maas am Montag in Paris. Ein Deal stehe aber noch aus. Maas äusserte sich am Rande von informellen Beratungen mehrerer EU-Innen- und Aussenminister zu dem Thema. Deutschland und Frankreich hatten erst in der vergangenen Woche bei einem EU-Treffen in Helsinki versucht, eine gemeinsame Regelung zur Verteilung von Migranten auf den Weg zu bringen, die im Mittelmeer gerettet werden. Waren damals aber vorerst gescheitert.

Für die erste Septemberwoche ist nun ein neuerliches Sondertreffen auf Malta geplant. Dem Vernehmen nach sollen bis zu 15 EU-Staaten mitziehen. Laut Maas ist eine «kritische Masse» von Staaten nötig, die bei dem Verfahren mitziehen. Dabei könnten sich auch Länder abwechseln: «Es muss nicht jeder immer sich zur Verfügung stellen.»

Die geplante Übergangsregelung soll verhindern, dass Italien und Malta Schiffen mit geretteten Menschen die Einfahrt in ihre Häfen untersagen. Beide Staaten hatten dies in der Vergangenheit mehrfach getan, weil sie befürchteten, mit der Verantwortung für die Migranten von den EU-Partnern alleine gelassen zu werden. Infolgedessen harrten Menschen auf privaten Rettungsschiffen oft tagelang an Bord aus, bis eine Lösung gefunden wurde.

Maas gab sich zuversichtlich, dass eine Lösung in den kommenden Wochen gefunden werde. Frankreich erwarte eine Abmachung im September, wie die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf eine namentlich ungenannte Diplomatenquelle berichtete. Aus Rom kam hingegen Kritik an dem Pariser Treffen. Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega-Partei erklärte auf Twitter, sein Land sei «nicht mehr länger das Flüchtlingslager für Brüssel, Paris oder Berlin». Salvini hatte an dem Treffen nicht teilgenommen.

Italien und Malta machten sich vielmehr dafür stark, dass Schiffe mit geretteten Migranten nicht nur in ihren Häfen Anker werfen, sondern auch in anderen Ländern, hiess es aus Kreisen des römischen Innenministeriums.Erneute SeenotrettungUngeachtet des Streits in der EU wollen die Hilfsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen die Seenotrettung auf dem Mittelmeer wieder aufnehmen. Das neue Rettungsschiff «Ocean Viking» soll dort Ende des Monats einsatzbereit sein, wie beide Organisationen am Wochenende ankündigten. Sie hatten auf Druck Italiens ihre Aktivitäten mit dem Schiff «Aquarius» Ende 2018 vorerst eingestellt.

Die Ankündigung kommt einen Monat, nachdem die deutsche Kapitänin Carola Rackete in Italien festgesetzt wurde. Rackete hatte ihr Schiff «Sea-Watch 3» mit 40 Flüchtlingen an Bord trotz eines Verbots in den Hafen von Lampedusa gesteuert.Seit Jahren kann sich die EU nicht auf eine verbindliche Quote zur Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsländer einigen - mehrere östliche Länder sind strikt dagegen. Die aktuell geltenden Dublin-Regeln der EU besagen, dass derjenige EU-Staat für Migranten zuständig ist, den sie zuerst erreichen. Die Schweiz beteiligt sich via Dublin-Abkommen an der EU-Asylpolitik. (sda/dpa/afp)

Der kleine Ort Zarzis liegt im Süden Tunesiens, zwischen der libyschen Grenze, wo ein Bürgerkrieg herrscht, und Djerba, wo die Touristen aus aller Welt in den Strandhotels chillen und zu schlechtem russischem Techno tanzen.

«Diese 83 hätten gerettet werden können, wenn nur Rettungsboote unterwegs gewesen wären.»
Mongi Slim.

Djerba, die Insel, auf die schon Odysseus bei seiner Irrfahrt durchs Mittelmeer getrieben wurde. Ein fünf Kilometer langer Damm verbindet die Insel mit dem Festland.

In diesem Sommer kommen die Toten verstärkt zurück. «Seit im April in Libyen wieder heftig gekämpft wird, machen sich immer mehr Leute auf den Weg», sagt Mongi Slim. «Diese 83 hätten gerettet werden können, wenn nur Rettungsboote unterwegs gewesen wären.»

Aber seit Italien und viele andere europäische Staaten ihre Häfen für Helfer dicht gemacht haben, sind kaum noch zivile Rettungsboote vor der libyschen Küste unterwegs. Zwar gehen die Gesamtzahlen der Flüchtlinge zurück, aber für die, die die illegale Überfahrt auf sich nehmen, wird sie immer gefährlicher.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr schon 682 Menschen im Mittelmeer ertrunken. «Und das sind nur die offiziellen Zahlen,» sagt Slim.

Streit über Beerdigungen

Während in Europa über die Verteilung der Flüchtlinge und die Abschottung der Grenzen diskutiert wird, streiten die Gemeinden in Tunesien darüber, wer die Toten beerdigen muss. Am Wochenende gaben mehrere südtunesische Gemeinden bekannt, die Leichen nicht annehmen zu wollen.

«Einige Orte sagen, dass die Gräber nur für Muslime sind», erklärt Slim, der mit den Gemeinden verhandelt. Denn derzeit ist es der Rote Halbmond, der sich vor allem um die Toten kümmert. Und wer weiss schon, ob es sich um einen angespülten Muslim handelt?

Momentan begraben sie die meisten Ertrunkenen noch auf einem Stück Acker, den sie von der Gemeinde bekommen haben. Der Ort sieht mehr aus wie eine Müllkippe.

Ein Helfer des Roten Halbmondes zeigt Fotos der Bergungen auf seinem Handy. Aufgedunsene Körper, verwaschene Tattoos. Bei dem einen fehlen mehrere Finger, bei dem anderen der Kopf und ein Bein. Der Tod, der hier an den Strand gespült wird, ist nicht still und friedlich, sondern abscheulich.

Friedhof auf Müllkippe

Vor zwei Monaten hat der Rote Halbmond ein eigenes Stück Land südlich von Zarzis gekauft, wo die Toten begraben werden sollen. Momentan begraben sie die meisten Ertrunkenen noch auf einem Stück Acker, den sie von der Gemeinde bekommen haben. Der Ort sieht mehr aus wie eine Müllkippe.

Der hart getrocknete Sand knirscht unter den Sandalen von Mamadou und seinem Kumpel Ousmane Koulibali. Auch der 20-Jährige hat das Unglück überlebt. Sie gehen zum «Friedhof der Unbekannten», der nur ein paar Hundert Meter vom Flüchtlingszentrum des Roten Halbmonds entfernt liegt.

Bild
bild: dpa/simon kremer

Im Hintergrund erhebt sich das Fussballstadion von Zarzis. Die Stadt selbst ist weit entfernt. Hier wollen sie weder mit den Lebenden, noch mit den Toten zu tun haben. Verrostete Kühlschränke ragen aus dem Sand, unzählige Plastiktüten und -flaschen. Dazwischen ein paar Olivenbäume. Hier wird alles abgeladen, was nicht mehr benötigt wird.

Physische und seelische Wunden

Neben einem kleinen Sandwall stecken niedrige Pappschilder im Boden. 18 Gräber, frisch ausgehoben, zwei Meter tief, damit die Hunde die Kadaver nicht ausgraben, Baggerspuren über den platt gewalzten Gräbern. Dahinter deuten Hügel weitere Gräber an. Abgebrochene Ziegelsteine oder kleine Felsbrocken dienen als eine Art Grabstein. Vertrocknete Blumen versuchen, ein wenig Würde zu verleihen.

Mamadou und Ousmane werden noch stiller, als ohnehin schon. Hier liegt ein Teil der Menschen, die vor einer Woche mit ihnen in das wackelige Gummiboot Richtung Europa gestiegen ist.

Ousmane schlägt sich die Fliegen von den Waden. Dutzende haben sich dort auf die verheilenden Wunden gesetzt. Die Haut ist verbrannt von der Sonne und vom Benzin, das im Boot umgekippt ist. Die letzte Ruhestätte ertrunkener Träume. Ousmane will etwas sagen, bricht ab, stottert plötzlich. Dann dreht er ab und geht. (sda/dpa)

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Zivile Schiffe als Retter im Mittelmeer
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Zivile Schiffe als Retter im Mittelmeer
Ein Handelsschiff des Hamburger Reeders Christopher E.O. Opielok trifft am 12. April 2015 im Mittelmeer auf ein sinkendes Flüchtlingsboot.
quelle: epa/dpa / opielok offshore carriers / opielok offshore carriers
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Kapitänin der Sea-Watch 3 verhaftet
Video: srf
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Max Dick
22.07.2019 20:22registriert Januar 2017
Würden sie ihr Leben bei der Überfahrt auch riskieren, wenn sie wüssten, was sie wirklich in Europa erwartet? Dass nicht jeder Fussballprofi wird oder sonst das grosse Geld macht?
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Patho
22.07.2019 21:52registriert März 2017
«Die geplante Übergangsregelung soll verhindern, dass Italien und Malta Schiffen mit geretteten Menschen die Einfahrt in ihre Häfen untersagen. Beide Staaten hatten dies in der Vergangenheit mehrfach getan, weil sie befürchteten, mit der Verantwortung für die Migranten von den EU-Partnern alleine gelassen zu werden.»

Italien und Malta (und Griechenland) WERDEN von der EU vertraglich geregelt im Stich gelassen, man nennt diesen Vertrag Dublin-Abkommen... Ich weiss nicht, wie Spitzenpolitiker übersehen konnten, dass dies ein absolut bescheuertes und ungerechtes Abkommen ist...
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simiimi
22.07.2019 20:35registriert März 2015
Eine elende Situation, die kaum zu lösen ist. Auf der einen Seite haben die Migranten haben in Europa keine Zukunft, da sie mit den Schwächsten um Arbeitsplätze konkurrieren, welche zunehmend automatisiert werden. Auf der anderen Seite zwingt das atemberaubende Bevölkerungswachstum in Afrika sie zur Emigration. Ich bezweifle, dass wir jemals damit zurechtkommen werden.
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