Es sei gerade in den vergangenen Tagen zu spüren gewesen, dass trotz vieler Anstösse durch die Liberalen nicht der dringend notwendige Reformwille aufkomme, sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. «Wir hatten immer ein Ziel: Mehr als nur das Nötige zu schaffen.»
Seit Mitte November hatten ÖVP, SPÖ und die Neos über ein Regierungsbündnis verhandelt. Eine solche Koalition aus drei Parteien wäre eine Premiere in Österreich gewesen.
Die Gespräche waren auch ein Versuch, den klaren Wahlsieger, die rechte FPÖ, von der Macht fernzuhalten. Zwar hätten auch ÖVP und SPÖ eine Mehrheit, aber nur von einer Stimme.
Das Scheitern der Dreier-Gespräche gilt als schwerer Schlag für Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer. Der Regierungschef hatte eine Zusammenarbeit mit der rechten FPÖ unter deren Parteichef Herbert Kickl strikt ausgeschlossen und als Alternative auf das Dreier-Bündnis gesetzt. «Er ist angezählt», sagte Polit-Berater Thomas Hofer.
Die FPÖ fühlt sich in ihren Vorhersagen bestätigt. Seit Monaten warne sie vor dieser «politischen Missgeburt der Verlierer-Ampel nach deutschem Vorbild», sagte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. «Karl Nehammer hat all diese Bedenken ignoriert, weil es ihm in Wahrheit nur um eines geht: seinen eigenen Job als Kanzler!» Die FPÖ forderte den Rücktritt des Kanzlers.
Zunächst war unklar, wie es nun weitergeht. Als wahrscheinlichste Variante gelten Neuwahlen. Dabei könnten die Rechtspopulisten auf einen fulminanten Sieg hoffen. Letzte Umfragen signalisierten ein weiteres grosses Stimmen-Plus im Vergleich zur Nationalratswahl. Danach könnte die FPÖ ihr Ergebnis von 29 Prozent noch einmal deutlich auf rund 35 Prozent steigern.
Im Fall von Neuwahlen sei Nehammer nicht automatisch als Spitzenkandidat gesetzt, meint Hofer. Die Personaldiskussion – inklusive einer Variante mit Ex-Kanzler Sebastian Kurz – wäre eröffnet, sagte der Polit-Berater weiter.
Statt einer grossen gemeinsamen Vision für das Land hat laut Neos-Chefin Meinl-Reisinger eher ein Denken nur bis zum nächsten Wahltermin geherrscht. «Ich mache mir ernsthafte Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um den Standort.»
Knackpunkt der Verhandlungen war die Planung eines neuen Haushalts. Österreich steckt in einer Wirtschaftskrise und muss gleichzeitig streng sparen, um die EU-Kriterien für finanzielle Stabilität zu erfüllen. Die Balance zwischen einem Sparkurs und Massnahmen, die die Wirtschaft ankurbeln, gilt als Hauptaufgabe einer neuen Regierung.
Aus Sicht der ÖVP hat die SPÖ die Hauptverantwortung für die Entwicklung. «Das Verhalten von Teilen der SPÖ hat zur aktuellen Situation geführt. Während sich Teile der Sozialdemokratie konstruktiv eingebracht haben, haben in den letzten Tagen die rückwärtsgewandten Kräfte in der SPÖ überhandgenommen», schrieb ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.
Ende September hatte die FPÖ die Parlamentswahl gewonnen. Keine andere Partei hielt jedoch FPÖ-Chef Kickl selbst oder die FPÖ für regierungsfähig. Aus Sicht seiner politischen Gegner hat sich Kickl in den vergangenen Jahren radikalisiert. Da niemand unter diesem Vorzeichen mit der Partei zusammenarbeiten wollte, wurde über eine sogenannte «Zuckerl-Koalition» verhandelt. Diese Bonbon-Bezeichnung stammt von den Parteifarben türkis (ÖVP), rot (SPÖ) und pink (Neos).
Aufgrund dieser Ausgangslage hatte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem Bruch mit den bisherigen Gewohnheiten entschlossen. Statt der stimmenstärksten Partei den Auftrag zur Bildung einer Regierung zu geben, erhielt die ÖVP die Gelegenheit dazu. Das Staatsoberhaupt hatte immer wieder zu erkennen gegeben, dass er Kickl nicht als Kanzler sehen wolle.
Die Aufgaben einer neuen Regierung sind immens und setzen eigentlich eine weitgehend reibungslose Zusammenarbeit voraus. Zu den strukturellen Problemen zählt das Rentensystem, das längst nicht mehr von den Beiträgen gedeckt werden kann. Der Staat muss ein Gutteil des jährlichen Budgets zur Unterstützung der Rentenzahlungen ausgeben.
Durch hohe Lohnabschlüsse sind aus Sicht der Industriellenvereinigung die Lohnstückkosten kaum mehr wettbewerbsfähig. Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa sieben Prozent. Ein im Vergleich zur Zeit vor Corona zwar immer noch niedrigerer Wert, aber die Tendenz sei wohl weiter steigend, so der Chef des Arbeitsmarktservice, Johannes Kopf. (sda/dpa)