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Gaza-Krieg: Geisel-Deal, Rafah-Angriff – was in der Nacht passiert ist

Video: watson/lucas zollinger

Angeblicher Deal, dann Rafah-Angriff – das Wichtigste zu den Ereignissen in Gaza

Die Hamas hat am Montagabend einem Feuerpause-Deal zugestimmt, den Ägypten und Katar ausgearbeitet hatten. Laut Israel ist dieser einseitig abgeändert worden und «meilenweit» von den Forderungen des Staates entfernt. Die israelische Armee griff daraufhin in Rafah an. Eine Übersicht.
07.05.2024, 10:0707.05.2024, 15:12
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am Montagabend wurde bekannt, dass die Hamas einen von Katar und Ägypten ausgearbeiteten Friedensvorschlag zu akzeptieren bereit ist.
  • Der Sender CNN berichtete, die von der Hamas akzeptierte Fassung enthalte drei jeweils 42-tägige Phasen. Die erste sehe unter anderem die Freilassung von 33 Geiseln im Austausch für hunderte palästinensische Häftlinge, einen schrittweisen Teilabzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen und Bewegungsfreiheit für unbewaffnete Palästinenser in dem Küstengebiet vor.
  • Die zweite Phase sei nicht detailliert ausgearbeitet, laufe aber auf die Freilassung aller restlichen Geiseln, den Komplettabzug der israelischen Armee aus Gaza und eine dauerhafte Kampfpause hinaus.
  • In der dritten Phase soll demnach ein auf drei bis fünf Jahre angelegter Prozess zum Wiederaufbau Gazas beginnen.
  • Israel forderte zuvor ungefähr 100'000 Palästinenser auf, die Stadt Rafah zu verlassen.
  • Das israelische Militär attackierte in der Folge mit Luftangriffen Einrichtungen im Osten der Stadt. Es soll sich – laut Israel – um Stützpunkte der Hamas gehandelt haben.
  • Israel liess in der Folge verlauten, der Friedensvorschlag, den die Hamas zu akzeptieren bereit ist, sei einseitig abgeändert worden und meilenweit von den eigenen Forderungen entfernt. Man sei von den Vermittlern nicht mehr einbezogen worden.
  • In der Nacht auf Dienstag gab es Berichte, wonach Israel nun mit Panzern auf Rafah vorrückt und den Grenzübergang der Stadt zu Ägypten zu übernehmen versucht. Diese wurden am frühen Dienstagmorgen bestätigt, als Israels Armee bekannt gab, dass man die palästinensische Seite von Rafah und damit den Grenzübergang zu Ägypten kontrolliere.

Das Wichtigste – mit mehr Details

Wenige Stunden nach der Ankündigung der islamistischen Hamas, dem Vermittler-Vorschlag für eine Waffenruhe in Gaza zuzustimmen, hat die israelische Armee am späten Montagabend Ziele im Osten der Stadt Rafah angegriffen. Nach Angaben eines Armeesprechers handelte es sich um Einrichtungen der Hamas.

Die israelische Zeitung Haaretz sprach unter Berufung auf palästinensische Berichte von gezielten Luft- und Artillerieangriffen. Auf Videos auf X war zu sehen, wie die Stadt Rafah angegriffen wird.

Das Kriegskabinett von Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte zuvor entschieden, den Militäreinsatz in Rafah im Süden des Gazastreifens fortzusetzen, um den militärischen Druck auf die Hamas zu erhöhen und die israelischen Kriegsziele durchzusetzen.

Das israelische Militär hatte die rund 100'000 Einwohner des östlichen Teils der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten zuvor dazu aufgerufen, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager zu begeben. Die Vereinten Nationen und die Regierungen zahlreicher Staaten, darunter Deutschland, warnten vor den Folgen eines Militäreinsatzes in Rafah.

Was sagt Israel zum Angriff?

Wie es in einer Stellungnahme von Netanjahus Büro weiter hiess, sei der Vorschlag der Hamas zu einer Waffenruhe weit von grundlegenden Forderungen Israels entfernt. Eine israelische Delegation werde aber nach Ägypten reisen, um die Möglichkeiten für eine Übereinkunft zu erhöhen, die für Israel zu akzeptieren sei. Ägypten und Katar hatten den Vorschlag vermittelt, über dessen Inhalt offiziell bisher wenig bekannt ist.

Der israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hielt israelischen Medienberichten zufolge die Zustimmung der islamistischen Hamas zum Vermittler-Vorschlag für eine Waffenruhe in Gaza für einen «Trick». «Es gibt nur eine Antwort auf die Tricks und Spiele der Hamas: einen sofortigen Befehl, Rafah zu erobern, den militärischen Druck erhöhen und Hamas weiter bis zur vollständigen Niederlage zu bedrängen», sagte der Rechtsaussen-Politiker.

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Der israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir.Bild: keystone

Am Montagabend folgte die Ankündigung des israelischen Militärs, dass gezielte Angriffe im Osten Rafahs durchgeführt würden.

Zuvor hatte Channel 12 berichtet, dass es sich bei dem Feuerpause-Deal nicht mehr um den gleichen Vorschlag gehandelt habe, auf den sich Israel und Ägypten vor zehn Tagen geeinigt hätten und der die Grundlage indirekter Verhandlungen gewesen sei. Es seien «alle möglichen Klauseln» eingefügt worden, hiess es in dem Bericht. Es handele sich um einen einseitigen Vorschlag ohne Einbeziehung Israels, stand in einem weiteren Bericht. Ägypten habe die Bestimmungen einseitig gelockert, damit die Hamas zustimme. Der Vorschlag sei in dieser Form für Israel nicht akzeptabel.

Was fordern die beiden Seiten für einen Deal?

Israel und die Hamas verhandeln seit Monaten nicht direkt miteinander, es gibt aber Gespräche via den vermittelnden Staaten. Deren Schwerpunkt war zuletzt aus Katar nach Ägypten verlegt worden. Insgesamt hatten Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Organisationen am 7. Oktober mehr als 250 Menschen in den Gazastreifen verschleppt. Im Laufe einer einwöchigen Feuerpause Ende November vergangenen Jahres hatte die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entliess Israel 240 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen. Es war zuletzt befürchtet worden, dass von den noch immer im Gazastreifen vermuteten 133 Geiseln inzwischen viele nicht mehr am Leben sind.

Die Hamas forderte bis zuletzt einen umfassenden Waffenstillstand, einschliesslich eines vollständigen Abzugs der israelischen Armee aus dem Gazastreifen. Israel, das die komplette Zerschlagung der Hamas zum Ziel erklärt hat, lehnte dies bisher ab. Aussenminister Israel Katz hatte zuletzt erklärt, sein Land sei bereit, den angekündigten Militäreinsatz in der Stadt Rafah zu verschieben, sollte ein Deal zur Freilassung von Geiseln zustande kommen. Erst am Montag hatte das israelische Militär Menschen in Rafah im südlichen Gazastreifen zur Evakuierung aufgerufen.

epa11322525 Protesters and families call for the immediate release of Israeli hostages held by Hamas in Gaza during a protest outside the Kirya military headquarters in Tel Aviv, Israel, 06 May 2024.  ...
Demonstrierende in Tel Aviv fordern die sofortige Freilassung der Geiseln, 6. Mai 2024.Bild: keystone

Angehörige der Geiseln und ehemalige Geiseln hatten in den vergangenen Tagen die israelische Regierung eindringlich aufgefordert, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. In einem Schreiben an Benny Gantz und Gadi Eisenkot, Minister im Kabinett von Regierungschef Benjamin Netanjahu, hatten sie noch am Montag Antworten zur Haltung der Regierung gefordert. «Wir Familienmitglieder beobachten voller Schrecken, was passiert», schrieben sie auch mit Blick auf die Vorbereitungen der Rafah-Offensive:

«Netanjahu macht den Deal bewusst zunichte und überlässt die Geiseln ihrem Tod.»

Was sagen die USA zu Hamas-Zusage und Israel-Angriff?

Die US-Regierung prüfte am Montagabend eigenen Angaben nach die Zustimmung der islamistischen Hamas zu einem Vermittler-Vorschlag für eine Waffenruhe in Gaza. «Wir schauen uns derzeit diese Antwort an. Und wir besprechen sie mit unseren Partnern in der Region», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag. Der Frage eines Journalisten, welchen Inhalten des Vorschlags die Hamas genau zugestimmt habe, wich Kirby aus. Er werde nicht darauf eingehen, sagte er.

«Wir sind nach wie vor der Meinung, dass eine Einigung das absolut beste Ergebnis ist, nicht nur für die Geiseln, sondern auch für das palästinensische Volk. Und wir werden nicht aufhören, auf dieses Ergebnis hinzuarbeiten.»
John Kirby
National security communications advisor John Kirby speaks with reporters in the James Brady Press Briefing Room at the White House, Monday, May 6, 2024, in Washington. (AP Photo/Alex Brandon)
John Ki ...
John Kirby spricht zu Medienschaffenden, 6. Mai 2024.Bild: keystone

CIA-Chef William Burns sei in der Region und arbeite mit den Israelis daran, eine Einigung zu erzielen, so Kirby. «Das Letzte, was ich von diesem Podium aus tun möchte, ist, etwas zu sagen, das diesen sehr sensiblen Prozess noch mehr gefährden könnte. Wir befinden uns gerade in einer kritischen Phase», so Kirby. Das Schlimmste, was man nun könne, sei, darüber zu spekulieren, was die Antwort der Hamas genau beinhalte.

Ein Telefongespräch zwischen US-Präsident Joe Biden und Israels Premier Benjamin Netanjahu am Montagvormittag (Ortszeit) nannte Kirby «konstruktiv». Biden sei dabei «sehr direkt» gewesen. Die Unterhaltung habe etwa eine halbe Stunde gedauert. «Während des Gesprächs erklärte sich Premierminister Netanjahu auf Drängen des Präsidenten bereit, dafür zu sorgen, dass der Grenzübergang Kerem Schalom wieder für humanitäre Hilfe für die Bedürftigen geöffnet wird», sagte Kirby. Während des Gesprächs sei die Zustimmung der Hamas zu einem Vermittler-Vorschlag noch nicht bekannt gewesen.

Mit Blick auf eine erwartete Bodenoffensive in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen betonte Kirby, die US-Regierung unterstütze keinen Einsatz, der mehr als eine Million Menschen einem grossen Risiko aussetze. Auf die Frage der Presse, ob Washington einen begrenzten Einsatz Israels in Rafah unterstütze, ging Kirby nicht direkt ein. Israel habe allerdings bisher nicht den von den USA geforderten Plan zum Schutz der Zivilbevölkerung vorgelegt.

Die USA erklärten in der Nacht auf Dienstag (Schweizer Zeit), dass man nicht davon ausgehe, dass die von Israel gestarteten Angriffe auf Rafah den Beginn einer Grossoffensive markierten.

Das sind die weiteren Reaktionen

In mehreren Städten Israels kam es am Montagabend zu Demonstrationen für eine Verhandlungslösung zur Freilassung der Geiseln in der Gewalt der Hamas. «Zeit der Entscheidung – Leben oder Tod», hiess es auf einem grossen Transparent auf einer Demonstration von Angehörigen der am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppten Geiseln. «Statt den Krieg zu beenden, um alle Geiseln nach Hause zu bringen, droht die Regierung mit einem Militäreinsatz in Rafah, der ihr Leben in Gefahr bringen wird», sagte ein Vertreter der Familien.

Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief Israel und die Hamas auf X dazu auf, zu einer Einigung zu kommen und das Leiden zu beenden.

In einer Stellungnahme der Gruppe der Angehörigen der von der Hamas nach dem Terrorangriff am 7. Oktober verschleppten Geiseln hiess es am Montagabend, die Ankündigung der Hamas müsse den Weg für die Rückkehr der Geiseln ebnen: «Jetzt ist es an der Zeit, dass alle Beteiligten ihrer Verpflichtung nachkommen und diese Gelegenheit in einen Deal für die Rückkehr aller Geiseln verwandeln.»

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas begrüsste die Ankündigung und rief die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Israel für eine Zustimmung zu der Vereinbarung auszuüben, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur im Westjordanland.

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Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.Bild: sda

Im Gazastreifen waren nach Bekanntwerden der Zustimmung der Hamas zu dem Vermittler-Vorschlag zunächst Menschen auf die Strassen geströmt und feierten, als sei Frieden bereits näher gerückt. Sie riefen «Gott ist gross».

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi zeigte sich zuerst ebenfalls optimistisch. Er verfolge die «positiven Entwicklungen» aufmerksam, postete er auf X, ehemals Twitter. Er rief alle Parteien dazu auf, sich weiter um eine Einigung im Gazakrieg zu bemühen, um die Tragödie der Palästinenser zu beenden.

(sda/dpa/con/hah)

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176 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Meierli
06.05.2024 20:18registriert November 2019
Hamas akzeptiert einen der vielen Vorschläge Ägyptens. Der mit niemandem abgesprochen wurde. Das wird nichts. Billiges Spiel.
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Unserious_CH
06.05.2024 20:23registriert August 2016
Für einen eine Feuerpause müssen beide Seiten den Vertrag unterschreiben und wenn nun die Hamas nur ihre eigene Version des Vertrages unterschreibt, wird das Israel natürlich nicht akzeptieren.

Scheint mehr PR als wirklicher Wille zur Feuerpause zu sein.
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Randy Orton
06.05.2024 20:29registriert April 2016
Nachdem Hamas den Deal gestern noch abgelehnt hatte, die Verhandler abzog und den Grenzübergang Kerem Sharon beschossen hat ist diese plötzliche Bereitschaft zur Kooperation schon suspekt. Eventuell ein Täuschungsmanöver um die Bevölkerung in Rafah zu halten - gemäss ägyptischen Medien sei der angenommene Deal von Israel nicht abgesegnet, gar als unseriös interpretiert und von Ägypten einseitig ausgearbeitet worden.
Bald werden wir wissen, ob es Hamas ernst ist oder ob sie weiterhin Spielchen spielen.
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