Marat Gabidullin war ein Söldner der geheimnisvollen russischen Privatarmee Wagner. Und zwar nicht irgendein Söldner – er war Befehlshaber einer von fünf Syrien-Einheiten bei Wagner.
Nun hat Gabidullin seine Memoiren verfasst: «в одну реку дважды» («Zweimal in denselben Fluss»). Gegenüber dem «Guardian» erklärt er: «Ich habe das Buch geschrieben, weil ich erkannt habe, dass es für Russland an der Zeit ist, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Es gibt Söldner in Russland» – trotz des Verbots privater Armeen.
Gabidullin ist heute 55 Jahre alt, Veteran der russischen Luftlandtruppe und ehemaliger Leibwächter. Im Jahr 2015 schloss er sich der damals relativ unbekannten Söldnertruppe an. Und schon bald wurde er an der Seite der russischen Armee, die Präsident Bashar al-Assad unterstützt, in Syrien eingesetzt.
In «Zweimal in denselben Fluss» erzählt Gabidullin, was er während drei Jahren Syrienfeldzug erlebt hat. Er beschreibt ganze Operationen, darunter zwei zur Befreiung der antiken Stadt Palmyra. «Die Erfolge der russischen Armee in Syrien sind grösstenteils den Opfern der Söldner zu verdanken. Diese Tatsache wird vom militärischen Establishment völlig ignoriert und ist der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt», klagt Gabidullin gegenüber dem «Guardian». Gleichzeitig verharmlost er auch Plünderungen und Fehltritte der Wagner-Truppe nicht.
Die «Wagner-Gruppe» wurde 2014 etabliert, um prorussische Separatisten in der Ostukraine zu unterstützen. Als Gründer der Firma trat Dmitri Utkin auf – ehemaliger Oberstleutnant des russischen Militärgeheimdienstes sowie Veteran der Tschetschenienkriege. Seit Beginn ist das Unternehmen von Geheimnissen umhüllt: Auf dem Papier existiert die Firma nicht, es gibt weder eine Firmeneintragung noch Steuererklärungen oder ein Organigramm. Wagner ist eine regelrechte Schattenarmee, die ein Teil des russischen Sicherheitsapparates ist.
Nach den Einsätzen in Syrien hat Wagner unter anderem Operationen in der Zentralafrikanischen Republik und in Libyen durchgeführt – rohstoffreiche Länder, an denen Russland strategische Interessen hat. Stichhaltige Beweise von Einsätzen der Wagner-Truppen gibt es fast keine – mutmasslich sind sie aber in Dutzenden Staaten aktiv.
Wie sich die Einsätze von Wagner finanzieren, ist nicht mit Sicherheit geklärt. Vermutet wird, dass der russische Unternehmern und Oligarch Jewgeni Prigoschin die Truppe mit Geld versorgt. Zumindest wurde Prigoschin 2020 mit Sanktionen der EU belegt, die unter anderem mit einer Verbindung zur Wagner-Gruppe begründet wurden, 2021 wurden ihm auch vonseiten der USA Sanktionen auferlegt. Prigoschin ist einer der engsten Vertrauten Putins und wird «Putins Koch» genannt, da er das einzige private Restaurant im Gebäude des russischen Parlaments in Moskau betreibt.
Westliche Regierungen argumentieren, dass Wagner ein inoffizielles aussenpolitisches Instrument des Kremls sei, das überall dort eingesetzt werde, wo Russland seinen Einfluss ausweiten wolle. Putin allerdings bestreitet, Kenntnis von einer Privatarmee zu haben – denn offiziell sind private Militärunternehmen in Russland nach wie vor illegal. Wenn überhaupt, dann spricht man in Russland von der «Wagner-Gruppe», einem privaten Sicherheitsunternehmen.
Letzte Woche behauptete die US-Tageszeitung «Daily Beast», dass Wagner-Soldaten von Afrika aus möglicherweise in die Ukraine verlegt worden seien. Zu diesen Gerüchten sagt Gabidullin: «Ich glaube, dass ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland eine totale Katastrophe für Russland sein wird. Dies sollte unter keinen Umständen zugelassen werden. Die Ukraine ist unser Bruder.»
Nach einer Verletzung wurde Gabidullin ins Büro versetzt und zu Prigoschins Assistent, 2019 stieg er aus der Wagner-Armee aus.
Zunächst sollten die Wagner-Memoiren 2020 veröffentlicht werden, doch Gabidullin musste das Buch wieder zurückziehen. Nun hat der Verleger «Gonzo» in der Stadt Jekaterinenburg das Buch doch herausgebracht – fernab vom «all sehenden Auge in Moskau», wie der Ex-Söldner gegenüber dem Magazin «Meduza» erklärt. Und weiter: «Ich gehe davon aus, dass Prigoschin versuchen wird, mich zu diskreditieren. Es ist auf jeden Fall ein Drahtseilakt.»
Trotz aller persönlichen Risiken ist Gabidullin überzeugt, mit der Veröffentlichung des Buches das Richtige zu tun: «Ich dachte mir: ‹Genug, es ist Zeit, aus dem Schatten zu treten.› Ich werde mich nicht davon abhalten lassen, zu veröffentlichen. Es geht nicht nur um mich.» Denn das Verbot privater Militärfirmen in Russland würde die Familien verstorbener Söldner unter Druck setzen, über ihre Angehörigen zu schweigen.
Das Buch ist aktuell nur auf Russisch erhältlich. Der Pariser Verlag «Michel Lafon» plant zurzeit eine erste Übersetzung.
(yam)