Anfang März packt Olena ihre Sachen ins Auto. Etwas mehr als 2000 Kilometer stehen ihr bevor. Ihr, die sie doch erst die Autoprüfung im Dezember absolvierte. Zusammen mit ihrer Tochter und Mutter fährt Olena von Kiew an die polnisch-ukrainische Grenze, durchquerte Polen, danach Deutschland und gelangt nach Rorschach in die Schweiz.
Am 10. März kommt Olena in die St. Galler Gemeinde. Über Kontakte findet sie eine Schweizer Familie, die bereit ist, sie alle drei aufzunehmen. Fünf Monate sind seither vergangen.
«In einigen Bereichen fühle ich mich hier fast mehr zu Hause als in der Ukraine», sagt Olena schmunzelnd. «Hier legt man Wert auf Pünktlichkeit. Sehr viel ist logisch und ordentlich. Das gefällt mir sehr!»
Sie spricht fliessend Deutsch. 2014, bevor der bewaffnete Konflikt auf der ukrainischen Krim ausbricht, arbeitet sie für eine österreichische Firma in Kiew. Die bietet ihren Angestellten Deutschkurse an. Olena, wissbegierig auf eine neue Sprache und Kultur, meldet sich an.
Die gelernte Betriebswissenschaftlerin arbeitet derzeit als Dolmetscherin. Vier Stunden am Tag, vier Tage die Woche unterstützt sie andere ukrainische Geflüchtete, die kein Deutsch verstehen.
Eigentlich sucht Olena einen Job auf ihrem alten Gebiet. Sie hat Finanz- und IT-Kenntnisse. Hofft, dass sich bald etwas ergibt. Doch ohne Zeugnisse und Referenzen sei es nicht einfach. «Ich fühle mich schuldig, dass ein fremder Staat mir Geld für meine Familie gibt. Das fühlt sich nicht richtig an.» Sie sei immer berufstätig gewesen. Habe zusammen mit ihrem Mann ein gutes Leben in Kiew gehabt. Bis der Krieg ausbrach.
Für eine eigene Wohnung reicht das Geld noch nicht. Doch Olena hätte sie gerne. Seit März teilen sie Kühlschrank und Badezimmer in Rorschach mit ihrer Gastfamilie. Sie sei sehr dankbar für diese Möglichkeit, möchte aber baldmöglichst auf eigenen Beinen stehen.
Eine baldige Rückkehr nach Kiew schliesst sie aus. Für ihre 80-jährige Mutter sei das keine Option. «Ich möchte nicht, dass sie ihren Lebensabend im Krieg verbringen muss.» Und auch ihre 15-jährige Tochter hätte in der Ukraine keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen.
Wären Mutter und Tochter nicht, wäre Olena in Kiew geblieben. Hätte weitergearbeitet, vielleicht beim Wiederaufbau geholfen. Doch sie verharrt in der Schweiz. Versucht sich hier etwas aufzubauen. Und rechnet damit, dass sie noch zwei Jahre bleiben wird.
Der Grossteil der ukrainischen Geflüchteten sind Frauen und Kinder. Nicht so Mykhailo. Der 26-Jährige lebt seit Ausbruch des Krieges ebenfalls im Ausland. Vier Monate davon in der Schweiz.
Als das ukrainische Raketenabwehrsystem in der Nacht auf den 24. Februar zum Einsatz kommt, sind Mykhailo und seine Freundin bereits auf dem Weg in den Westen des Landes. In Lwiw nehmen sie einen Zug bis nach Budapest.
Er habe lange gedacht, Putin spiele einfach seine Spiele und wolle mit den Drohungen die Preise für Öl und Gas in die Höhe treiben. «Ich hätte niemals gedacht, dass im 21. Jahrhundert ein Krieg in Europa möglich ist», sagt Mykhailo.
Bis zu jener Nacht im Februar. «Ich wusste, dass wir sofort gehen müssen. Bereits am nächsten Tag liessen sie keine Männer im wehrfähigen Alter mehr aus dem Land», erinnert sich Mykhailo.
In Budapest angekommen, reisen er und seine Freundin weiter nach Albanien. Bleiben dort für einen Monat. Und kommen schliesslich in die Schweiz. «Freunde von uns erzählten von einem Bauernhof, der Mitarbeitende sucht», so Mykhailo. In einem kleinen Dorf im Kanton Thurgau arbeiten die beiden auf einem Hof für Kost und Logie.
Mykhailo und seine Freundin säubern Hühnereier. Putzen den Stall. Helfen beim Transport der Legehennen und bei sonstigen Hofarbeiten. Nebenbei sucht Mykhailo einen Job als IT-Ingenieur.
Doch der Bewerbungsprozess verläuft harzig. Mykhailo hätte gerne mehr Geld verdient. Wäre mit seiner Freundin in eine eigene Wohnung gezogen. Doch er wird nur einmal zu einem Jobgespräch eingeladen.
Nach vier Monaten in der Schweiz beschliessen die beiden nach Deutschland zu gehen. Mykhailo kennt Freunde, die in Hamburg wohnen. Mykhailos Anruf kommt aus der Hansestadt.
Unterdessen habe er einen Job gefunden. Bei einem ukrainischen Unternehmen, das international agiert. «Der Job ist super. Aber ich verdiene wenig», sagt Mykhailo.
Er und seine Freundin machen sich deshalb Gedanken, wie es nun weitergehen soll. «Vielleicht gehen wir nach Asien. Dort sind die Lebenshaltungskosten tiefer», so der 26-Jährige.
Weder er noch seine Freundin denken aktuell über eine Rückkehr in die Ukraine nach. Sie möchten zurück, aber die jetzige Situation sei zu unstabil. Kommt hinzu, dass Mykhailo, kehrt er einmal zurück, das Land nur noch für wenige Tage verlassen dürfte. So will es ein neues Gesetz.
Jedes Mal, wenn Mykhailo von weiteren Raketenanschlägen hört, schickt er Geld in die Ukraine. Manchmal an seine Grossmutter, die noch dort ist, manchmal an die Soldaten an die Front. Er sei unglaublich dankbar, dass er noch die Möglichkeit hatte, das Land zu verlassen. «Das will ich nutzen und etwas aus mir machen. Damit ich den Menschen in meinem Land etwas zurückgeben kann.»
No way. >90% der Flüchtlinge wird bleiben und das ist absolut nachvollziehbar, weil wir alle genauso bleiben würden.
Alle Branchen leiden unter Fachkräftemangel, aber wir lassen IT-Ingenieure auf einem Bauernhof Hühnereier waschen.
In Ulm, nach dem Krieg wurde meine Oma aufs Land geschickt, bekam eine ausgebrannten Ruine zugeteilt und hat sie dann am Anfang allein und als Opa wieder da war zu zweit zu einem kleinen Hof auf.
Meine Mutter wurde in dem Haus geboren,
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