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Hat die Ukraine eine neue Superwaffe?

FILE - Rising smoke can be seen from the beach at Saky after explosions were heard from the direction of a Russian military airbase near Novofedorivka, Crimea, Aug. 9, 2022. More massive explosions an ...
Rauch steigt über der Krim-Halbinsel auf.Bild: keystone

Hat die Ukraine eine neue Superwaffe?

Noch ist unklar, was hinter den Angriffen auf die Krim steckt. Einige Experten vermuten nun, dass die Ukraine im Besitz einer neuen Superwaffe ist.
23.08.2022, 10:0224.08.2022, 16:03
Corsin Manser
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Es begann am 9. August. An jenem Dienstagmorgen ereigneten sich auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Saki gewaltige Explosionen. Mindestens neun Kampfjets wurden dabei zerstört, wie Satellitenbilder am nächsten Tag zeigten.

Exakt eine Woche später, am 16. August, folgte der nächste Schlag. In der Nähe der Stadt Dschankoj flog ein russisches Munitionslager in die Luft. Videos des dramatischen Vorfalls verbreiteten sich in Windeseile im Netz.

Video: watson

Was löste die Explosionen aus?

Seither stellt sich die Frage: Wer und was steckt hinter den Explosionen auf der besetzten Krim-Halbinsel? Denn sowohl der Luftwaffenstützpunkt als auch das Munitionslager liegen weit hinter der Frontlinie – rund 200 Kilometer. Trotzdem war es offenbar möglich, die Ziele punktgenau anzugreifen.

Russland begründete die Explosion auf dem Luftwaffenstützpunkt mit einem «Unfall». Das zerstörte Munitionslager sei hingegen auf Sabotage zurückzuführen, so Moskau.

Die Ukraine lieferte bis heute keine eindeutigen Erklärungen. Ein anonymer Beamter sagte der «New York Times», dass bei Saki ein «Gerät» verwendet worden sei, das ausschliesslich in der Ukraine hergestellt werde. Andere ukrainische Quellen behaupteten, dass ukrainische Spezialeinheiten den Luftwaffenstützpunkt in die Luft gejagt hätten.

Auch der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow führte die Explosionen auf ukrainische Spezialeinheiten zurück. In einem Interview mit der Washington Post sagte er, dass sich diese mit Saboteuren und Widerstandskämpfern zusammengetan hätten und nun die russischen Streitkräfte weit hinter den Frontlinien schwächen würden. Bei den Anschlägen seien keine amerikanischen Waffen gebraucht worden, so Resnikow.

Ehemaliger Navy Seal vermutet Raketenangriff

Trotz der Beteuerungen des Verteidigungsministers vermuten einige Experten, dass die Ukrainer die russische Luftwaffenbasis mit einem Raketenangriff zerstört haben. Die Krater, die auf den Satellitenbildern zu sehen sind, seien so gross, dass sie wahrscheinlich nicht durch platzierten Sprengstoff entstanden seien, sagt etwa Chuck Pfarrer, ehemaliger Anführer des «Navy Seal Team 6».

Gegen die Spezialeinheit-Theorie spreche auch, dass sich die Explosionen an helllichtem Tag ereignet hätten, so Pfarrer. Wäre ein Spezialkommando in die Luftwaffenbasis eingedrungen, hätte es das wahrscheinlich in der Nacht machen müssen, um unentdeckt zu bleiben.

Pfarrers Einschätzung ist nicht unwidersprochen. Datenanalyst Oliver Alexander gibt etwa zu bedenken, dass gelagerte Munition Ursache für die Krater sein könnte. Alexander bringt auch die Theorie ins Spiel, dass eine sogenannte «loitering munition» die Explosion ausgelöst haben könnte.

Damit sind Drohnen gemeint, die ein Ziel angreifen können und dabei selbst explodieren. Die USA lieferten kürzlich 580 solcher Kamikaze-Drohnen in die Ukraine. Doch Pfarrer bleibt bei seiner Meinung: «Meine Erfahrung sagt mir, das war ein Raketenangriff.»

Und hier wird es richtig spannend: Denn die Ukrainer haben offiziell gar keine Rakete, die bis zur Luftwaffenbasis Saki fliegen könnte.

Doch das ist nur der offizielle Stand der Dinge.

Sind ATACMS-Raketen in der Ukraine?

Bekannt ist, dass die Ukraine seit längerer Zeit die Lieferung sogenannter ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System) fordert. Diese können vom Raketenwerfersystem M270 und von den HIMARS abgefeuert werden und über 300 Kilometer weit fliegen. Deutlich weiter als die bisher gelieferten GMLRS-Raketen, die eine Reichweite von rund 80 Kilometer haben.

Die ATACMS-Rakete erreicht ein Tempo von 3,5 Mach. Sie stellt damit die Luftabwehr vor unlösbare Probleme und ist auf Videos nicht zu sehen.

Vor einem Monat zeigte sich Resnikow zuversichtlich, dass die USA diese ATACMS-Raketen bald liefern würden. Offiziell hat die Biden-Regierung eine Lieferung von ATACMS-Raketen bislang immer ausgeschlossen. Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte Ende Juli, man wolle keine ATACMS-Raketen schicken, da man eine Eskalation mit Russland fürchte.

Doch die Lage in der Ukraine hat sich in den vergangenen Wochen verändert.

Die Ukrainer haben bewiesen, dass sie mit den hochmodernen Waffensystemen aus dem Westen umgehen können. Etwa im Osten der besetzten Stadt Cherson, wo die Ukrainer mit präzisem Raketenbeschuss Brücken über den Fluss Dnjeper beschädigten.

Hat sich Biden angesichts der ukrainischen Erfolge entschieden, trotzdem ATACMS-Raketen zu liefern? Nicht nur die Anschläge auf der Krim führen dazu, dass diese Vermutung nun immer lauter geäussert wird.

Denn seit wenigen Tagen kursiert in den sozialen Medien ein Video, in dem mutmasslich ein HIMARS der ukrainischen Armee zu sehen ist. Und die Vorrichtung auf dem Lastwagen hat die Aufmerksamkeit der Experten auf sich gezogen.

Werden die HIMARS mit GMLRS-Raketen bestückt, die etwa 80 Kilometer weit fliegen können, sind im Normalfalls sechs Raketen zu sehen. Diese Bilder sind aus der Ukraine bekannt. Doch im aufgetauchten Video ist die Startkapsel abgedeckt.

Militärexperte Thomas C. Theiner kommt deswegen zum Schluss, dass die Ukraine ATACMS-Raketen verstecken möchte. «Was machst du, wenn du sicherstellen willst, dass niemand erfährt, dass du ATACMS-Raketen erhalten hast? Nun, dann deckst du die Rückseite deines HIMARS ab», so Theiner auf Twitter.

HIMARS können mit einer ATACMS-Rakete bestückt werden.
HIMARS können mit einer ATACMS-Rakete bestückt werden. screenshot: twitter/noclador
Sie können alternativ aber auch sechs GMLRS-Raketen mit sich führen.
Sie können alternativ aber auch sechs GMLRS-Raketen mit sich führen. screenshot: twitter/noclador

Auch der ehemalige Navy Seal Chuck Pfarrer glaubt, dass die Ukraine im Besitz der Superwaffe ist. Zur Attacke auf die Luftwaffenbasis Saki schreibt er: «Wahrscheinlich war dies das erste Mal, dass die Ukraine ATACMS gebraucht hat.»

Die Lieferung von ATACMS-Raketen könnte den Krieg wesentlich verändern. Kiew könnte damit die ganze Krim-Halbinsel und die Krim-Brücke ins Visier nehmen. Die USA haben sich zwar immer dagegen ausgesprochen, Ziele in Russland anzugreifen. Die Krim erachten sie aber als ukrainisches Staatsgebiet.

Auf dem europäischen Kontinent gibt es übrigens schon länger ATACMS-Raketen. Rumänien besitzt 54 Stück und auch die Türkei und Polen sollen damit ausgerüstet sein. ATACMS-Raketen könnten also relativ schnell in die Ukraine geliefert werden.

So sieht ein HIMARS in Aktion aus:

Video: youtube/Lockheed Martin
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76 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ironiker
23.08.2022 10:39registriert Juli 2018
Die Russische Technologie ist der Westlichen komplett unterlegen. Hätten die Russen keine Atombomben, würden die Ukrainer wohl irgenwann bis Moskau vorstossen...
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Liebu
23.08.2022 10:37registriert Oktober 2020
Fragen über Fragen.
Aber egal was es war, es hat funktioniert.
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Ilovepies
23.08.2022 10:43registriert Februar 2015
es wird noch einiges mehr in der Ukraine laufen als bekannt ist. Die US und wohl auch GB/FR werden seit längerem im Verborgenen wirken. Unmöglich, dass dies die Ukraine alles selbst auf die Reihe bringt. Ich gehe sogar davon aus, dass gewisse Nato Mitglieder zig Monate vor dem Angriff bereits Vorbereitungen getroffen haben. Für Putin gibts kaum noch einen Ausweg, der nicht an einer Atom-Eskalation vorbei geht. Bin aber noch immer der Überzeugung, dass er diesen Schritt nicht wagen wird.
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