Der Fall sorgte weltweit für Furore: Eine Iranerin hat den Mörder ihres Sohnes begnadigt, als dieser bereits den Strick um den Hals trug. Statt am Galgen zu baumeln, bekam er von ihr eine Ohrfeige. Der 25-jährige Täter mit Namen Bilal hatte vor sieben Jahren den damals 18-jährigen Abdollah Hosseinsadeh auf einer Strasse in Rojan in Nordiran erstochen.
Nun hat Samereh Alinedschad, die Mutter des Opfers, in einem Interview mit dem «Guardian» erläutert, wie es zur spektakulären Begnadigung kam. Demnach war sie bis zuletzt entschlossen, Bilal hängen zu sehen. Sie habe bereits ihren jüngeren Sohn durch einen Motorradunfall verloren, als dieser elf Jahre alt war, und sei deshalb ausser sich vor Schmerz gewesen: «Bis zur letzten Minute wollte ich ihm nicht vergeben.»
Doch dann erschien ihr Abdollah im Traum: «Zehn Tage vor der Hinrichtung bat er mich, keine Rache zu nehmen, doch das konnte mich nicht überzeugen. Zwei Nächte vor dem Termin sah ich ihn erneut im Traum, doch er wollte nicht mit mir reden.» Sie habe sich darauf mit ihrem Ehemann Abdolghani Hosseinsadeh, einem pensionierten Arbeiter, besprochen: «Du hast das letzte Wort, sagte er zu mir. Du hast zu viel gelitten, wir werden tun, was du sagst.»
Laut der Scharia können Angehörige der Opfer die zum Tode verurteilten Mörder begnadigen, auch kurz vor der Hinrichtung. Zahlreiche iranische Künstler und Sportler hatten den Vater, der auch als Fussballtrainer tätig ist, aufgerufen, Bilal zu vergeben. Am 15. April sollte die öffentliche Exekution vor dem Gefängnis der Stadt Nuschahr stattfinden. Die Familie des Opfers hat dabei das Recht, sie zu vollziehen, indem sie den Stuhl wegstösst, auf dem der Verurteilte steht.
Als er bereits mit verbundenen Augen auf dem Stuhl stand, habe Bilal um Gnade gefleht, und sei es nur für seinen Vater und seine Mutter. Noch immer aber war Alinedschad nicht bereit, ihm zu verzeihen, obwohl auch aus der Menge Rufe kamen, Bilal zu verschonen. Dann geschah das Unerwartete: Samereh Alinedschad stieg auf einen Hocker, doch statt den Stuhl wegzustossen, gab sie Bilal die Ohrfeige.
Wirklich erklären kann sie sich den plötzlichen Sinneswandel bis heute nicht: «Ich fühlte, wie der Zorn aus meinem Herzen verschwand und das Blut in meinen Adern wieder zu fliessen begann», sagte sie dem «Guardian». Sie brach in Tränen aus und bat ihren Mann, Bilal die Schlinge vom Hals zu nehmen. Damit war die Begnadigung vollzogen, worauf es zu einer tränenreichen Umarmung von Samereh und Kobra, der Mutter des Täters, kam. Bilal sitzt nun im Gefängnis, denn die Begnadigung ist nicht gleichbedeutend mit einer Freilassung.
Samereh Alinedschad hat auch im Iran viel Zuspruch für ihren Grossmut erhalten, worüber sie sich freut. Sie habe den Frieden wiedergefunden, den sie seit dem Tod ihres Sohnes verloren habe: «Ein Kind zu verlieren ist, als ob man einen Teil seines Körpers verliert. In all den Jahren habe ich mich wie in einem toten Körper gefühlt. Aber jetzt fühle ich Ruhe und Frieden, die Rache hat mein Herz verlassen.»