Der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki hat sich in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung seines Landes gewandt. Die Menschen sollten im Kampf gegen die Terrorgruppe zusammenstehen. «Wir sind die Kinder einer Religion», sagte der Premier, der zuletzt angesichts des Vormarsches der Dschihadisten hilflos und ratlos wirkte.
Am Samstag versuchte Maliki sich kämpferisch zu geben. Für eine Spaltung in Sunniten und Schiiten gebe es keinen Platz, betonte er. Dabei hatte er in den vergangenen Jahren trotz öffentlichen Betreuungen wenig dafür getan, dass es ein Ausgleich zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden im Irak gibt.
Maliki bevorzugte bisher seine schiitischen Glaubensbrüder, die ihn bei den Parlamentswahlen 2009 und 2014 mehrheitlich wählten. Der Premier versprach in seiner Fernsehrede, die sunnitischen Extremisten der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien, kurz ISIS, zurückzuschlagen: «Wir sind die Tapferen.»
Er forderte die Iraker auf, vereint gegen die Angreifer vorzugehen. «Der Staat steht hinter euch, das Kabinett, die Gelehrten und die Stämme.» Die ganze Welt vertraue auf «unseren Kampf gegen ISIS».
Hunderte Freiwillige würden in Kürze zur Armee stossen, kündigte Maliki an. Die jungen Männer haben sich nach Medienberichten in Bagdad freiwillig gemeldet, um gegen die auf die Hauptstadt vorrückenden ISIS-Terroristen zu kämpfen.
Die Freiwilligen folgten damit einem Aufruf durch den schiitischen Grossajatollah Ali al-Sistani. Er hatte an die Iraker in seiner Freitagspredigt appelliert, zu den Waffen zu greifen und sich den Sicherheitskräften anzuschliessen, um das Land und seine heiligen Stätten zu verteidigen. Es war eine der seltenen politischen Stellungnahmen des Grossajatollahs.
Maliki hielt seine Rede am Samstag in der Stadt Samarra, rund 130 Kilometer nördlich von Bagdad. Samarra war Mitte der Woche von ISIS-Kämpfern eingenommen worden – wurde aber am Freitag von der irakischen Armee befreit. Die Stadt werde «nicht die letzte Verteidigungslinie sein, sondern ein Sammelpunkt» im Konflikt mit den ISIS-Kämpfern. «Das ist der Anfang vom Ende für sie», sagte Maliki.
Iraks Truppen waren zunächst von dem raschen Vordringen der ISIS-Kämpfer überrascht worden. Viele Soldaten flohen vor den Dschihadisten. Der Zustand der in den vergangenen Jahren hochgerüsteten Armee ist schlecht, vor dem Vorrücken der Dschihadisten waren zahlreiche Soldaten desertiert.
Die irakische Armee erwies sich im Kampf gegen ISIS als ineffektiv, schreibt die «Washington Post». Eine Armee, deren Rekrutierungssystem auf politischer Loyalität oder der Höhe von Bestechungsgeldern beruhe, «zerfällt in ihrer Moral».
Der benachbarte Iran hat Maliki seine «uneingeschränkte Solidarität» zugesichert, die irakische Regierung ist Teherans Verbündeter in der Region. Der iranische Präsident Hassan Ruhani schloss sogar eine Zusammenarbeit mit den USA nicht aus. «Wenn wir sehen, dass die Vereinigten Staaten gegen terroristische Gruppen im Irak einschreiten, dann kann man darüber nachdenken», sagte er. «Bisher haben wir aber von ihrer Seite keine Handlungen gesehen», fügte er hinzu.
US-Präsident Barack Obama hatte am Freitag eine Entsendung von Bodentruppen in den Irak ausgeschlossen. Er werde in den kommenden Tagen eine «Reihe anderer Optionen» prüfen. Die irakische Regierung soll bei der US-Regierung angefragt haben, ob diese die islamistischen Extremisten mit Drohnenangriffen bekämpfen könne.
Die irakische Luftwaffe meldete am Samstag, sie habe über 200 ISIS-Kämpfer bei Angriffen im Nordirak getötet. Wie die Nachrichtenseite «Al-Sumaria News» unter Berufung auf irakische Sicherheitsbeamte berichtete, erfolgten die Attacken auf ISIS-Stellungen in Baidschi. Die in der Provinz Salaheddin gelegene Stadt war am Mittwoch von ISIS-Kämpfern eingenommen worden.
Zuvor hatte ISIS Mossul im Nordirak erobert und war weiter Richtung Süden vorgedrungen. Die Dschihadisten kamen bis auf 60 Kilometer an Bagdad heran. Die irakische Armee gibt an, die Kämpfer aus vielen eroberten Provinzen zurückgedrängt zu haben.
Die kurdische Armee will am Samstag den Grenzübergang al-Jarubija zwischen dem Irak und Syrien von beiden Seiten gesichert haben. Mit irakischen Stammeskriegern sei die Grenze eingenommen worden, meldeten Aktivisten auf Twitter. Damit wäre ein wichtiger Versorgungsweg der Terrorgruppe ISIS zwischen Mossul und Nordsyrien blockiert. Diese Berichte lassen sich – wie die Meldungen der irakischen Armee – jedoch nicht unabhängig überprüfen.
Der Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin geht von einem Angriff der ISIS auf die irakische Hauptstadt aus. «Es geht ISIS auch deutlich um Bagdad», sagte er. Die Organisation werde versuchen, in den sunnitischen Stadtvierteln Fuss zu fassen. In Bagdad dominierten die Schiiten mit Regierungstruppen und loyalen Milizionären. «Da wird ISIS nicht Fuss fassen können.»
Steinberg rechnet aber mit schweren Anschlägen auf die Stadt in den kommenden Tagen. Eine schnelle Lösung des Konflikts sei nicht in Sicht: «Von Stabilität darf man in den nächsten Jahren nicht reden». «Allerdings wird da auch die Grenze der Expansion liegen.»
US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat wegen der Irak-Krise die Verlegung eines Flugzeugträgers in den Persischen Golf angeordnet. Damit soll Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität gegeben werden. Dies für den Fall, dass militärische Optionen nötig werden sollten, «um das Leben von Amerikanern, Bürgern und Interessen im Irak zu schützen», wie Pentagon-Sprecher John Kirby am Samstag mitteilte.
Demnach befand sich der Flugzeugträger «USS George H.W. Bush» bisher im Arabischen Meer und sollte am späten Abend (US-Zeit) sein Ziel erreichen. Begleitet werde er von einem mit Raketen bestückten Kreuzer und einem Zerstörer.
(heb/dpa/Reuters)