Löcher in Sibirien wohl Folge unterirdischer Methan-Explosionen – Droht uns das sechste Massensterben?
Die Riesenkrater in der sibirischen Tundra sorgen für Millionen Klicks auf YouTube und für Aufregung unter Wissenschaftlern. Wie entstehen die Löcher mit einem Durchmesser von mehr als 40 Metern? Handelt es sich um Einschläge von Meteoriten? Oder sind sie das Resultat von unterirdischen Sumpfgasexplosionen und damit die Folge der Klimaerwärmung?
Im Permafrost der sibirischen Tundra sind riesige Mengen an Methan gespeichert, die nun teilweise freigesetzt werden. Sollte die Methan-These stimmen – vorläufig handelt es sich um eine plausible Hypothese, mehr nicht –, dann könnten die Folgen dramatisch sein. Methan ist ein Treibhausgas, das weit aggressiver wirkt als CO2. Gelangt dieses Gas in grossen Mengen in die Atmosphäre, dann sind selbst die schlimmsten Klimaerwärmungsszenarien Makulatur, und ein «sechstes Massensterben» wäre dann eine denkbare Entwicklung geworden.
Das Anthropozän oder wie der Mensch die geologische Entwicklung des Planeten beeinflusst
Massensterben sind in der Geschichte des Planeten nichts Neues (siehe Box).

Etwa 96 Prozent aller Meereslebewesen und 70 Prozent aller an Land lebenden Tiere und Pflanzen wurden beim dritten Massensterben vor 251 Millionen Jahre ausgerottet. Ursache war diesmal jedoch eine massive Klimaerwärmung.
Das vierte Massensterben ereignete sich vor 200 Millionen Jahren. Aus noch ungeklärten Ursachen starben viele frühe Verwandte der Fische, die meisten grossen Amphibien und ein Grossteil der Wirbeltiere aus.
Vor rund 60 Millionen Jahren schlug ein grosser Meteorit in der Nähe der mexikanischen Halbinsel Yucatan ein und löste das fünfte Massensterben aus. Ihm fielen unter anderem die Dinosaurier zum Opfer.

Das Einzigartige am Massensterben der Gegenwart besteht darin, dass es von den Menschen verursacht worden ist. Der niederländische Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen hat deshalb 2002 in einem bekannten Artikel in der Fachzeitschrift «nature» den Begriff «Anthropozän» geprägt. Darunter versteht man das Phänomen, dass der Mensch die geologische Entwicklung des Planeten Erde mit beeinflussen kann.
Als Beispiele für seine These führt Crutzen folgende Tatsachen an:
- Menschliche Aktivitäten haben zwischen einem Drittel und der Hälfte der Landoberfläche der Erde verändert.

- Die meisten der wichtigsten Flüsse werden entweder gestaut oder umgeleitet.

- Düngerfabriken stellen mehr Stickstoff her, als die natürlichen Ökosysteme binden können.

- Industrielle Fischer entnehmen den Küstengewässern mehr als einen Drittel der primären Fischproduktion.

- Menschen verbrauchen mehr als die Hälfte des einfach zugänglichen Trinkwassers.

Heute schon verschwinden 14 Pflanzenarten – pro Tag
Elizabeth Kolbert ist eine mehrfach ausgezeichnete amerikanische Wissenschafts-Journalistin. Sie arbeitet für das renommierte Magazin «The New Yorker». In ihrem kürzlich veröffentlichten Buch «The Sixth Extinction» (Das sechste Massensterben) geht sie den Thesen von Crutzen nach und evaluiert die Wahrscheinlichkeit eines neuen Massensterbens. Das Resultat ist erschreckend. «Wenn wir sehr konservativ davon ausgehen, dass es im tropischen Regenwald rund zwei Millionen Pflanzenarten gibt, dann müssen wir damit rechnen, dass jedes Jahr rund 5000 davon verloren gehen. Das heisst: etwa 14 Arten verschwinden – pro Tag», stellt Kolbert fest.

Es gibt eine Reihe von Artensterben, für die es keine Erklärungen gibt. In Südamerika beispielsweise sind viele Froscharten ohne ersichtlichen Grund bedroht. In Nordamerika ist ein rätselhaftes Fledermäusesterben zu beobachten. Besonders dramatisch ist die Situation der Korallen. Ihr Schicksal heisst: Versauerung.
Der böse Zwilling der Klimaerwärmung
Die Versauerung der Meere wird gelegentlich als «böser Zwilling» der Klimaerwärmung bezeichnet. Warum dies so ist, kann man rund um die kleine Insel Castello Aragonese in der Nähe von Neapel beobachten. Der Säuregrad mit dem so genannten ph-Wert gemessen. Er hat eine Skala von 0 bis 14.
Heute liegt der durchschnittlich Meeres-ph-Wert bei 8,1. Rund um die Insel Castello Aragonese jedoch beträgt er 7,8. Der Grund dafür ist ein durch einen Vulkan verursachter Spalt im Untergrund des Meeres, durch den grosse Mengen von CO2 entweichen. Wissenschaftler haben untersucht, was diese Versauerung für die Meerestiere bedeutet. Das Resultat ist ernüchternd: Ein Drittel aller Arten überlebt unter diesen Umständen nicht.
Die Tropenwälder des Meeres sterben ab
Das Meer absorbiert grosse Mengen an CO2. Dadurch sinkt der ph-Wert kontinuierlich. Wegen der Klimaerwärmung ist der durchschnittliche ph-Wert bereits von 8,2 auf 8,1 gesunken. Das tönt nach wenig, ist aber dramatisch. «Ein Rückgang von 0,1 Punkten bedeutet, dass die Ozeane heute um 30 Prozent saurer sind als um 1800», stellt Kolbert fest. «Wenn wir weiter machen wie bisher wird der ph-Wert bis Mitte des Jahrhunderts auf 8,0 fallen und gegen Ende auf 7,8. Das bedeutet, dass die Ozeane dann 150 Prozent saurer sein werden als vor dem Beginn der Industriellen Revolution.»
Für die Korallen ist diese Entwicklung tödlich. Die «Tropenwälder der Meere» werden absterben, und zwar schon bald. Eine gross angelegte australische Studie des weltberühmten Great Barrier Reef kam zum Schluss, dass die Korallendichte in den letzten 30 Jahren um die Hälfte zurückgegangen ist. In den nächsten 50 Jahren, so die düstere Prognose der Forscher, werde das Riff «nicht mehr wachsen und allmählich zerfallen».
Erben gigantische Ratten den Planeten?
Die von Menschenhand gemachte Klimaerwärmung ist heute schon enorm, sie ist «mindestens zehnmal schneller als am Ende der letzten Eiszeit», schreibt Kolbert. Die Zukunft sieht düster aus. Die Fauna in den Anden beispielsweise, die wegen ihrer extremen Höhenlage besonders bedroht ist, könnte schon 2050 um einen Drittel reduziert sein. «Sollte die Erwärmung ihren höchsten Grad erreichen, dann könnten in der Mitte dieses Jahrhunderts zwischen 38 und 52 Prozent aller Arten verschwunden sein», folgert Kolbert.

Ein von Menschen gemachtes Massensterben wäre ein bisher einzigartiges Phänomen. «Keine andere Kreatur hat dies zustande gebracht», schreibt Kolbert. «Unglücklicherweise wird dies unsere einzige Hinterlassenschaft sein. Das sechste Massensterben wird das Leben auf dem Planeten weiter beeinflussen, lange nachdem alles, was Menschen geschrieben, gemalt und gebaut haben, zu Staub zerfallen sein wird und gigantische Ratten die Erde geerbt haben.»
Gestaltung: Anna Rothenfluh