BeReal will vor allem eines sein: «keine weitere Social-Media-Plattform». So steht es in der Beschreibung der in Frankreich entwickelten App BeReal. Sie will «die authentischen Momente» des Lebens einfangen. Was damit gemeint ist und wie «real» die App tatsächlich ist – ein Testbesuch:
Bei BeReal geht es – ähnlich wie bei Instagram oder Snapchat – hauptsächlich um Fotoinhalte. Etwas ist jedoch anders: Die App fordert einen auf, ein Foto zu schiessen. Das kann man sich so vorstellen: Zu einer zufälligen Uhrzeit ploppt ein Fester auf, welches dich auffordert, innert der nächsten zwei Minuten ein Foto zu machen – und zu verschicken. Die Zeit des Posts wird also nicht von dir, sondern von der App vorgegeben.
Diesen Zeitpunkt habe ich also abgewartet – und so kam's raus:
Während der Timer läuft, versuche ich, ein einigermassen erträgliches Foto meiner Himbeeren zu schiessen und werde im Moment des Schnappschusses überrascht. Und zwar von meiner Innenkamera, die mich beim Fotografieren zeigen soll.
Sollte einem die Aufnahme nicht gefallen – und man hat noch etwas Zeit übrig –, kann man nochmals ein Foto knipsen. (Was ich offensichtlich tat, indem ich geschickt mein Gesicht aus dem Sichtfeld der Kamera manövrierte.)
Dieses Foto kann ich dann mit Freundinnen und Freunden teilen, die ich aus dem Telefonbuch importiere. Zudem werde ich gefragt, ob ich meinen Standort teilen will.
Oder ich kann das Bild im «Discovery»-Feed teilen. Der erinnert im Prinzip an die «Entdecken»-Funktion auf Instagram. In diesem Feed zeigt es mir Fotos und Menschen aus aller Welt an. Ob aus Dänemark, Ecuador oder Kanada – Gruppenselfies, Bücher, Beine, Bildschirme und Esstische erstrahlen auf meinem Screen. Die Bilder sind jeweils für 24 Stunden aufrufbar.
Wer seine Kontakte (genauso wie ich) nicht per Telefonbuch importieren möchte, hat auch die Möglichkeit, diese direkt über ihren Benutzernamen zu suchen. In derselben Maske werden auch gleich alle Freundschaftsanfragen angezeigt.
Anstelle eines persönlichen Profils gibt es bei BeReal die Funktion «Deine Memories», die analog zu Instagram in etwa das Archiv darstellt. Die jüngst geschossenen Fotos kann aber bloss ich sehen.
Das neuartige Prinzip des Hochladens der Fotos von «BeReal» sorgte zu Beginn für etwas Verwirrung. Die Bilder können jederzeit gepostet werden – nicht nur während des vorgegebenen Zeitrahmens von zwei Minuten. Die Aufnahme erscheint dann aber mit dem Zusatz «late», der darauf aufmerksam macht, dass das Foto nicht spontan – also nicht ganz so «real» – entstanden ist. Die Fotos, die im Feed der User erscheinen, sind alle direkt in der App aufgenommen worden, ein Upload aus der Kamerarolle ist nicht möglich.
Nein, auf der Plattform, die «keine weitere Social-Media-Plattform» sein möchte, gibt es bisher (noch) keine Influencer. Der Grund dafür ist genauso genial wie einfach: Fotos anschauen können offenbar nur diejenigen, die auch Fotos posten. Passives Nutzungsverhalten ist also fehl am Platz, was das Prinzip des «Influencens» einschränkt.
Um sich mit anderen auszutauschen, gibt es keinen klassischen Chat, wie man ihn von Instagram, Facebook und Snapchat kennt. Stattdessen haben User die Möglichkeit, mittels «RealMoji» eine Fotoreaktion auf das Bild eines Freundes oder einer Person im Discovery-Feed zu senden.
Die App kommt aus Frankreich und wurde in Paris von Alexis Barreyat entwickelt, der davor bei GoPro als Videoproduzent arbeitete. Gegründet hat er BeReal 2020. Die App ist bisher (Stand Anfang April) rund 7,4 Millionen Mal heruntergeladen worden. Angaben dazu, wie viele Nutzerinnen und Nutzer der App bislang treu geblieben sind, gibt es nicht.
French social app BeReal, which encourages users to post one selfie per day, has exploded in popularity with Gen Z users; Apptopia says MAUs are up 315% in 2022 (Sara Fischer/Axios) https://t.co/FSwiJc3NLK pic.twitter.com/dNv6PAt8Oe
— imreganreynolds (@imreganreynolds) April 11, 2022
Besonders die Generation Z (in den späten 1990er bis zu den frühen 2000er Jahren geboren) sei laut Angaben der Entwickler begeistert vom neuen Social-Media-Konzept.
Über die Finanzierung der App ist nur wenig bekannt. Letzten Sommer sei die App laut dem amerikanischen Nachrichtenportal Crunchbase durch mehrere europäische und amerikanische Investoren mit insgesamt 30 Millionen Dollar unterstützt worden.
Keine Filter, keine Retuschen, keine im Vorfeld geplanten Posts – die App kommt im Gegensatz zu Instagram tatsächlich etwas realer daher. Auffällig ist im Unterschied zu Instagram, Snapchat und Co. auch, dass die App kaum Benachrichtigungen pusht – abgesehen vom Foto-Reminder. Das macht die Plattform (jedenfalls für mich) weit weniger zeitintensiv als ihre bekannteren Konkurrenten.
Grundsätzlich macht die App einen ruhigeren und privateren Eindruck. Und das Beste: Likes und Followerzahlen werden nicht angezeigt, was die Plattform für Influencer wiederum weniger interessant macht. Wie lange sich Influencer tatsächlich fernhalten lassen, wird sich spätestens mit der allfällig steigenden Popularität der App zeigen.
Wie populär die App tatsächlich wird, ist derzeit schwierig abzuschätzen. Fotos von Leuten, wie sie jeden Tag einfach ihren Hund Gassi führen, in Bildschirme starren oder das dreckige Geschirr spülen, gefallen vermutlich nicht allen.
Wie viele die inszenierte Instagram-Welt für die neue Wirklichkeit verlassen, wird sich zeigen. Für manche mag das Abbilden des simplen Alltags wohl eher langweilig erscheinen.
Aber ob jemand sehen will, was ich im Verlauf eines normalen Tages mache, wage ich zu bezweifeln...