Fitnesscenter sind die neuen Golfplätze, hat watson kürzlich vermeldet. Teilen Sie diese Einschätzung?
Für das Kieser-Training trifft dies mit Sicherheit nicht zu. Es gibt zwar gelegentlich Paare, die sich bei uns kennengelernt haben. Aber im Allgemeinen trainiert man bei uns für sich allein – und geht dann wieder.
Die Atmosphäre ist tatsächlich sehr asketisch.
Das stimmt. Wer «socializing» will, wie das heute heisst, ist bei uns an der falschen Adresse. Das war nicht immer so. Als die Fitness-Welle in den 70er Jahren so richtig losbrach, machte ich ebenfalls beim Wohlfühl-Trend mit. Ich habe damals in Sauna und Pools investiert. Es war eine strategische Fehlentscheidung.
Was hat Sie zum Umdenken bewogen?
Die Leute sind nur noch herumgelegen und haben nicht mehr trainiert. Da habe ich Sauna und Pools wieder herausgerissen – und einen Drittel der damaligen Kundschaft verloren. Dafür sind dann allmählich die Richtigen gekommen.
Wer genau ist die oder der Richtige fürs Kieser-Training?
Wir haben das in Deutschland sehr genau untersuchen lassen und dabei ein eindeutiges Resultat erhalten: Bei uns trainiert die gebildete Mittelschicht. Wir haben auffallend viele Intellektuelle. In Deutschland haben wir deshalb den Übernamen: «Mucki-Bude für Akademiker».
Dabei waren Ihre Anfänge eher proletarischer Natur.
Ich komme vom Land, und mein erstes Trainingsstudio befand sich im Zürcher Arbeiterviertel Kreis 4. Meine ersten Kunden waren Polizisten, Zuhälter und Prostituierte. Dann kamen viele Jugendliche und bald auch Leute vom Zürichberg dazu. So entwickelte sich eine bunt gemischte Kundschaft.
Wie wurden Sie zur akademischen Mucki-Bude?
Es hat sich so ergeben, vor allem in Deutschland. Zu uns kommen Menschen, die wissen, dass sie etwas für ihre Gesundheit tun müssen, die aber keinen Rummel und keine Musik wollen. Bei uns ist das Training hart. «Kommt zu uns, es ist lustig», wäre kein guter Werbeslogan für uns.
Trotz Askese wurden Sie ein erfolgreicher Unternehmer.
Marketing begann mich zu interessieren. Ich bin zwar ein Autodidakt, aber ich habe bald gemerkt, dass ich nicht alle mit meinem Konzept ansprechen kann. Deshalb konzentriere ich mich auf die Gruppe, die man salopp mit Spiegel- oder NZZ-Leser umschreiben kann.
Wie sind Sie selbst aufs Krafttraining gekommen?
Als Landbub wollte ich Schwinger werden, ich war aber zu klein. Da hat mir mein Lehrer geraten: Geh doch boxen, dort hat es Gewichtsklassen. Im Training habe ich mich verletzt. Ein spanischer Profi-Boxer, der bei uns trainiert hat, riet mir: Du musst jetzt mit Gewichten arbeiten, dann bist zu schneller wieder gesund. So hat es angefangen. Das war noch in den 50er Jahren, als bei uns Krafttraining noch weitgehend unbekannt war.
Woran haben Sie sich orientiert?
Mein erster Mentor, Werner Hersberger, hat mir einen Stapel amerikanischer Kraftsport-Magazine gegeben. Das hat mit geholfen, meine ersten Maschinen zu bauen. So ist mein Studio entstanden. Nicht alle waren überzeugt. Als ich meinem Vater erklären wollte, was ich in meinen Keller bastle, sagte er: du spinnst. Glaubst du tatsächlich, dass die Menschen dich dafür bezahlen, dass sie bei dir «chrampfen» müssen? Doch dann kam die Fitness-Welle – und ich war bereits da.
Wie unterscheiden Sie sich von anderen Fitness-Zentren?
Ich bin streng wissenschaftlich orientiert. Auch die amerikanische Kraftsportszene hat mich inspiriert. So gibt es beispielsweise in meinen Studios keine Musik, weil das ablenkt. Deshalb schmissen die US-Kraftsportler jeden sofort raus, der mit einem Radio angetanzt kam.
Was halten Sie von einer militärisch angehauchten Fitness-Welle wie Crossfit?
Das ist eine Erfindung der Schuhmarke Reebok. Die hatten ein Absatzproblem und haben daher einen neuen Trend geschaffen. Physiologisch gesehen ist das ein Unsinn. Unsere Infanterie-Kampfbahnen waren schon vor 50 Jahren besser.
In der Fitness-Szene ist es wie in der Religion: Jeder ist überzeugt, den richtigen Weg zum Seelenheil gefunden zu haben.
Ich werde gelegentlich auch Guru genannt. Ich mag diesen Vergleich nicht: Ein Guru hat Eingebungen, ich hingegen kann alles empirisch mit Fakten belegen.
Wir seien zu dick und bewegten uns zu wenig, predigen uns die Präventivmediziner. Was das Bewegen betrifft, haben Sie eine eigene Ansicht. Jogging steht bei Ihnen nicht hoch im Kurs.
Es gibt es viele Mythen und Missverständnisse auf diesem Gebiet – auch unter Medizinern. Fitness beispielsweise heisst im Sinne von Darwin: Der Umwelt zufällig angepasst zu sein. Heute ist es gleichbedeutend mit sportlicher Leistung.
Sportliche Leistung ist doch gesund.
Nicht unbedingt. Sport und Gesundheit sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Sport kann gesunde Effekte haben, aber das geschieht eher zufällig. Primär betreibt man Sport jedoch nicht, weil man gesund sein will, sondern weil man Spass daran hat. Ich boxe immer noch gerne, aber ich würde Ihnen doch niemals empfehlen: Gehen Sie boxen, das ist gesund.
Und was ist nun mit der Bewegung?
Bewegung ist nicht das Entscheidende, sondern der Widerstand. Im Weltraum beispielsweise fehlt Ihnen der Widerstand. Deshalb leiden Astronauten im Extremfall an Muskelschwund und porösen Knochen. Die Qualität der Bewegung liegt darin, dass sie den Widerstand der Erdanziehung überwindet.
Der Mensch sei kein Lauftier, ist ein bekannter Spruch von Ihnen.
Sie wissen nicht, wie oft ich deswegen angefeindet worden bin. Es gibt Jogger, die deswegen richtig wütend werden. Das ist für mich ein Zeichen für ein Suchtverhalten. Joggen kann high machen. Mit diesen Menschen kann man keine wissenschaftliche Diskussion führen.
In der Steinzeit musste der Mensch beim Jagen rennen, lautet die These der Jogging-Befürworter.
Das ist reine Spekulation. Wenn wir die menschlichen Füsse betrachten, stellen wir fest, dass sie eigentlich verkümmerte Hände sind. Anatomisch gesehen ist der menschliche Fuss ein Greiforgan. Richtige Lauftiere wie etwa das Pferd haben Hufe, und die sind ganz anders aufgebaut.
Okay, Joggen ist ungesund. Was aber ist mit Wandern?
Wandern ist sehr gesund, deshalb habe ich auch zwei Hunde, die mich zum regelmässigen Wandern zwingen. Im Unterschied zum Joggen erhalten Sie beim Wandern nicht Schläge mit dem sechsfachen Körpergewicht auf die Gelenke.
«Der Mensch wächst am Widerstand», lautet ein anderer Slogan von Ihnen. Was meinen Sie damit?
Auch das macht mir Probleme. Linke fragen mich oft, ob ich ein heimlicher Rechter sei.
Es geht ein bisschen in Richtung des Nazi-Spruchs «Was mich nicht umbringt, macht mich stark».
Was antworten Sie auf diese Kritik?
Tatsache ist nun mal, dass alles, was nicht gebraucht wird, von der Natur eliminiert wird. Das gilt auch für das Gehirn. Diese Einsicht schmeckt nicht allen. Aber ich habe lieber bittere Wahrheiten als süsse Lügen, vor allem, wenn ich Resultate sehe. Wenn ich beispielsweise sehe, wie eine 70-jährige Frau dank meinem Training wieder schmerzfrei eine Tasche tragen kann, dann erfüllt mich das mit Stolz und Genugtuung.
Sie würden einem übertriebenen Körperkult huldigen, wird Ihnen auch vorgeworfen.
Es gibt diesen christlich-abendländischen Dualismus, der Geist und Körper trennt. Die Muskeln werden zum Gegenpol des Geistigen. Zum Glück denken die Menschen heute anders. Darum kommen auch so viele Intellektuelle ins Kieser-Training. Ich halte es auch für normal, dass Menschen gut aussehen wollen, vor allem junge Menschen. Mit 20 will man bekanntlich leben, ab 40 will man überleben.
Wie würden Sie den Sinn und Zweck des Kieser-Trainings umschreiben?
Gesund alt werden. Es geht eigentlich nur darum. Leben bedeutet, den Tod physisch hinauszuzögern. Die Natur hat null Interesse daran, dass wir lange über unsere Reproduktionsfähigkeit hinaus überleben.
Nach 40 sind wir für die Evolution nicht mehr interessant?
Früher, schon ab 25 geht es bergab. Aber wir können die Evolution austricksen, indem wir immer wieder die Situation von Kampf und Flucht simulieren. Krafttraining eignet sich ideal dafür.
Joggen stärkt dafür den Kreislauf.
Zwei hochintensive Krafttrainings-Einheiten pro Woche haben einen vergleichbaren Effekt. Das ist mit umfangreichen Studien nachgewiesen worden. Aber man muss es anstrengend tun – und regelmässig. Wir haben mit unserem Bewegungsapparat Probleme, wenn wir dies nicht tun. Deshalb ist Krafttraining auch für Jogger empfehlenswert. Das Laufen macht schliesslich keinen Spass, wenn Rücken oder Hüften schmerzen.
Möglichst lange, ja gar ewig zu leben, ist ein neues Ziel, vor allem bei den Milliardären im Silicon Valley.
Aus meiner Sicht ist das Blödsinn. Ich bin jetzt 78, dank Krafttraining gut in Form, aber ich bin doch nicht mehr jung. Natürlich lässt es sich nicht bestreiten, dass heute ältere Menschen viel besser «zwäg» sind als noch vor 50 Jahren. Das haben wir vor allem der Medizin, der Ernährung und der Hygiene zu verdanken.
Und ein bisschen auch dem Krafttraining?
Ich bin überzeugt, dass wir viele Altersgebresten – Rheuma, Gicht, Diabetes, etc. – wirksam bekämpfen könnten, wenn wir schon im Schulturnen zweimal wöchentlich ein Krafttraining einbauen würden.
Geniessen Sie das Krafttraining?
Man gewöhnt sich daran. In Deutschland werde ich immer wieder gefragt: «Was machen Sie gegen den inneren Schweinehund?» Meine Antwort lautet jeweils: «Trainieren Sie ein Jahr hart, dann verstummt er.» Inzwischen fehlt mir das Training, wenn ich es nicht regelmässig ausüben kann.
Sie entwickeln immer noch neue Maschinen. Hat man nicht irgendwann den kleinsten Muskel im menschlichen Körper erforscht?
Sehen Sie: In Japan werden mittlerweile mehr Windeln für Erwachsene verkauft als für Kinder. Dank unserer neuen Beckenbodenmaschine muss das nicht sein. Sie hilft Männern nach einer Prostata-Operation oder Frauen nach der Menopause. Oder wir haben eine neue Beinpresse entwickelt, die vielleicht gegen die Parkinson-Krankheit helfen kann.
Yoga ist heute sehr im Trend. Ist das eine Ergänzung zu Ihrem Krafttraining oder eine Konkurrenz?
Ich war wahrscheinlich einer der Ersten, der in Zürich Yoga praktiziert hat. Das war in den 60er Jahren bei einem jungen Inder. Damals habe ich alles ausprobiert. Mit der Mystik konnte ich mich allerdings nicht wirklich anfreunden, deshalb wechselte ich später ins rationalere autogene Training.
Wie beurteilen Sie Yoga heute?
Yoga hat drei Grundelemente: Dehnung. Da muss man heute ein Fragezeichen dahintersetzen. Stretching wird nicht mehr empfohlen, es führt zu Schlottergelenken. Das Zweite ist die Atemtechnik. Das kann zu schönen Erlebnissen führen, je nachdem, wie man es interpretiert. Das Dritte ist die Metaphorik mit Sonne, Mond und all den Göttern. Da habe ich als bekennender Atheist Mühe. Als Kaufmann sage ich hingegen: In meinem nächsten Leben mache ich eine Yogaschule auf. Da kann ich mir die teuren Maschinen ersparen.