Dieser Film schreit: Opfeeeerrrr!!! Das Buch, auf dem er basiert, ebenfalls. Das Problem ist, dass Buch wie Film eine sadistische Freude daran haben, die arme Frau, die sie zeigen, noch einmal sehr aktiv zum Opfer zu machen. Draufzuhalten. Denn hier geht es um die konstante Erniedrigung der Marilyn Monroe und ihres Körpers. «Blond» von Andrew Dominik ist ein klassischer Exploitation-Movie und wie es sich für einen solchen gehört, ist die geopferte Frau in Dutzenden von wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Szenen nackt zu sehen.
Das Buch heisst «Blonde» (oder «Blond» auf Deutsch) und stammt von Joyce Carol Oates (84), einer der grössten amerikanischen Autorinnen, die es liebt, in populären amerikanischen Mythen herumzustochern. «Blonde» erschien 2000, war ursprünglich 1400 Seiten lang, wurde von Oates um die Hälfte gekürzt und ist erklärtermassen keine sachliche, sondern eine fiktionale Biografie.
Das muss man wissen, wenn man sich jetzt den Film auf Netflix anschaut. Er ist kein Biopic. Er ist wie das Buch eine Hollywood-Halluzination. Eine Fieberjagd. Ein Einfühlen (im Falle von Oates vielmehr ein Einwühlen) in einen Mythos. Vieles ist erfunden, und zwar derart, dass etliche Menschen, wenn sie denn noch leben würden, Oates mit Erfolg verklagen könnten, etwa der Sohn von Charlie Chaplin.
Die künstlerische Freiheit ist gross: Todesengel wabern durch den Roman, Zitate aus der amerikanischen Literaturgeschichte werden zu Marilyns eigenen literarischen Versuchen, etwa Gedichte von Emily Dickinson, viele Szenen, gerade aus der Kindheit von Norma Jeane in Heimen und bei Pflegeeltern, glaubt man von irgendwoher zu kennen. Charles Dickens vielleicht?
Egal. Es geht Oates um ein Destillat, den beispielhaften Aufstieg und Fall einer Celebrity. Sie hätte «Blonde» mit ein paar Änderungen auch über Diana schreiben können. Garniert ist ihr Roman mit enorm viel Sex, Blut (vor einer ihrer Fehlgeburten verspeist Marilyn noch schnell einen Batzen rohes Fleisch, so viel Drastik muss sein) und fäkaler Selbstbesudelung: Die Monroe, dieser weiss-blonde Strahlekörper, den wir aus ihren Filmen kennen, muss unbedingt zu einem Märtyrerinnen-Körper gemacht werden.
Andrew Dominik fokussiert in seinem beinahe drei Stunden langen Film auf zwei Themen: Marilyns tragischen Kinderwunsch und Marilyn und die Männer according to Oates. Beides ist ein Elend. Ein Massengrab der Illusionen von einer Frau, die hilflos und naiv und immer wie in einem Wachtraum gefangen, von einer Falle in die nächste tappt.
Angefangen beim abwesenden Vater, den sie in jedem ihrer Männer sucht, indem sie leise «Daddy» haucht. Über Chaplin junior, den Ex-Baseballspieler Joe DiMaggio (Bobby Cannavale) und den Dramatiker Arthur Miller (Adrien Brody) bis hin zum Präsidenten John F. Kennedy, der am besten kommen kann, wenn er dazu im TV einen Raketenstart sieht. Alles endet immer sehr, sehr schrecklich.
Was jetzt nach Trash klingt (und woran Oates auch öfter grenzt), ist allerdings noch schlimmer: Es will ums Verrecken Kunst sein! Auch das muss man wissen, wenn man sich «Blond» anschaut. Andrew Dominik spielt Godard, wechselt nach völlig undurchschaubarem Muster von schwarz-weiss zu farbig, spielt mit Bildformaten und Linsen, verzerrt, verzögert, bastelt selbstverliebt vor sich hin, am manieriertesten bei den Sexszenen – und landet schon nach wenigen Momenten auf der schier endlosen Rutschbahn der Langeweile.
Und dabei möchte Netflix mit «Blond» doch so gern nach den Oscars greifen. Unter den Produzenten befindet sich Brad Pitt und der gespenstische und tatsächlich schöne (da ist eine Nominierung sogar realistisch) Soundtrack ist von Nick Cave.
Ana de Armas spielt sich die Seele aus dem Leib und die Haut vom Körper und leider ist das genauso forciert, wie es klingt, weder «Knives out» noch «No Time to Die» vermochten sie für diese Tour de Force fit zu machen, und neulich konstatierte sie frustriert, dass von «Blond» wohl vor allem die Nacktszenen berühmt werden dürften.
Wer Marilyn Monroe lieber im Original kennenlernen möchte, soll sich das Buch «Tapfer lieben» mit Monroes eigenen Aufzeichnungen, Gedichten, Kochrezepten und Briefen zu Gemüte führen, es ist wunderbar. Die winzigen Texte, die sie in einer veritablen Sauschrift auf Fresszetteln, Hotelbriefpapier und in Notizheften hinterliess, sind scharfzüngig und smart und immer wieder sehr melancholisch. Und manchmal erlaubte sie sich auch einen Racheakt.
So wurde sie 1961 gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, die Ärzte tasteten wieder und wieder ihre Brüste ab und badeten sie, und als sie genug hatte, nahm sie einen Stuhl, zertrümmerte damit eine Scheibe und sagte, ganz Schauspielerin: «Wenn Sie mich behandeln wie übergeschnappt, benehme ich mich eben wie übergeschnappt.» Word.
«Blond» läuft ab dem 28. September auf Netflix.
Messi..