«Mach es», haben sie gesagt. «Du wirst ‹Black Mirror› mögen!», haben sie gesagt. Und mich dazu verdonnert, meinen Senf zur 5. Staffel der dystopischen Netflix-Serie dazuzugeben. Ausgerechnet mich, einen Serien-Banausen, dessen Erfahrungen sich auf «Married... with Children» und – immerhin – «Breaking Bad» beschränken.
So habe ich mir spätabends grummelnd die Episode «Smithereens» reingezogen. Und – was soll ich sagen – ich bin begeistert! Wenn die anderen Folgen halten, was «Smithereens» verspricht, dann kann das was werden mit mir und «Black Mirror». Vielleicht werde ich dann endlich tun, was ich mir nach «Breaking Bad» schon vergeblich vorgenommen hatte: mir Zeit für dieses neumodische Serien-Format zu nehmen.
Es braucht Zeit, sich mit Chris Gillhaney (Andrew Scott) zu identifizieren; zu neurotisch wirkt zunächst dessen Aversion gegen die omnipräsente Smartphone-Seuche. Doch schnell wird klar, dass da etwas Verborgenes ist, das diesen verschlossenen Hitcher-Fahrer (Hitcher entspricht Uber) verfolgt und quält. Und ihn zum Geiselnehmer werden lässt.
Chris hat es auf ein hohes Tier des Social-Media-Konzerns Smithereen abgesehen, doch mit dem jungen Jaden (Damson Idris) fällt ihm nur ein Praktikant in die Hände. Dass die Polizei auf ihn aufmerksam wird und ihn bald mit seiner Geisel im Auto auf einer südenglischen Wiese umzingelt, macht sein Vorhaben nicht leichter: Chris will ein Telefongespräch mit Smithereen-Boss Billy Bauer (Topher Grace) höchstpersönlich.
Bis es so weit kommt, vergeht viel Zeit – zu viel womöglich für ein junges Publikum, dessen Aufmerksamkeitsspanne vom Rhythmus der Smartphone-Benachrichtigungen geeicht ist. Nicht für mich. Ich habe mich in dieser 70-minütigen, zuweilen wie ein Kammerspiel anmutenden Episode keine Sekunde gelangweilt. Und obwohl dieser britischen Serie der Ruf vorauseilt, sie verdunkle mit ihrem Pessimismus das Gemüt jedes empathischen Zuschauers, habe ich ab und zu gelacht.
Denn Charlie Brooker, der «Black Mirror» erfand und auch das Drehbuch für «Smithereens» geschrieben hat, würzt das Geschehen mit subtilen Pointen. So mischt sich Schadenfreude in das Mitleid, wenn man zusieht, wie sich im Gesicht der britischen Einsatzleiterin Konsternation breit macht, als sie erkennen muss, dass der Social-Media-Gigant mehr über den Geiselnehmer herausgefunden hat als ihre Ermittler. Während die Beamten mit ihrer traditionellen Detektivarbeit wie ein analoges Relikt anmuten, saugt der Datenkrake die Informationen mit stupender Geschwindigkeit aus seinen eigenen Eingeweiden.
Emotion und Einsicht – «Smithereens» vermittelt beides. Das berührende Finale zwingt selbst den Zyniker in mir in die Knie, auch weil es – nicht zuletzt dank Scotts glaubwürdiger Präsenz – eben nicht im Schwulst ersäuft, wie dies in Hollywood-Produktionen zu oft geschieht. Zugleich eröffnen paradoxe Situationen diskret Perspektiven auf Zusammenhänge – etwa wenn ausgerechnet der Mann an der Spitze eines Social-Media-Konzerns zu Beginn gar nicht erreichbar ist. Billy Bauer geniesst meditierend das Privileg der Ungestörtheit auf einem kargen Berggipfel, während Chris selbst in seinem Auto abgehört wird.
Zentrales Thema von «Smithereens» ist Schuld. Da ist die Mutter (Amanda Drew), die sich schuldig fühlt am Suizid ihrer Tochter und eine Antwort in deren Social-Media-Account finden möchte, aber das Passwort nicht kennt. Bauer dämmert, dass er ein süchtig machendes Monstrum geschaffen hat. Und Chris ist unter der Last seiner Schuld längst zerbrochen – auch die Beichte, die er bei Bauer ablegt, wird ihn nicht erlösen.
Das wissen wir bestimmt, auch wenn das Ende offen bleibt. Wir erfahren nicht, ob der «finale Rettungsschuss» der Polizistin tödlich ist – und für wen. Wir erfahren auch nicht, was die Mutter – als sie dank Chris endlich das Passwort erhält – im Social-Media-Account ihrer toten Tochter findet. Und wir erfahren nicht, ob Bauer aus all dem die Konsequenzen ziehen wird – wenn er fertig ist mit Meditieren.
Was wir indes erfahren, ist: Was für Chris ein einschneidendes, hochdramatisches und vermutlich tödliches Erlebnis ist, verbreitet sich in Sekundenschnelle weltweit als News-Häppchen. Es wird schnell verdaut sein.