Der Blick auf das Kinojahr 2023 hält so manche vielversprechende Ankündigung bereit, mit grossen Namen und etlichen Stoffen, die aus der Vergangenheit etwas Zeitgemässes bergen wollen: Steven Spielberg erinnert sich an seine cineastische Kindheit in «The Fabelmans». Greta Gerwig könnte mit ihrer trendig-pinken «Barbie» einen spassigen Überraschungshit landen. Indiana Jones kehrt noch einmal zurück, Tom Cruise begibt sich ein siebtes Mal auf «Mission: Impossible», Cate Blanchett gibt als Dirigentin in «Tár» den Takt vor und Christopher Nolan entfesselt mit «Oppenheimer» ein atomares Inferno.
Nun, gleich zum Jahresanfang kommt «The Banshees of Inisherin» in die Kinos, ein Publikumsliebling der besseren Sorte, der auf den Filmfestivals in Venedig, Toronto und Zürich Furore machte und gute Chancen hat, bei der diesjährigen Verleihung der Oscars abzuräumen. Obwohl sie nach einigen Skandalen in jüngster Zeit an Renommee eingebüsst haben, könnten die Golden Globes, die am 10. Januar verliehen werden, einen ersten Fingerzeig darauf geben. Die Auslandspresse in Hollywood hat den Film achtfach nominiert, damit führt er das Feld an.
Für sein neues Werk hat der irische Regisseur Martin McDonagh ein eigenes Theaterstück adaptiert. Das Ergebnis ist das filmische Äquivalent zu diesem einen Praliné in der Schachtel, auf das sich fast alle einigen können, die weder Marzipan noch Krokant mögen. Schreiend komisch und tragisch zugleich, manchmal grausam und eine Spur nachdenklich, ohne deshalb gleich in existenzialistische Untiefen vorzudringen.
Obendrein so wunderschön gefilmt, dass man am liebsten das Fährschiff ins Jahr 1923 besteigen und zu diesem fiktiven irischen Inselchen Inisherin fahren möchte, wo die strahlenden Sonnenuntergänge darüber hinwegtrösten, dass man ansonsten herzlich wenig zu reden oder tun hat.
Eine malerische Schäferkulisse hält noch lange kein Glücksversprechen bereit, im Gegenteil. Zwar ist die Insel ein ordentliches Stück vom Festland abgelegen, doch im Hintergrund donnern dumpf die Kanonen des irischen Bruderkriegs. Und womöglich spiegelt sich der Konflikt der grossen Welt in der Gemütslage der vermeintlich Unbetroffenen, gelangt das Gemeine doch noch in das märchenhafte Paradies. Denn der Film fängt mit einer Tat an, mit der es im Kino nicht oft endet, jedoch noch seltener beginnt: Eine Freundschaft ist zerbrochen, ganz unvermittelt, wortlos, schmerzhaft.
Eines schönen Tages ist der begriffsstutzige Hirte Pádraic für seinen alten Trinkkompagnon Colm einfach nur noch Luft; dieser hat genug von stundenlangen Erzählungen über Eselsdung und andere Eseleien, er will die restliche Lebenszeit lieber dem Komponieren von Liedern und dem Geigenspiel widmen.
Keine gemeinsamen Kneipenbesuche am frühen Nachmittag mehr, ein Drama, dem kein Drama vorausgegangen ist, kein Streit, keine Schlägerei. Nur ein schlichtes: «Ich mag dich einfach nicht mehr.» Colin Farrell spielt diesen bedauernswerten Tölpel Pádraic sensationell, mit dem Blick und der ewigen Treue eines Hundes, der nicht begreifen kann, warum man ihn verstossen hat.
So wirklich versteht man sie auch als Zuschauer nicht, diese Naturgewalt, die über den maulfaulen Colm gekommen ist, einen stoischen Fels von einem Mann, der von niemand anderem gespielt werden könnte als von Brendan Gleeson. Suchte er wirklich nur Selbstverwirklichung oder Stille? Wer glaubt, was bei einem Bruch der beiden ebenso sturen wie stolzen Freunde einsetzt, könne nur mit einer allmählichen Heilung weitergehen, täuscht sich. «The Banshees of Inisherin» zelebriert schwarzhumorig und absurd die Zerstörung, geradezu die Zerstückelung einer Männerfreundschaft.
Regisseur und Autor McDonagh ist ein Spezialist für die Eskalation fragiler Beziehungen. Zwei antagonistische Kräfte rissen bereits in seinem letzten Film «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» alles andere um sich herum in einen Strudel hinab.
Die Geschichte einer um ihre Tochter trauernden Mutter, die gegen den Polizeichef mit einer Plakatkampagne tätig wird, erhielt 2017 bei sieben Nominationen zwei Oscars. Noch mehr führt «The Banshees of Inisherin» jedoch den Geist jenes Films fort, der den Iren 2008 in manchen Kreisen zu einem Kultregisseur werden liess: «In Bruges» (im Deutschen unter dem originelleren Titel «Brügge sehen … und sterben?» bekannt).
Damals schon hockten Farrell und Gleeson als untergetauchte Auftragskiller in dem schmucken belgischen Städtchen, nur vereint durch unzählige Pints Bier. Für den Jüngeren eine Qual, für den Älteren eine willkommene Gelegenheit zum historischen Sightseeing.
Umbringen hätte der eine den anderen sollen. Doch die Freundschaft war, wie wacklig auch immer, unterm Strich wichtiger. Warum man einander zum Feind wird, ist eine Frage, die man hinterher oft nicht mehr beantworten kann. Die beiden Männer in «The Banshees of Inisherin» müssen sich einer viel banaleren, doch grausameren Erkenntnis stellen: Sie wissen nicht einmal, warum sie befreundet waren.
«The Banshees of Inisherin» läuft jetzt im Kino.