Angelo Caloia, 75, war zeitlebens ein guter Katholik und ein verdienter Christdemokrat. Er war Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Castano Primo und ein angesehener Wirtschaftsprofessor, Ordinarius an der «Katholischen Universität vom Heiligen Herzen» in Mailand. Die Krönung seiner Kariere freilich war die Zeit von 1989 bis 2009: Da war er Präsident des «Instituts für Religiöse Werke» (IOR), wie die Bank des römisch-katholischen Kirchenreiches offiziell heisst. Dieses, simpel auch «Vatikanbank» genannte Geldinstitut, war jahrzehntelang in alles verwickelt, was irgendwie kriminell ist.
Dann kam Angelo - übersetzt: der Engel - und heilte die durch und durch kranke Bank, wie die italienische Wikipedia-Seite noch heute jubelt. Doch so ganz kann das nicht stimmen. Denn nun steht der Herr Präsident unter einem sehr üblen Verdacht: Gemeinsam mit dem damaligen IOR-Generaldirektor Lelio Scaletti und einem römischen Rechtsanwalt soll der verdiente Ehrenmann zwischen 2001 und 2008 insgesamt 29 Immobilien der Vatikanbank verkauft und einen Teil der Erlöse abgezweigt haben, glaubt der Staatsanwalt des Kirchenstaates.
Das Geschäft war demnach ebenso schlicht wie lukrativ und lief in zwei Versionen ab.
- Trick eins: Die Immobilien wurden zu überaus günstigen Preisen an Briefkastenfirmen in Steueroasen verkauft, die dem Trio Präsident-Generaldirektor-Anwalt gehörten. Deren Firmen verkauften die Häuser oder Wohnungen dann deutlich teurer weiter - die Differenz blieb bei ihnen.
- Trick zwei: Bauten aus IOR-Besitz in bester römischer oder auch mailänder Lage wurden billigst an halbseidene Firmen verhökert. Diese verkauften die Schnäppchen zügig zu Marktpreisen weiter. Den Gewinn teilten sich diese Firmen und das Vatikan-Trio.
Auf diese Weise sollen die drei ehrenwerten Bürger fast 60 Millionen Euro eingesackt haben. Etwa 17 Millionen Euro auf verschiedenen Konten hat die Staatsanwaltschaft bereits eingefroren. Weiteren Geldverstecken sind die Fahnder auf der Spur, unter anderem in der Karibik.
Die eigentliche Sensation des neuen Skandals ist, dass der Vatikan selbst ihn öffentlich macht. Das hat es früher so nicht gegeben: Da wurde meist alles so lange unter den Teppich gekehrt, wie da noch Platz war. Aber spätestens Anfang 2013 wurde dieser Platz knapp. Die italienische Zentralbank - zugleich Aufsichtsbehörde über die Geldinstitute des Landes - untersagte der italienischen Tochter der Deutschen Bank, das Geld- und Kreditkartengeschäft der Vatikanbank so wie bislang abzuwickeln. Damit war die Vatikanbank vom Geschäftsverkehr mit italienischen und europäischen Banken weitgehend abgeschnitten. Kein Tourist konnte im Vatikan noch mit einer Kreditkarte zahlen.
Seit Jahren hatten die Aufsichtsbehörden Italiens und anderer europäischer Länder die Bankiers des Papstes vergebens gedrängt, die für alle EU-Institute vorgeschriebenen Regeln zur Verhinderung von Geldwäsche auch hinter den Vatikanmauern anzuwenden. Insbesondere geheime Nummernkonten, deren Inhaber bei Überweisungen, Scheckeinlösungen und ähnlichen Transaktionen nicht erkennbar sind, galten als höchst verdächtig.
Nun war der Vatikan im Zugzwang und der damalige Papst Benedikt XVI, der schon länger, wenn auch ohne grossen Erfolg, versucht hatte, Licht in die dunklen Bankgeschäfte zu bringen, machte sich erneut daran, die IOR-Konten und -Geschäfte für Kontrolleure aus der nicht-kirchlichen Außenwelt zu öffnen. Doch Benedikt war schwach, seine Gegenspieler stärker. So richtig in Fahrt kam die Aktion erst, als Benedikts Nachfolger Franziskus drohte, die Vatikanbank zu schliessen, wenn dort nicht Moral und Transparenz einkehrten.
So nahm das Schicksal seinen Lauf. Wirtschaftsprüfer aus verschiedenen Ländern beugten sich über die IOR-Bücher und stiessen bald auf die Immobiliendeals. Und, oh Wunder, der Vatikan-Staatsanwalt wurde eingeschaltet. Vergebens versuchten einflussreiche Kardinäle die Sache an sich zu reissen, um sie, wie seit ewigen Zeiten üblich, still abzuschliessen.
Plötzlich waren junge, meist nicht-italienische Kirchenfürsten zuständig und liessen die greisen Seilschaftsführer auflaufen. Kirchenfremde Buchhalter und Finanzexperten bevölkerten die Vatikanbank-Büros. Sie stiessen auf namhafte Geldbeträge - einige hundert Millionen Euro, sagen Insider - die von den unterschiedlichsten Abteilungen oder Gruppierungen im Vatikan gebunkert worden waren, wofür auch immer - und in den offiziellen Kirchenstaat-Etats gar nicht auftauchten. Und sie stiessen dabei auch auf die seltsamen Immobilientransaktionen zu Lasten der Kirchenkasse.
Haftbefehle für das Trio seien als Rechtshilfeersuchen bei den italienischen Behörden beantragt worden, heisst es, offiziell nicht bestätigt, im Vatikan.