Die SVP-Überfliegerin: Am Sonntag stand Karin Bertschi (26) als gefeierte Wahlsiegerin im Mittelpunkt. Heute, sechs Tage später, ist sie inmitten eines Orkans – und muss sogar erklären lassen, sie werde das Amt antreten. Die Wynentalerin steht wegen Gerüchten über einen Umzug nach Wettingen in der Kritik. Und wegen ihr ist in der SVP ein offener Streit ausgebrochen. Gestern Morgen fand eine erste Krisensitzung statt, an der auch Nationalrätin Sylvia Flückiger dabei war. Für nächsten Donnerstag ist in Schlossrued eine ordentliche Bezirkspartei-Versammlung geplant. Spätestens beim Traktandum 5 «Rückblick Grossratswahlen» wird der Fall Bertschi zu reden geben. Die Bezirksparteileitung stellt sich offiziell hinter ihre neue Grossrätin. An der Basis ist aber laut verschiedenen Quellen das Unverständnis über das Umzugsthema gross.
Die Ausgangslage: Die Recycling-Unternehmerin Karin Bertschi nahm am letzten Wochenende ihren Freund mit an die Wahlfeiern. Gegenüber der az verriet sie nur, der Mann heisse «Sigi». Er selber scheint die Öffentlichkeit nicht zu scheuen. Siegfried Ladenbauer (43) schreibt auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite: «In einer Beziehung mit Karin Bertschi». Er arbeitet in leitender Funktion bei der Flugsicherungsgesellschaft Skyguide. Siegfried Ladenbauer ist daran, in Wettingen an Top-Lage ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung zu errichten. Das Baugesuch dazu lag bis am 12. September öffentlich auf.
Die kritischen Fragen: Zieht Karin Bertschi in das Haus ihres Partners? Und seit wann hat sie Umzugspläne? Sie selber äussert sich mit Verweis auf die Privatsphäre nicht dazu. Es gibt aber Quellen, die behaupten, Bertschi habe bereits im Frühsommer – vor ihrer Nomination als Grossratskandidatin – von einem bevorstehenden Umzug gesprochen. Nur scheint das nicht bis zur Parteileitung der SVP des Bezirks Kulm durchgedrungen zu sein.
Juristisch ist der Fall einfach: Grossrätin Karin Bertschi kann jederzeit aus ihrem Wahlbezirk wegziehen und das Mandat behalten. In der letzten Legislatur machten das die zwei SVP-Politiker Maya Meier (wiedergewählt) und Wolfgang Schibler (abgewählt).
Politisch ist der Fall heikler: Denn ein Grossratssitz ist in der Wahrnehmung vieler Leute ein sehr bezirksbezogenes Mandat. Ein Wegzug ist deshalb nicht erwünscht. Schon gar nicht, wenn der Mandatsträger entsprechende Pläne bereits vor der Wahl hatte.
Jean-Pierre Gallati, Präsident der SVP-Fraktion im Grossen Rat, sagt zum Fall Bertschi: «Das ist ein klarer Fall von Wählerbetrug. Karin Bertschi ist eine intelligente Frau und erfolgreiche Unternehmerin. Sie weiss, welche Konsequenzen sie jetzt ziehen muss.»
Karin Bertschi erzielte am Wochenende 4796 Stimmen – über tausend mehr als der zweitbeste SVP-Gewählte. Sie gewann damit das zusätzliche Mandat der SVP praktisch im Alleingang. Fraktionschef Gallati wirft eine grundsätzliche Frage auf: «Man sollte prüfen, ob die Grossratswahlen nicht wiederholt werden müssen. Ohne die Kandidatin Karin Bertschi hätte die SVP im Bezirk Kulm den vierten Sitz wohl nicht geschafft. Möglicherweise wäre der Freisinnige Adrian Meier wiedergewählt worden. Und dies hätte auch Auswirkungen auf andere Bezirke haben können. Vielleicht hätte dann Wolfgang Schibler im Bezirk Aarau den fünften SVP-Sitz errungen und damit die Wiederwahl geschafft.»
Bezirksparteipräsident und alt Grossrat Martin Sommerhalder hat sich gestern Morgen mit dem Wahlkampfleiter und der Nationalrätin des Bezirks getroffen: «Für uns ist klar, dass Karin Bertschi die Wahl annimmt und das Amt antritt. Alles Weitere werden wir sehen.» Sollte sie irgendwann wegziehen, werde man weiterschauen.
In der az von gestern hatte Bertschi erklärt: «Die nächsten 1,5 Jahre ist ein Wegzug aus dem Bezirk kein Thema.» So lange dauert es, bis ihr Partner das Haus erstellt hat. Kommentar der az-Leserin Patrizia Gautschi aus Reinach dazu: «Sie haben ja nicht ernsthaft das Gefühl, dass das Haus nur für eine Person gebaut wird.»
So blöd muesch no chönne sii.