Schweiz
Analyse

Umwelt und Erbschaftssteuer: Die rotgrüne Jugend fordert (zu) viel

Junge Grüne Demo Holcim
Mitten im kalten Januar warben die Jungen Grünen mit einer Nacktdemo vor dem Holcim-Werk in Würenlingen (AG) für ihre Initiative.Bild: jungegruene
Analyse

Wenn die rotgrüne Jugend mit dem Kopf durch die Wand will

Die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen ist faktisch chancenlos. Nicht viel besser sieht es für die Erbschaftssteuerinitiative der Juso aus. Das kann sich kontraproduktiv auswirken.
29.01.2025, 17:0229.01.2025, 17:50
Mehr «Schweiz»

Die Jungen Grünen sorgen sich um ihre Zukunft. Deshalb wollen sie die Schweiz mit der Umweltverantwortungsinitiative zu maximaler Nachhaltigkeit verpflichten. Sie fordern «einen grundlegenden Wandel der Wirtschaft und der Gesellschaft». Spätestens zehn Jahre nach einer Annahme darf die Umweltbelastung pro Kopf «die planetaren Grenzen» demnach nicht mehr überschreiten.

So steht es im Text der Initiative, über die wir am 9. Februar abstimmen. Und die laut den am Mittwoch veröffentlichten letzten Umfragen auf eine krachende Niederlage zusteuert. Die Jungpartei der Grünen kann nur die eigene Basis und jene der SP vom Anliegen überzeugen. Jene der Grünliberalen ist gespalten, die Bürgerlichen sind klar im Nein.

Video: watson/Emanuella Kälin

Dabei gab es in der ersten SRG-Umfrage im Dezember eine gewisse Sympathie für die Umweltverantwortungsinitiative. Auch in der aktuellen Ausgabe finden 60 Prozent der Befragten gemäss dem Institut GFS Bern, dass es einen schonenderen Umgang mit den natürlichen Ressourcen braucht. Dennoch geht einer Mehrheit die Vorlage zu weit.

Mehr als zwei Erden

Nicht alles läuft schief in der Schweiz. So ist der Energieverbrauch seit Jahren rückläufig, trotz eines gleichzeitig starken Bevölkerungswachstums. Der ökologische Fussabdruck pro Kopf aber ist nach wie vor viel zu gross. «Mehr als zwei Erden wären erforderlich, wenn alle wie die Schweizer Bevölkerung leben würden», hält das Bundesamt für Statistik fest.

Die Zukunftsängste der Jungen Grünen sind somit begründet. Und eigentlich ist hinlänglich bekannt, dass allein durch die Schäden als Folge des Klimawandels enorme Kosten auf die Schweiz zukommen werden. Doch bei der Umweltverantwortungsinitiative fürchten viele die Auswirkungen auf Wirtschaft und Wohlstand, nicht ganz ohne Grund.

Keine klare Antwort

Für die geforderte Umsetzung innerhalb von zehn Jahren ist der Begriff «sportlich» eine eklatante Untertreibung. Es wäre ein Kraftakt, der Wirtschaft und Gesellschaft auf den Kopf stellen würde. Es ist bezeichnend, dass sich selbst die Initianten im Argumentarium auf ihrer Website bei dieser Frage um eine klare Antwort herumdrücken.

Rund 60 Personen radeln und Demonstrieren anlaesslich einer Velo Demonstration der Organisation Klimastreik Zentralschweiz durch die Stadt Luzern, am Freitag, 19. April 2024. (KEYSTONE/Urs Flueeler).
Vegan und Velo: So sieht ein umweltgerechter Lebensstil aus.Bild: keystone

Und der dafür notwendige Lebensstil ist nicht jedermanns (oder jederfraus) Sache. Der Empa-Ingenieur Harald Desing, der dem wissenschaftlichen Beirat der Initiative angehört, schilderte ihn gegenüber der Schweiz-Ausgabe der «Zeit»: Zweieinhalb Kilo neue Kleider und ein paar Schuhe pro Jahr, dazu eine überwiegend vegane Ernährung.

Einmal im Jahr ein Sonntagsbraten

Milchprodukte wären eine Delikatesse, Fleisch ein seltener Luxus: «Einmal im Jahr ein Sonntagsbraten, das geht sich aus», findet Desing. Die Mobilität basiert weitgehend auf Muskelkraft. Zug, Bus, Auto und Motorrad sind auf 8500 Kilometer pro Person und Jahr beschränkt. Geflogen wird nicht mehr, solange es keine klimaneutralen Antriebe gibt.

Harald Desing sieht dies nicht als Verlust, sondern als Gewinn. Er gibt aber zu, «dass all das heute illusorisch klingt». Man kann es auch umdrehen. Der von ihm propagierte Lebensstil erinnert an längst vergangene Zeiten, in denen der Horizont der meisten Menschen während ihres ganzen Lebens kaum weiter reichte als bis zur nächsten grösseren Siedlung.

Tiefpreise wichtiger als Ökologie

Seither hat die Menschheit eine gewaltige Entwicklung hingelegt. Und die Bereitschaft zum Verzicht ist minim. Das zeigt sich am Erfolg der chinesischen Onlineshops wie Temu und Aliexpress auch in der Schweiz. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat letztes Jahr laut einer Comparis-Umfrage dort eingekauft. Der Hauptgrund sind die tiefen Preise.

Frauen kaufen die Billigstware häufiger als Männer, obwohl sie als ökologisch bewusster gelten und auch der Umweltverantwortungsinitiative in den Umfragen stärker zustimmen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei einer Flugticketabgabe. Gemäss einer Umfrage der «NZZ am Sonntag» von 2022 ist die Skepsis bei keiner Altersgruppe so gross wie bei den Jüngeren.

Wie die Eltern und Grosseltern

Die Jungen Grünen politisieren an ihrer eigenen Generation vorbei. Ähnliche Befunde gibt es bei den Klimaklebern. Bei den meisten Jungen überwiegt der Wunsch, den gleichen Lebensstil zu haben wie ihre Eltern und Grosseltern. Die Folgen werden verdrängt. Kein Wunder, will der ökologisch sensibilisierte Nachwuchs mit dem Kopf durch die Wand.

Ähnliches lässt sich über eine Vorlage behaupten, die ein ähnliches Ziel verfolgt: die Erbschaftssteuerinitiative der Juso. Sie wird auch «Initiative für eine Zukunft» genannt und fordert eine Besteuerung von 50 Prozent auf Nachlässe und Schenkungen von mehr als 50 Millionen Franken. Mit den Einnahmen soll eine «soziale Klimapolitik» finanziert werden.

Vermögen im Geldspeicher

Sie sorgte im letzten Jahr für Aufruhr, als der ehemalige Thurgauer SVP-Nationalrat und Eisenbahnunternehmer Peter Spuhler mit dem Wegzug aus der Schweiz drohte, falls die Initiative angenommen werden sollte. Sein Vermögen stecke grösstenteils in seiner Firma Stadler Rail, weshalb die geforderte Steuer für seine Nachkommen unbezahlbar sei.

Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann enervierte sich daraufhin auf X über «steuerkriminelle Familienclans, wie der von Spuhler», wofür sie sich später entschuldigte. Ihr Statement aber verrät einiges über das Denken von jungen Linken. In ihren Augen bunkern Superreiche ihr Vermögen ähnlich wie Dagobert Duck in einem Geldspeicher. Man muss es dort nur holen.

Abstimmung schon im November?

Die Realität sieht in den meisten Fällen aus wie bei Peter Spuhler. Andere Milliardäre warnten ebenfalls, sie müssten die Schweiz verlassen. Der Bundesrat lehnt deshalb die Erbschaftssteuerinitiative ab, und auch in der Bevölkerung hat sie einen schweren Stand. In einer repräsentativen watson-Umfrage waren 73 Prozent sicher oder eher dagegen.

Das Parlament dürfte mit ihr kurzen Prozess machen. Die zuständige Wirtschaftskommission empfahl sie letzte Woche zur Ablehnung und lehnte alle Anträge für einen Gegenvorschlag ab. Wenn National- und Ständerat vorwärtsmachen, könnte im November die Abstimmung stattfinden, in der die Juso eine ähnliche Abfuhr erleiden dürften wie die Jungen Grünen in zehn Tagen.

Die Tabula rasa der Kommission zeigt, wie kontraproduktiv solche «utopischen» Initiativen sein können. Denn selbst Ökonomen halten eine moderate Erbschaftssteuer im Grundsatz für sinnvoll. Bei einem klaren Nein dürfte das Thema für längere Zeit vom Tisch sein. Ähnliches ist zu befürchten beim absehbaren Scheitern der Umweltverantwortungsinitiative.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Klimawandel: WEF-Kritiker marschieren nach Davos
1 / 9
Klimawandel: WEF-Kritiker marschieren nach Davos
Das WEF soll sich der Klimaverantwortung stellen: Mit dieser Forderung ist in Landquart der Klimamarsch nach Davos gestartet.
quelle: keystone / walter bieri
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Es hat mit Wehmut zu tun» – wie der Klimawandel die Schweizer Bergwelt verändert
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
220 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Patho
29.01.2025 17:23registriert März 2017
Solche Initiativen sind einfach nur dämlich. Eine Erbschaftssteuer (die wirklich sinnvoll wäre!) für sicher 10 Jahre vom Tisch, ein verbesserter Umweltschutz für Jahre verzögert. Die Juso und die (jungen Grünen mögen die FDP und die SVP ja berechtigterweise als Verhinderer schimpfen, selber sind sie jedoch kein Deut besser.

Man merke, Populisten bringen eine Gesellschaft NIE weiter, es ist dabei egal, ob sie rechts, links oder grün sind!
23072
Melden
Zum Kommentar
avatar
Albert Anker
29.01.2025 17:17registriert April 2021
Einmal mehr zeigt sich bereits im Vorfeld der Abstimmung: keine Chance ! Einmal mehr die Erkenntnis: weniger wäre mehr! Sämtliche Vorlagen der Jungparteien glänzen durch absolut überrissene Ziele welche beim Bürger keine Chance haben. Weshalb begreifen diese meist sehr gut geschulten und von Haus aus wirtschaftlich gut ausgestatteten Jungen Menschen nicht, dass derartige Forderungen als Bumerang zu bezeichnen sind?
14935
Melden
Zum Kommentar
avatar
ChruschteChranz
29.01.2025 17:20registriert Januar 2022
Bei der Erbschaftssteuer ist das Thema definitiv wichtig und richtig! Aber.... 50%?!?! Wie kommt man auf so eine unrealistische viel zu hohe Zahl? Logisch gehen da alle auf die Barikaden
14836
Melden
Zum Kommentar
220
    Bevölkerung ist skeptisch gegenüber Mitte-Ticket – einer hat leicht die Nase vorn
    Das Ticket der Mitte-Partei löst gemäss einer aktuellen Umfrage bei der Bevölkerung wenig Begeisterung aus.

    20 Prozent der Befragten wünschen sich demnach den Zuger Regierungsrat Martin Pfister als Nachfolger von Verteidigungsministerin Viola Amherd, 18 Prozent sprechen sich für den St.Galler Nationalrat Markus Ritter aus.

    Zur Story