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Erbschaftssteuer-Initiative: Juso-Chefin beim Milliardärsnachwuchs

Mirjam Hostetmann
Mit dem Milliardärs-Nachwuchs über die Erbschaftssteuer-Initiative diskutieren: Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann.Bild: watson

Wir waren mit der Juso-Chefin beim Milliardärs-Nachwuchs – es endete mit der Polizei

Die Jungsozialisten wollen Erbschaften ab 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuern. Wir waren mit Parteipräsidentin Mirjam Hostetmann auf der Suche nach Super Rich Kids, die durch die Initiative viel Geld verlieren würden. Bis die Polizei kam.
22.12.2024, 05:03
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Plötzlich fragt uns der Sicherheitschef des Eliteinternats, ob wir jemanden entführen wollen.

«Das vergesse ich nicht so schnell», sagt Mirjam Hostetmann, als sie in Rolle VD aus dem Zug steigt. Sie atmet tief ein. «Ich hoffe, dieses Mal wird es anders.» Dann holt die Präsidentin der Juso Schweiz aus ihrer weinroten, recyclebaren Tasche eine Dose Mate und Tabakutensilien hervor. Beides werde sie heute brauchen, meint sie und lacht.

Ihr Ziel: Das Institut Le Rosey, die drittteuerste Boarding School der Welt, an der schon König Juan Carlos von Spanien und König Albert II. von Belgien Schüler waren. Über 100’000 Franken kostet ein Jahr an dieser exklusiven Schule, die Kinder von 8 bis 18 Jahren bis zum Studium an einer Universität formt. Das Institut hat zwei Standorte, einer in Rolle VD, einer in Gstaad BE – mit privatem Seezugang, Reitzentrum, Konzerthalle, Tennisplätze, Yogastudios. Eine Welt, die wie eine Festung wirkt.

Hostetmann wagt für watson ein Experiment. Die Juso-Präsidentin, die landauf, landab für die Erbschaftssteuer-Initiative ihrer Partei kämpft, soll mit den Erben der Superreichen sprechen – jenen, die einmal mehr als 50 Millionen Franken erhalten.

Genau diese kleine Gruppe würde die Initiative treffen: Wer über 50 Millionen erbt, soll die Hälfte versteuern – um damit den Kampf gegen die Klimakrise zu finanzieren. Während die Juso dies als «Initiative für eine Zukunft» verkauft, sprechen die Gegner von einer «Enteignungsinitiative»

Erbschaftssteuer-Initiative
Die Juso-Initiative fordert, dass Nachlässe und Schenkungen über 50 Millionen Franken mit 50 Prozent besteuert werden sollen. Die so gewonnenen Mittel sollen gemäss Initiative in den Klimaschutz fliessen. Zusätzlich sieht die Vorlage Massnahmen gegen Steuervermeidung vor, insbesondere für Personen, die die Schweiz verlassen. Diese Regelungen sollen rückwirkend ab dem Tag der Abstimmung gelten. Der Bundesrat spricht sich gegen die Initiative aus und warnt, dass bis zu 98 Prozent des steuerbaren Vermögens von Superreichen die Schweiz verlassen könnten. «Es würden nicht mehr, sondern weniger Steuern generiert», erklärte Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Der Bundesrat lehnt zudem eine zweckgebundene Verwendung der Steuereinnahmen für den Klimaschutz ab.

Auf der Suche nach Superreichen

Doch bevor es ans Le Rosey im Kanton Waadt geht, ist das Institut auf dem Rosenberg in St.Gallen an der Reihe – die teuerste Privatschule der Welt. Ein Jahr kostet hier 140’000 Franken. Rund 260 Schülerinnen und Schüler aus 50 Nationen lernen am Eliteinternat.

An diesem Tag ist Spätsommer und fast 30 Grad, als Mirjam Hostetmann die gefühlt 1000 Treppenstufen zum Rosenberg erklimmt. Die Jungpolitikerin ist nervös vor dem, was sie erwartet. Da nur eine Strassenumfrage auf öffentlichem Grund in der Umgebung der Schule geplant ist, wurde das Institut im Vorfeld nicht informiert. Das wird später noch relevant.

Mirjam Hostetmann
Juso-Chefin: Mirjam Hostetmann vor den Toren des Instituts auf dem Rosenberg.Bild: watson

Es ist 11.50 Uhr, als Hostetmann vor einem der Gebäude des Instituts für ein Foto posiert. Zufällig ist an diesem Tag «Welcome Day» auf dem Rosenberg. Schülerinnen und Schüler werden zusammen mit ihren Eltern empfangen, es stehen Glace- und Getränke-Wagen bereit und Musik läuft. Die Stimmung ist gut. Ein Taxi nach dem anderen fährt vor, Familien mit zahlreichen Louis-Vuitton-Koffern steigen aus – ein Bild, wie in der Einfahrt eines 5-Sterne-Hotels.

Kurze Zeit später sprechen wir die erste Familie an. Wir stellen uns vor und sagen, dass wir eine Umfrage zum Thema Erbschaftssteuern machen. Eine Frau, die sich als Mutter eines Rosenberg-Schülers herausstellt, schiebt sofort ihren Sohn vor und sagt: «Here - he’s your man.» Hostetmann erklärt ihm auf Englisch, was die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso fordert und fragt ihn, was er davon hält. Der Schüler zuckt mit den Schultern. «I’ve never thought about inheritance tax before», sagt er. Als Hostetmann etwas sagen will, stösst ein Mann zur Runde, der die Familie anweist, sofort weiterzugehen.

Mirjam Hostetmann
Glace-Wagen: So wird der Milliardärsnachwuchs empfangen.Bild: watson

«What are you doing here?», fragt er uns vorwurfsvoll. Der Mann stellt sich als Sicherheitschef des Instituts vor und will auch wissen, was wir in unseren Rucksäcken haben. «Nur Getränke und Kleider», sagt Hostetmann, nachdem sie ihm die Situation mit der Umfrage erklärt hat.

«Ihr wollt also niemanden entführen oder um Geld betteln?», fragt er mit ernster Miene. Sein Blick schweift zwischen uns und den Rucksäcken her.

«Nein, natürlich nicht», sagt Hostetmann und lacht. Sie erklärt ihm erneut, dass wir eine Strassenumfrage machen, wofür wir junge Menschen suchen, die irgendwann über 50 Millionen Franken erben werden. Der Sicherheitschef bleibt aber stur: «Ihr werdet hier mit niemandem sprechen.» Die Polizei sei informiert.

Mirjam Hostetmann
Das Institut wollte keine Strassenumfrage zulassen: Mirjam Hostetmann neben einem Velo der Stadtpolizei St. Gallen.Bild: watson

Unter Polizeischutz

Es ist 12.50 Uhr, als ein Polizist der Stadtpolizei St. Gallen mit dem Velo den Rosenberg hinaufgefahren kommt. Mit ihm spricht der Sicherheitschef plötzlich fliessend Deutsch. Er erzählt dem Beamten seine Version der Geschichte. Dann wendet sich der Polizist an Hostetmann. Er ermahnt sie, niemanden mehr zu belästigen, sonst drohe ein Busszettel von 80 Franken.

Doch Hostetmann kennt ihre Rechte. Sie sagt zum Polizisten: «Wir machen eine Strassenumfrage auf öffentlichem Grund, was in der Schweiz legal ist. Wer nicht mitmachen will, den belästigen wir nicht.» Nach einem Telefonat mit der Dienststelle gibt der Polizist ihr schliesslich recht. Der Sicherheitschef reagiert erstaunt: «Also können sie einfach unsere Schüler ansprechen? Und sie dürfen auch Fotos von den Gebäuden machen?» Der Polizist bejaht und weist ihn noch einmal darauf hin, uns machen zu lassen.

Diese Sicht der Dinge bestätigt auch die Stadtpolizei St. Gallen auf Anfrage:

«Wir haben beiden Parteien gesagt, dass eine Befragung auf öffentlichem Grund gestattet sei. Zudem haben wir den privaten Sicherheitsdienst darauf aufmerksam gemacht, dass er lediglich auf Privatgrund agieren darf und auf öffentlichem Grund die Polizei zuständig sei.»
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Dem Institut passt die Strassenumfrage nicht: Um 12.50 ist ein Polizist der Stadtpolizei St. Gallen vor Ort. Bild: watson

Doch diese Weisung ist dem Sicherheitschef egal. Wo auch immer wir jemanden auf der 100 Meter langen Strasse ansprechen, taucht er auf. Alle Gespräche werden von ihm unterbrochen.

14.20 Uhr. Zwei Polizisten kehren zurück, diesmal mit dem Institutsdirektor im Schlepptau, der davor jegliches Gespräch mit uns verweigerte. Erneut bittet die Polizei darum, die Regeln des Instituts zu befolgen und die Strassenumfrage abzubrechen. Wieder muss Hostetmann erklären, dass es die Arbeit der Polizei ist, Gesetze durchzusetzen. Und nicht, private Regeln einer Institution zu befolgen.

Mirjam Hostetmann
Plötzlich zu zweit: Stadtpolizei St. Gallen.Bild: watson

Der Institutsdirektor will davon nichts wissen. Weil wir uns im Vorfeld nicht angemeldet hatten, verweigert er nach wie vor die Strassenumfrage – obwohl ihn die Polizei auffordert, uns machen zu lassen.

Es ergibt sich schliesslich eine absurde Szene: Unter Polizeischutz hätte die Juso-Chefin die Schülerinnen und Schüler ansprechen und mit ihnen über die Erbschaftssteuer diskutieren dürfen, mit dem Direktor und seinen Sicherheitsleuten im Hintergrund.

Diese Situation konnte man einfach niemandem zumuten, weshalb die Umfrage an dem Punkt abgebrochen wurde. «Lassen wir es sein», sagt auch Hostetmann. Sie wirft einen letzten Blick auf den Rosenberg und schüttelt den Kopf. «Wenn man so sehr Angst vor ein paar Fragen hat, sagt das schon alles.»

Mirjam Hostetmann
Abgeschottet: das Institut auf dem Rosenberg, die teuerste Privatschule der Welt. Bild: watson

Da sich auf dem Rosenberg nichts ergab, setzten wir alles auf die zweite Karte: das Institut Le Rosey im Kanton Waadt. In der Hoffnung, dort endlich mit den Erben der Superreichen ins Gespräch zu kommen.

Geschlossene Gesellschaft

Das Institut Le Rosey reagierte jedoch auf mehrere E-Mail-Anfragen von watson nicht. Deshalb verging einige Zeit, bis die Juso-Chefin einen erneuten Anlauf machte, um sich dem Milliardärsnachwuchs für eine Strassenumfrage anzunehmen.

Doch als es so weit ist, offenbart sich das Le Rosey-Gelände als eine andere Liga. Keine öffentlichen Strassen, sondern hohe Zäune, Sicherheitskameras, verschlossene Tore. «Die Elite schottet sich ab», sagt Hostetmann und zündet sich eine Zigarette an. Ihre Augen scannen lange die leeren Strassen, aber niemand taucht auf.

«Das ist die Parallelwelt, von der wir reden. Sie können es sich leisten», sagt sie und blickt auf die verschlossene Toreinfahrt von Le Rosey. «Und genau deshalb brauchen wir diese Initiative für eine Zukunft, die uns allen gehört.»

Die Zigarette in ihrer Hand brennt langsam herunter – und der Rauch, der verschwindet schleichend hinter den Mauern des Reichtums, die so viel verbergen.

Mirjam Hostetmann
«Das ist die Parallelwelt, von der wir reden. Sie können es sich leisten»: Hostetmann über Eliteinternate wie das Institut Le Rosey.Bild: watson
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565 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Holzöpfl
22.12.2024 05:29registriert Oktober 2024
Es stellt sich schon die Frage, wie sich die soziale Ungerechtigkeit auch in der Schweiz lindern liesse. Auf der einen Seite Millionenerben, auf der anderen Seite alleinerziehende Mütter, die auf jeden Franken schauen müssen und die zur Arbeit zum Hungerlohn gezwungen werden.
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no-Name
22.12.2024 05:44registriert Juli 2018
…grad etwas erstaunt über die Umfrage… gerade bei Jugendlichen liessesich so vielleicht noch etwas Bewusstsein wecken. Sie werden tadellos Ausgebildet und haben einen einfachen Start ins Berufsleben. Da kommt man mit 25Mio Startkapital auch schon ziemlich weit.

Ich finde mit solchen voraussetzungen darf man sich auch ein paar Fragen gefallen lassen.
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Trasher2
22.12.2024 08:24registriert März 2016
Auch wenn ich durchaus Sympatie teile für das Anliegen...
Wie kommt man auf die Idee, mit superreichen Kids, die weder in der Schweiz leben, noch hier Steuern zahlen über Schweizer Initiativen zu sprechen zu wollen?
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