
Auszug aus einem Protokoll der Taskforce «Kommunikation Corona».bild: watson
Analyse
Die Veröffentlichung interner Protokolle zeigt: Die Bundesrats-Kommunikation wurde während der Krise detailliert durchgeplant. Die Dokumente verraten aber auch, wo es Probleme gab.
19.01.2021, 09:1420.01.2021, 13:58
Weisst du, was eine «Kakophonie» ist? Duden und Co. verstehen darunter ein klingendes Durcheinander. Man spricht davon, wenn es Unstimmigkeiten gibt, eine Disharmonie … halt so, wie wenn in einem Konzert unstimmig gespielt wird.
Von Kakophonie sprach man auch in den vergangenen Monaten immer wieder, als es in der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie Misstöne gab. Etwa, wenn sich Bundesrätinnen und Bundesräte widersprachen oder wenn Kantone bzw. die Taskforce nicht am berühmten «selben Strick» zogen. Immerhin im Bundeshaus wurde relativ früh in der Krise versucht, die Kakophonie zu verhindern.
Dies zeigen die 72-seitigen Protokolle des Koordinationgremiums «Taskforce Kommunikation Corona». Die Gruppe traf sich am 28. Februar 2020 zum ersten Mal – drei Tage, nachdem in der Schweiz die erste Infektion mit dem Sars-Cov-2-Erreger entdeckt wurde. Mit dabei: Die Sprecherinnen und Sprecher aller Bundesratsdepartemente. Und damit die Sprachrohre der Landesregierung.
Publik gemacht hat sie der Twitter-User Timothée Mollet. Er forderte Mitte Dezember die Protokolle ein und erhielt sie praktisch ungeschwärzt und in allen Details – einzig an drei Stellen griff die Bundeskanzlei zur Zensur.
«Sich an der Front der Krise zeigen»
Datum: 19. März 2020
Auftritte der Bundesrätinnen und
Bundesräte
– Zuständige BR sollten sich an der Front der Krise
zeigen
(Gesundheitswesen, Wirtschaft, Armee, Grenze usw.)
– Empfehlung: BR sollte magistral bleiben;
tritt auf, wenn Entscheide
getroffen werden, so sachlich wie möglich kommuniziert. Keine Teilnahme an Debatten.
– Gleichzeitig: sich (gut begründet) zeigen; keine PR (Vermeidung des Profilierungsvorwurfs), evtl. sogar ohne
Medienpräsenz.
Einer der auffälligsten Beschlüsse wurde Mitte März gefällt. Die Pressesprecherinnen und -sprecher der Bundesratsmitglieder einigten sich darauf, dass die «zuständigen» Departementchefs sich aktiv an der Front zeigen sollen. Das erklärt, wieso es im Verlauf des Jahres 2020 immer wieder Fototermine und Pressekonferenzen der Bundesräte von verschiedenen Corona-Stationen schweizweit gab.
Gleichzeitig heisst es aber im Protokoll des 19. März, dass die Auftritte «gut begründet» sein sollen, damit es nicht zu Profilierungsvorwürfen kommt.
Versuch, als Einheit zu kommunizieren
In der Bundesverfassung heisst es klar: «Der Bundesrat entscheidet als Kollegium.» Diese Devise wollte die Landesregierung während der Krise mit einer – gegen aussen – einheitlich wirkenden Kommunikation durchsetzen. So wurde festgelegt, dass die Medienmitteilungen vom Gesamtbundesrat beschlossen werden und danach nur in Absprache von den Departementen abgeändert werden dürfen.
Datum: 26. März 2020
Medienkonferenzen des Bundesrates
– Medienmitteilungen des BR:
nach Verabschiedung im BR dürfen keine
Änderungen durch die Departemente mehr vorgenommen werden. Bei Korrekturbedarf: allfällige Anpassungen
nur in
Absprache mit BR-Sprecher.
– Keine Zitate von BR in den
MM. Diese sind eine Kommunikation
des
Gesamtbundesrates: sachlich und fachlich.
Dass das nicht immer klappte, wissen wir mittlerweile alle: Es kam immer wieder zu Indiskretionen. Anträge von Bundesrat Alain Berset und Co. fanden immer wieder den Weg an die Öffentlichkeit. In April landete gar ein E-Mail von Bundesratssprecher André Simonazzi bei einer Journalistin bei «Le Matin Dimanche». Darin erinnerte er alle Bundesratssprecher an die «Regel», dass «bei Interviews und Auftritten grosse Zurückhaltung geübt» werden soll.
Datum: 15. April 2020
Zusammenarbeit
– Artikel im «Le Matin
Dimanche» (Weiterleitung eines E-Mails des
Bundesratssprechers an Journalistin) - Es wird bedauert, dass das Vertrauen durch diese Indiskretion
gestört
wurde. Es wird weiterhin auf gute Zusammenarbeit gezählt.
Phase der Lockerung
Im Sommer kam dann die Lockerung. Das wirkte sich auch auf die Kommunikation aus. Die Bundesratssprecherinnen und -sprecher vermerkten dazu, dass derzeit «jedes Wort auf die Waagschale gelegt» werde.
Datum: 21. April 2020
Prozess Lockerungen – kommunikative
Begleitung
– Jedes Wort zählt, alles wird auf die Waagschale
gelegt.
BR-Sitzung vom 22. April: Kommunikation
– SIA: Hauptproblem in der
Kommunikation: Empfehlung des Bundes, im
öffentlichen Verkehr und in Läden Masken zu tragen, bedeutet, dass Masken vorhanden sind und erhältlich. Man
kann sich nicht hinter Subsidiarität verstecken.
Mitte Mai, als es weitere Lockerungen gab, empfand man im PR-Kollegium gar, dass intern ein «Verlust der Gesamtsicht in der Kommunikation» drohe. Das könnte auf einen möglichen Konflikt zwischen den Sprecherinnen und Sprechern deuten. Der Appell, weiterhin am selben Strick zu ziehen, half – rückblickend – wenig.
Datum: 14. Mai 2020
Rückblick
– Interne Wahrnehmung: Drohender
Verlust der Gesamtsicht in der
Kommunikation. Wichtig: jeder Teilbereich ist ein Teil der Gesamtstrategie; konsequente Referenzierung
auf diese
Gesamtstrategie notwendig und Kommunikation auf offiziellen Kanälen des Dispositivs erfolgt.
Was auch auffällt, war die bevölkerungsnahe Fokuswahl: Als erste Länder auf die Quarantäneliste gesetzt wurden, wurde «Mallorca» gesondert im Protokoll erwähnt. Die Tatsache, dass die balearische Insel auch bei Schweizerinnen und Schweizern eine beliebte Reisedestination ist, war also auch im Bundeshaus bekannt.
Datum: 18. August 2020
BAG
– Anlassung der
Quarantäne-Liste wird heute Dienstag kommuniziert
(insbesondere + Mallorca) und
auf Donnerstag in Kraft gesetzt.
Die lange Pause
Zwischen dem 18. August und dem 15. Oktober wurden keine Sitzungen protokolliert.
Versprochene Transparenz bei Corona im Bundesrat
Kurz nach der langen Pause einigten sich die Sprecherinnen und Sprecher auf eine gemeinsame Strategie, sollte ein Bundesratsmitglied positiv auf das Coronavirus getestet oder in Quarantäne versetzt werden.
Bislang wurde keine Infektion bei der Landesregierung bekannt gegeben. Mehrere Bundesratsmitglieder mussten jedoch in die Isolation bzw. in Quarantäne.
Datum: 19. Oktober 2020
Mitglieder des Bundesrates:
Informationen zu Quarantäne und Isolation
– Keine aktive Kommunikation zu
Quarantänemassnahmen bei Mitgliedern der
Landesregierung. Auf Anfrage: Information (Bestätigung/Dementi)
– Bei positivem Testergebnis: aktive
Kommunikation.
– Entscheide zu Massnahmen
liegen allgemein bei
kantonsärztlichen
Diensten (insbes. vom Zeitpunkt eines möglichen Kontakts bis zum Ende der Quarantäne).
Taskforce an der kurzen Leine
Im Oktober, als die Fallzahlen wieder anstiegen und die Landesregierung sich mit Massnahmen Zeit liess, kam der Knatsch mit der wissenschaftlichen Taskforce. Ihre Mitglieder äusserten sich mehrfach öffentlich, was bei den Bundesratsprechern nicht so gut ankam.
Die Taskforce wurde als «vielstimmig und uneinheitlich» bezeichnet. Im Protokoll ist auch zu lesen, dass die Priorität der Taskforce die «Beratung des Bundesrates, der Bundesverwaltung» – und nicht die «Kommentierung» sei. Es folgten zahlreiche Notizen im Protokoll, wonach gar Bundesratssprecher André Simonazzi ein Gespräch mit dem Taskforce-Chef Martin Ackermann suchen musste.
Datum: 26. Oktober 2020
Rückblick Medienberichterstattung
Wochenende
– Gute Koordination der
Kommunikation weiterhin wichtig, insbesondere im
Vorfeld der Sitzung des BR vom Mittwoch und der anstehenden Entscheide.
– Task Force Wissenschaft ist
vielstimmig und uneinheitlich. SIA
führt
Gespräche mit Präsident Ackermann und weiteren Mitgliedern der Task Force. Ziel ist, dass alle in
ihren
Rollen etwas klarer und verständlicher auftreten.
Datum: 29. Oktober 2020
Bilanz der Kommunikation dieser
Woche
– Task Force Wissenschaft:
Point de Presse vom Dienstag lief gut.
Gespräche SIA mit verschiedenen Vertretern der TF: Priorität auf Beratung des
Bundesrates + der
Bundesverwaltung, nicht auf Kommentierung. Es wird weitere Gespräche brauchen. Laufende, wichtige
Arbeit an
Verbesserung der Koordination der Kommunikation zwischen Bund und Task Force Wissenschaft. Guter, fester
Rahmen (PdP) wichtig.
Datum: 2. November 2020
Varia
– Task Force Science: Es
wird angemerkt, dass die TFS z.
T. einseitig
kommuniziert; fehlende Einordnung von Zahlen, die nicht in die prognostizierte Richtung gingen. SIA
sieht
diesen Punkt und ist im Gespräch mit der Task Force, warnt aber vor einer zu einfachen Interpretation der
Zahlen auf beiden Seiten.
Datum: 9. November 2020
Point de Presse vom Dienstag, 10.
November 2020, 13.00 Uhr
– Kommunikation Task Force
Wissenschaft: Prognosen (auch von BAG, KSD)
zu Betten-Kapazitäten («Grenze morgen erreicht») sind nicht eingetroffen. Eine differenzierte
Kommunikation
ist wichtiger denn je.
Datum: 16. November 2020
Kommunikation der Task Force
Wissenschaft:
Medienberichterstattung
– Kommunikation der Task
Force Wissenschaft Hauptthema am
Wochenende.
– Diskussion wird schon
länger geführt und muss weitergeführt werden.
BR-Sprecher führt ein weiteres
Gespräch mit Task-Force-Präsident Ackermann heute Nachmittag.
Datum: 19. November 2020
Science Task Force
Gespräche zur
Kommunikation der Task Force laufen in Absprache mit dem
EDI weiter.
Die geschwärzten Punkte
Die 72 Seiten wurden nicht ganz veröffentlicht. Die Bundeskanzlei nahm sich das Recht, an drei Stellen Schwärzungen vorzunehmen. Die letzte betraf die Protokollnotiz zur «Impfung der Mitglieder des Bundesrates» am 28. Dezember. Die erfolgten Impfungen wurden erst Tage danach publik.
Anmerkung: Die layouterischen Schwärzungen bei uns (██) sind schematisch und verraten nichts über die Länge der verdeckten Wörter und Sätze.
Datum: 15. Oktober 2020
Sitzung des Bundesrates vom 14. Oktober
2020: Federführung Kommunikation
bei BK
– Schwerpunkt Corona-Diskussion
mit Anhörung von zwei Vertretern des BAG;
Aussprache im BR im Anschluss
– █████ Kommunikation zu Corona
wird auf Bundesebene bei der BK
zentralisiert,
Federführung BR-Sprecher; Wiederaufnahme von PdP auf Fachebene
Datum: 14. Dezember 2020
█████
█████ █████
Datum: 28. Dezember 2020
Impfung der Mitglieder des
Bundesrates
– Sprachregelung muss dringend
aktualisiert werden bis spätestens Anfang
Januar █████ █████ █████
Bonus: Die YouTube-Platzierung
In den Protokollen wird nicht nur entschieden, kritisiert und Lob verteilt. Man lobt die eigene Arbeit auch selbst: Am 7. Dezember – einen Tag nach dem Samichlaus – wurde vermerkt, dass die Bundesrats-Pressekonferenz vom 16. März auf dem dritten Platz der meistgesehenen Videos auf Youtube ist.
Wir gratulieren ebenfalls. Und bleiben kritisch.
Das empfiehlt die Science Task Force
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Das empfiehlt die Science Task Force
Vorschlag der Covid Science Task Force am 23. Oktober 2020
Alain Berset über seine Arbeitsstunden
Video: watson
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Bernhard* geht regelmässig ins Bordell. Obwohl er sich Gedanken über die Machtverhältnisse zwischen Freiern und Sexarbeiterinnen macht, kann er auf seine Besuche nicht verzichten – weil sie ihn aus seiner Depression ziehen.
Ich bin schon lange kein junger Mann mehr. Ich bin Witwer, pensioniert, und ja – ich habe noch sexuelle Bedürfnisse. Doch für eine feste Beziehung bin ich nicht mehr zu haben. Meine grosse Liebe, meine Ehefrau, verstarb vor ein paar Jahren. Seither versuche ich, das Leben alleine zu geniessen. Und das schaffe ich immer besser. Geholfen hat mir dabei das Zürcher Rotlichtviertel.
Gut, dass die Medien kritisch bleiben. Allerdings sind auch die Medien an der Kakophonie mitbeteiligt und da wäre eine kritische Haltung ebenfalls begrüssenswert.
Am Anfang wurde in der Presse gefordert, sie sollen vorabgehen zum Impfstart, als Vorbild, damit man Vertrauen in die Impfung hat...
jetzt haben sie es getan und dann ist auch wieder nicht recht...