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Gesundheits-Initiativen: Das sind die Risiken und Nebenwirkungen

Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider diskutiert mit Lukas Engelberger, Regierungsvizepraesident Kanton Basel-Stadt, am Ende einer Medenkonferenz zu den eidgenoessischen Abstimmungen am 9. Juni 2024, ...
Elisabeth Baume-Schneider und Lukas Engelberger an der Medienkonferenz vom Freitag.Bild: keystone

Zwei Gesundheits-Initiativen mit Risiken und Nebenwirkungen

Zwei Volksinitiativen wollen gegen die steigenden Kosten im Gesundheitswesen vorgehen. Ihre Wirksamkeit ist fraglich, und sie könnten unerwünschte Folgeerscheinungen haben.
05.04.2024, 17:12
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Zwei Vorlagen musste Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider gleich an ihrem ersten Abstimmungstermin als neue Vorsteherin des Innendepartements vertreten. Und am 9. Juni folgen drei weitere. Nach der Altersvorsorge ist nun die Gesundheitspolitik an der Reihe, mit drei unterschiedlichen Volksinitiativen, zu denen sie am Freitag Stellung nahm.

Kurzen Prozess machte Baume-Schneider mit der von Gegnern der Corona-Massnahmen lancierten Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Sie bekämpft ein Impfobligatorium, das selbst während der Pandemie nie ein ernsthaftes Thema war. Die Bundesrätin tischte sie in rund zwei Minuten ab, Fragen der Medienvertreter gab es keine.

Weitaus mehr Raum nahmen die beiden Initiativen ein, die gegen die steigenden Kosten im Gesundheitswesen vorgehen wollen. Die Mitte-Partei will sie mit der Kostenbremse-Initiative in den Griff bekommen. Die Prämienentlastungs-Initiative der SP – auch 10%-Initiative genannt – will die Belastung der Haushalte durch die Krankenkassenprämien senken.

«Placebo» und «Schmerztablette»

Obwohl die Initiative von Baume-Schneiders Partei stammt, lehnt sie sie im Namen des Bundesrats ab, ebenso die Mitte-Initiative. Sie seien das falsche Rezept gegen steigende Kosten. Der Basler Regierungsrat Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, bezeichnete die Kostenbremse als «Placebo» und die SP-Initiative als «zu teure Schmerztablette».

Die Kostenfrage

Die Schweiz hat ein teures Gesundheitswesen. Lange war es weltweit das zweitteuerste hinter den USA. Das hat sich geändert. Gemäss Berechnungen der OECD ist das Schweizer Gesundheitswesen «nur» noch das sechstteuerste. Alle Nachbarländer mit Ausnahme von Italien geben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mehr Geld aus.

Die Kosten steigen trotzdem, wie sich im letzten Herbst bei der Bekanntgabe der Prämien für 2024 zeigte. Verantwortlich sind die Demografie und der medizinische Fortschritt, aber auch Fehlanreize und ineffiziente Strukturen, wie Elisabeth Baume-Schneider erklärte. Sie sind ein Grund, warum immer mehr Spitäler in Schieflage geraten.

Aufteilung der Gesundheitskosten.
Aufteilung der Gesundheitskosten. gafik: bag

Diesen Anstieg bekommt die Bevölkerung direkt zu spüren. Sie muss dafür als Prämienzahlende (zu rund 75 Prozent) und als Steuerzahlende aufkommen. Das hiesige System mit Kopfprämien belastet zudem alle gleich, ob Menschen mit tiefen Einkommen oder Grossverdiener. Deshalb gibt es seit bald 30 Jahren Prämienverbilligungen.

Die Kostenbremse

Die Volksinitiative der Mitte-Partei möchte das Problem angehen. Sie verlangt, dass die Gesundheitskosten nicht viel stärker steigen als die durchschnittlichen Löhne und die Gesamtwirtschaft. Für Bundesrätin Baume-Schneider ist dieser Mechanismus «zu starr». Er berücksichtige weder die Alterung der Gesellschaft noch den technologischen Fortschritt.

Das Problem aber ist real. Das zeigen Berechnungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Demnach sind die Gesundheitskosten der Bevölkerung pro Kopf von 2012 bis 2022 um 31 Prozent gewachsen, auf 49 Milliarden Franken. Das Wachstum der Gesamtwirtschaft betrug im gleichen Zeitraum 10 Prozent und jenes der Nominallöhne gar nur 6 Prozent.

Dabei könnten mehrere Milliarden eingespart werden, ohne dass die Qualität leide, räumte die Gesundheitsministerin ein. Im indirekten Gegenvorschlag zur Mitte-Initiative sind Kosten- und Qualitätsziele enthalten, doch die vom Bundesrat geplanten Massnahmen bei einem Nichterreichen wurden vom Parlament auf Druck der «Profiteure» gestrichen.

Die Mitte hält deswegen an ihrer Initiative fest, doch das Risiko besteht, dass sich auch bei einer Annahme wenig ändert. Zwar ist geplant, dass sich die Akteure im Gesundheitswesen für steigende Kosten rechtfertigen müssen. Die dadurch erzeugte Transparenz könne kostendämpfend wirken, hoffen BAG-Vertreter. Wahrscheinlicher ist ein «Placebo-Effekt».

Die Prämienentlastung

Die SP-Initiative verlangt, dass jede Person maximal 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien aufwenden muss. So sollen nicht zuletzt mittelständische Familien entlastet werden. Damit würden aber nur die Symptome und nicht die Ursachen der steigenden Gesundheitskosten bekämpft, meinte die SP-Bundesrätin.

Es wäre in den Worten von Lukas Engelberger eine «reine Schmerztherapie», und erst noch eine kostspielige. Wobei die Berechnung laut dem BAG nicht einfach ist. Es kursieren Zahlen, die stark von den Parametern bei Prämie und Einkommen abhängen. Hinzu kommt das nur schwer berechenbare Ausmass der Kostensteigerung.

Entsprechend gross ist die Bandbreite der möglichen Mehrkosten. Für den Bund, der bei einer Annahme der Initiative zwei Drittel der Prämienverbilligungen übernehmen müsste, betragen sie gemäss BAG-Berechnungen bis 2030 zwischen sechs und neun Milliarden Franken. Auf die Kantone entfallen demnach etwa 1,5 bis 2,7 Milliarden Franken.

Immer weniger Menschen erhalten immer höhere Verbilligungen.
Immer weniger Menschen erhalten immer höhere Verbilligungen.grafik: Bag

Dabei ist das Problem real. 2010 hatten noch knapp 30 Prozent der Prämienzahlenden eine Verbilligung erhalten. 2002 sank der Anteil auf rund 26 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Kantone die Prämienverbilligungen als «Sparpuffer» verwenden. Gleichzeitig stieg die ausbezahlte Summe pro Person von rund 1700 auf knapp 2400 Franken pro Jahr.

Der indirekte Gegenvorschlag setzt hier an. Kantone mit hohen Gesundheitskosten müssten demnach mehr zahlen als Kantone mit tiefen Kosten. Dadurch entstehe ein Anreiz, das Kostenwachstum zu bremsen, sagte Baume-Schneider. Die Mehrkosten von mindestens 360 Millionen Franken genügen der SP jedoch nicht, weshalb sie an ihrer Initiative festhält.

Eine Annahme könnte allerdings zwei potenziell erhebliche Nebenwirkungen auslösen. Ein «Prämiendeckel» könnte die Versicherten dazu bewegen, zu einem Modell mit tiefer Franchise und freier Arztwahl zu wechseln. «Es besteht das Risiko, dass das Kostenbewusstsein abnimmt», warnte die Gesundheitsministerin. Die Initiative wäre somit kontraproduktiv.

Die Mehrkosten von bis zu 11,7 Milliarden Franken für Bund und Kantone bis 2030 würden zudem Steuererhöhungen unvermeidlich machen. Das Nein-Komitee warnte am Freitag vor Zusatzkosten von bis zu 1200 Franken pro Haushalt. Die Berechnung wirkt ziemlich willkürlich, doch dieser Effekt relativiert die mögliche Entlastung bei den Prämien.

Nimmt man die absehbaren Zusatzkosten für die 13. AHV-Rente durch höhere Lohnabzüge und/oder Mehrwertsteuer hinzu, zeigt sich: Der Ausbau des Sozialstaats ist eben nicht gratis. Die Kostenbremse- und die Prämienentlastungs-Initiative adressieren ein reales Problem. Aber sie sind mit potenziellen Risiken und Nebenwirkungen verbunden.

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Rezept gegen die Prämien-Explosion gesucht
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Rezept gegen die Prämien-Explosion gesucht
Die Gesundheitspolitik dürfte zu einem der grossen Themen im Wahljahr 2019 werden. So will die CVP per Volksinitiative eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einführen. Die Prämien sollen nicht mehr stärker wachsen dürfen als die durchschnittlichen Löhne. (Bild: Parteipräsident Gerhard Pfister)
quelle: keystone / peter schneider
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Krankenkassenprämien steigen um 8.7 Prozent – das sagt die Bevölkerung
Video: watson
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98 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sergeant Pepper
05.04.2024 17:41registriert November 2018
Das Abstimmungen werden wie die 13. AHV vom Volk angenommen werden. Nachdem das Parlament die letzten Jahre, infolge der verschiedenen Lobbyisten die Probleme hin und her geschoben haben. Das Geld der Verwaltungsratsmandate der div. Parlamentarier*innen und Lobbyisten , mit denen sie sich gegenseitig die Säcke füllten waren ihnen wichtiger als Lösungen zu suchen. Das war Beschiss am Volk und Arbeitsverweigerung.
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einmalquer
05.04.2024 18:21registriert Oktober 2017
Wenn der Bundesrat doch weiss, dass alles falsch und zu teuer ist, müsste er doch wissen was richtig ist.

Und kann einen oder zwei Gegenvorschläge bringen, die richtig und billig sind.

Die Stimmberechtigten könnten dann auswählen.

Stattdessen muss Baume-Schneider für den Bundesrat jammern, der sich weiterhin um Lösungsvorschläge drückt.

Erinnert an die AHV-Abstimmung zur 13. Rente.
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Pragmatiker17
05.04.2024 18:32registriert Juni 2018
Die beiden Vorlagen wären überhaupt nicht notwendig, wenn die Politiker nicht seit mindestens 20 Jahren ihre Arbeit vernachlässigen würden. Besonders die heutigen Aussagen Lukas Engelbergers sind blanker Hohn.

Ein Ja zu beiden Initiativen ist alternativlos.

Die genannten möglichen negativen Folgeerscheinungen lassen sich problemlos vermeiden, wenn die Politiker endlich auf der Kostenseite ansetzen.

An alle beteiligten Politiker: Ihr kassiert jedes Jahr sechsstellige Beträge auf Kosten der Allgemeinheit. Leistet endlich einmal etwas dafür. Die Zeit der faulen Ausreden ist vorbei!
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Wieder mehr Inhaftierte – Schweizer Gefängnisse so voll wie seit 10 Jahren nicht mehr
Ende Januar 2024 sind 6881 Frauen und Männer in der Schweiz hinter Gittern gesessen. Das sind sieben Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Belegungsrate stieg auf den höchsten Stand seit zehn Jahren.

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