Zwei Vorlagen musste Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider gleich an ihrem ersten Abstimmungstermin als neue Vorsteherin des Innendepartements vertreten. Und am 9. Juni folgen drei weitere. Nach der Altersvorsorge ist nun die Gesundheitspolitik an der Reihe, mit drei unterschiedlichen Volksinitiativen, zu denen sie am Freitag Stellung nahm.
Kurzen Prozess machte Baume-Schneider mit der von Gegnern der Corona-Massnahmen lancierten Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Sie bekämpft ein Impfobligatorium, das selbst während der Pandemie nie ein ernsthaftes Thema war. Die Bundesrätin tischte sie in rund zwei Minuten ab, Fragen der Medienvertreter gab es keine.
Weitaus mehr Raum nahmen die beiden Initiativen ein, die gegen die steigenden Kosten im Gesundheitswesen vorgehen wollen. Die Mitte-Partei will sie mit der Kostenbremse-Initiative in den Griff bekommen. Die Prämienentlastungs-Initiative der SP – auch 10%-Initiative genannt – will die Belastung der Haushalte durch die Krankenkassenprämien senken.
Obwohl die Initiative von Baume-Schneiders Partei stammt, lehnt sie sie im Namen des Bundesrats ab, ebenso die Mitte-Initiative. Sie seien das falsche Rezept gegen steigende Kosten. Der Basler Regierungsrat Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, bezeichnete die Kostenbremse als «Placebo» und die SP-Initiative als «zu teure Schmerztablette».
Die Schweiz hat ein teures Gesundheitswesen. Lange war es weltweit das zweitteuerste hinter den USA. Das hat sich geändert. Gemäss Berechnungen der OECD ist das Schweizer Gesundheitswesen «nur» noch das sechstteuerste. Alle Nachbarländer mit Ausnahme von Italien geben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mehr Geld aus.
Die Kosten steigen trotzdem, wie sich im letzten Herbst bei der Bekanntgabe der Prämien für 2024 zeigte. Verantwortlich sind die Demografie und der medizinische Fortschritt, aber auch Fehlanreize und ineffiziente Strukturen, wie Elisabeth Baume-Schneider erklärte. Sie sind ein Grund, warum immer mehr Spitäler in Schieflage geraten.
Diesen Anstieg bekommt die Bevölkerung direkt zu spüren. Sie muss dafür als Prämienzahlende (zu rund 75 Prozent) und als Steuerzahlende aufkommen. Das hiesige System mit Kopfprämien belastet zudem alle gleich, ob Menschen mit tiefen Einkommen oder Grossverdiener. Deshalb gibt es seit bald 30 Jahren Prämienverbilligungen.
Die Volksinitiative der Mitte-Partei möchte das Problem angehen. Sie verlangt, dass die Gesundheitskosten nicht viel stärker steigen als die durchschnittlichen Löhne und die Gesamtwirtschaft. Für Bundesrätin Baume-Schneider ist dieser Mechanismus «zu starr». Er berücksichtige weder die Alterung der Gesellschaft noch den technologischen Fortschritt.
Das Problem aber ist real. Das zeigen Berechnungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Demnach sind die Gesundheitskosten der Bevölkerung pro Kopf von 2012 bis 2022 um 31 Prozent gewachsen, auf 49 Milliarden Franken. Das Wachstum der Gesamtwirtschaft betrug im gleichen Zeitraum 10 Prozent und jenes der Nominallöhne gar nur 6 Prozent.
Dabei könnten mehrere Milliarden eingespart werden, ohne dass die Qualität leide, räumte die Gesundheitsministerin ein. Im indirekten Gegenvorschlag zur Mitte-Initiative sind Kosten- und Qualitätsziele enthalten, doch die vom Bundesrat geplanten Massnahmen bei einem Nichterreichen wurden vom Parlament auf Druck der «Profiteure» gestrichen.
Die Mitte hält deswegen an ihrer Initiative fest, doch das Risiko besteht, dass sich auch bei einer Annahme wenig ändert. Zwar ist geplant, dass sich die Akteure im Gesundheitswesen für steigende Kosten rechtfertigen müssen. Die dadurch erzeugte Transparenz könne kostendämpfend wirken, hoffen BAG-Vertreter. Wahrscheinlicher ist ein «Placebo-Effekt».
Die SP-Initiative verlangt, dass jede Person maximal 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien aufwenden muss. So sollen nicht zuletzt mittelständische Familien entlastet werden. Damit würden aber nur die Symptome und nicht die Ursachen der steigenden Gesundheitskosten bekämpft, meinte die SP-Bundesrätin.
Es wäre in den Worten von Lukas Engelberger eine «reine Schmerztherapie», und erst noch eine kostspielige. Wobei die Berechnung laut dem BAG nicht einfach ist. Es kursieren Zahlen, die stark von den Parametern bei Prämie und Einkommen abhängen. Hinzu kommt das nur schwer berechenbare Ausmass der Kostensteigerung.
Entsprechend gross ist die Bandbreite der möglichen Mehrkosten. Für den Bund, der bei einer Annahme der Initiative zwei Drittel der Prämienverbilligungen übernehmen müsste, betragen sie gemäss BAG-Berechnungen bis 2030 zwischen sechs und neun Milliarden Franken. Auf die Kantone entfallen demnach etwa 1,5 bis 2,7 Milliarden Franken.
Dabei ist das Problem real. 2010 hatten noch knapp 30 Prozent der Prämienzahlenden eine Verbilligung erhalten. 2002 sank der Anteil auf rund 26 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Kantone die Prämienverbilligungen als «Sparpuffer» verwenden. Gleichzeitig stieg die ausbezahlte Summe pro Person von rund 1700 auf knapp 2400 Franken pro Jahr.
Der indirekte Gegenvorschlag setzt hier an. Kantone mit hohen Gesundheitskosten müssten demnach mehr zahlen als Kantone mit tiefen Kosten. Dadurch entstehe ein Anreiz, das Kostenwachstum zu bremsen, sagte Baume-Schneider. Die Mehrkosten von mindestens 360 Millionen Franken genügen der SP jedoch nicht, weshalb sie an ihrer Initiative festhält.
Eine Annahme könnte allerdings zwei potenziell erhebliche Nebenwirkungen auslösen. Ein «Prämiendeckel» könnte die Versicherten dazu bewegen, zu einem Modell mit tiefer Franchise und freier Arztwahl zu wechseln. «Es besteht das Risiko, dass das Kostenbewusstsein abnimmt», warnte die Gesundheitsministerin. Die Initiative wäre somit kontraproduktiv.
Die Mehrkosten von bis zu 11,7 Milliarden Franken für Bund und Kantone bis 2030 würden zudem Steuererhöhungen unvermeidlich machen. Das Nein-Komitee warnte am Freitag vor Zusatzkosten von bis zu 1200 Franken pro Haushalt. Die Berechnung wirkt ziemlich willkürlich, doch dieser Effekt relativiert die mögliche Entlastung bei den Prämien.
Nimmt man die absehbaren Zusatzkosten für die 13. AHV-Rente durch höhere Lohnabzüge und/oder Mehrwertsteuer hinzu, zeigt sich: Der Ausbau des Sozialstaats ist eben nicht gratis. Die Kostenbremse- und die Prämienentlastungs-Initiative adressieren ein reales Problem. Aber sie sind mit potenziellen Risiken und Nebenwirkungen verbunden.
Und kann einen oder zwei Gegenvorschläge bringen, die richtig und billig sind.
Die Stimmberechtigten könnten dann auswählen.
Stattdessen muss Baume-Schneider für den Bundesrat jammern, der sich weiterhin um Lösungsvorschläge drückt.
Erinnert an die AHV-Abstimmung zur 13. Rente.
Ein Ja zu beiden Initiativen ist alternativlos.
Die genannten möglichen negativen Folgeerscheinungen lassen sich problemlos vermeiden, wenn die Politiker endlich auf der Kostenseite ansetzen.
An alle beteiligten Politiker: Ihr kassiert jedes Jahr sechsstellige Beträge auf Kosten der Allgemeinheit. Leistet endlich einmal etwas dafür. Die Zeit der faulen Ausreden ist vorbei!