Wie ähnlich die politische Ausgangslage doch ist, nach dem SVP-Wahlsieg von gestern und der Inthronisierung Christoph Blochers in den Bundesrat vor zwölf Jahren. Rückblende: Die SVP gewinnt im Oktober 2003 die Wahlen. Noch am selben Abend stellt die Partei den bürgerlichen Partnern ein Ultimatum: Entweder Christoph Blocher wird Bundesrat oder wir gehen in die Opposition. Der Druck wirkt. Am 2. November ergreifen führende FDP-Politiker Partei für Blocher. Es gehe nun darum, die SVP einzubinden.
Am 10. Dezember katapultiert eine Mitte-rechts-Mehrheit Ruth Metzler, die damalige CVP-Justizministerin, aus der Landesregierung und wählt an ihrer Stelle den SVP-Tribun. Doch das Experiment «Einbindung» scheitert. Blocher schlägt über die Stränge, verletzt die Kollegialität, verhält sich auch als Bundesrat stets wie ein Parteiführer. Vor allem aber: Die SVP gewinnt 2007 erneut die Wahlen. Eine Mitte-links-Koalition wagt dennoch den Hosenlupf. Die Ära Blocher wird mit einem Coup beendet.
Gestern Vormittag, kurz vor der Wahl von Guy Parmelin: FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis (TI) schreitet zum Mikrofon. Die FDP respektiere den Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz. Seine Partei werde die vorgeschlagenen Personen wählen. Gleichzeitig ermahnt Cassis die SVP: «Wir erwarten nicht nur Versprechen, sondern auch Taten: Konkordanz, Verantwortung, kurz, die gemeinsame Lösung von Problemen anstatt deren Bewirtschaftung ausschliesslich für den eigenen parteipolitischen Gewinn.»
Kurz nach Cassis ist CVP-Fraktionschef Filippo Lombardi an der Reihe: Seine Worte sind identisch. «Wir fordern die SVP auf, nach der Wahl eines zweiten Bundesrates wieder konstruktiv mitzuarbeiten und ihre Verantwortung wahrzunehmen.» Die Voten zeigen: Die bürgerliche Mitte hat keine Lust auf eine Sprengkandidatur. Sie will mit der Wahl eines offiziellen Kandidaten die SVP in die Verantwortung nehmen, einbinden, im Idealfall entzaubern. Zurück zum Courant normal, lautet das Credo.
Tags zuvor in der Wandelhalle und in der schicken Bellevue-Bar: Glauben Sie wirklich, die SVP lasse sich zähmen, verzichte künftig auf neue Initiativen und Referenden, welche die Mitte in Bedrängnis bringen, und suche vermehrt den Kompromiss mit den bürgerlichen Partnern? Ein müdes Lächeln allenthalben. «Solange Christoph Blocher die Partei im Griff hat, wird sich an der Konfrontationspolitik nichts ändern», sagt BDP-Präsident Martin Landolt (GL).
Tatsächlich: Die SVP will noch mehr Macht. Der Plan lautet: sukzessiver Ausbau der politischen Dominanz. FDP und CVP sollen mittelfristig zu Juniorpartnern in einem von der SVP dominierten Bürgertum degradiert werden. «Im Unterschied zu uns hat Blocher einen Plan für 2019», sagt der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler. Und dieser Plan heisse: 35 Prozent Wähleranteil. Heute liegt die Partei gesamtschweizerisch bei 30 Prozent. In der Romandie, etwa im Waadtland, sind es deutlich weniger (22,6 Prozent). Im Westen des Landes gibt es also noch Potenzial. Da kommt die Wahl eines Waadtländer Bundesrats wie gerufen. Die SVP dürfte künftig ennet dem Röstigraben dank Parmelin viel weniger als Deutschschweizer Partei wahrgenommen werden als bisher. Davon kann sie nur profitieren.
Für Stefan Engler ist aber klar: Um ihre Ziele zu erreichen, wird die SVP weiterhin auf Provokationen und massive Kampagnen setzen müssen. Wer glaube, die Partei lasse sich einbinden, sei ein Fantast. SP-Nationalrat Cédric Wermuth sagt: «Als Dank für die bürgerliche Hilfe bei der Bundesratswahl wird Blocher bereits Anfang 2016 das Land mit einer heftigen Kampagne für die Durchsetzungsinitiative überziehen.» Abstimmungstermin ist Ende Februar.
SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz unterstreicht kurz vor der Wahl Parmelins vor der Vereinigten Bundesversammlung: «Wir sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen.» Und Christoph Blocher doppelt nach der Wahl auf «Teleblocher» nach: «Jetzt haben wir eine Verantwortung. Wir haben zwei in der Regierung.»
Was er darunter versteht, führt er offen aus. Es gehe jetzt darum, aufzupassen, dass die beiden SVP-Vertreter im Bundesrat auch wirklich SVP-Politik machten. Kriminelle Ausländer rigoros ausschaffen, das vermeintliche Asylchaos stoppen, den EU-Beitritt verhindern, Schweizer Recht vor Völkerrecht. Kompromisse mit der Mitte? Fehlanzeige. «Für die SVP ist heute ein guter Tag», sagt Blocher. «Wir haben einen Bundesrat bekommen, den wir als unseren Vertreter anerkennen.» Was er nicht sagt: Der gesellige Parmelin eignet sich idealtypisch für eine Doppelstrategie. Konstruktive Mitarbeit mit einem freundlichen Weinbauer aus der Romandie im Bundesrat einerseits, knallharte Oppositionspolitik im Parlament und mit den Instrumenten der direkten Demokratie andererseits.
Um 15.30 Uhr versammelt sich die Bundeshausfraktion zum Festmahl im edlen Berner Kornhauskeller. Bei einem exquisiten 4-Gang-Menü lassen die Politiker den Wahltag Revue passieren. Jetzt dürfe gefeiert und gelobt werden, findet Blocher. Als Vorspeise wird eine Marronicrèmesuppe mit Trüffelöl serviert. Danach gibt es einen gemischten Blatt- und Gemüsesalat mit Croûtons. Zum Hauptgang werden Rindsfiletmignons mit Steinpilzen an Rotweinjus aufgetragen. Ein Apfelkuchen mit Zimtglace rundet das Festmahl ab.
Doch Chefstratege Blocher wacht darüber, dass seine Partei ja nicht überbordet. Noch gestern Abend, unmittelbar nach dem Schmaus, traf sich die Parteileitung zu einer ersten Strategiesitzung. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Mission ist noch nicht beendet. Im Gegenteil: Sie ist mit der Wahl von Guy Parmelin gerade neu lanciert worden.
z.B. Konkordanz: die besteht nicht nur aus der Zauberformel, sondern auch aus echter Regierungsverantwortung (aka Kompromissfähigkeit). Sonst funktioniert sie nicht.
oder Kollegialitätsprinzip im Bundesrat bedeutet: alle vertreten die Entscheidungen des Gremiums, auch wenn sie selbst dagegen waren. Die Leseart der SVP ist aber eher: alle vertreten die Position der SVP und bei anderen Themen schiessen wir aus vollen Oppositionsrohren.
Schade...