Die Kritiker der Corona-Massnahmen haben einen neuen Gegner gefunden: sich selbst. Immer mehr Gruppierungen und Vereine lösen sich auf, spalten sich ab oder booten Führungsfiguren aus.
Jüngstes Beispiel sind die «Freunde der Verfassung». In einer Mitteilung kommunizierte der Verein, dass das gegenseitige Vertrauen im Vorstand in den letzten Monaten so gelitten habe, dass die Arbeit blockiert gewesen sei. Deswegen trete der Vorstand nun geschlossen zurück.
Das Zerwürfnis der Verfassungsfreunde hat sich angedeutet. Bereits seit Monaten zanken sich der ehemalige Mediensprecher Michael Bubendorf und der Rest des Vorstands öffentlich.
Das Tohuwabohu bei den Verfassungsfreunden ist kein Einzelfall. Auch bei anderen Vereinen hängt der Haussegen schief. Scheitert die Protestbewegung an sich selbst? Oder bereiten sich die Vereine auf die Zeit nach der Pandemie vor? Eine Übersicht.
Interne Streitigkeiten bei den «Freunden der Verfassung», die massgeblich hinter den beiden Referenden zum Covid-Gesetz standen, deuteten sich schon länger an. Ihr ehemaliger Mediensprecher Michael Bubendorf fiel in den letzten Monaten vermehrt mit denkwürdigen Auftritten auf. So sagte er an einer Demonstration in Bern zum Beispiel, dass er keine bessere, sondern gar keine Regierung mehr wolle. Auf YouTube wird er noch konkreter: «Wir lösen uns kollektiv vom Staat.»
Die Idee einer ungeimpften Parallelgesellschaft geistert bereits seit einiger Zeit durch Anti-Corona-Kreise. Für den Vorstand der Verfassungsfreunde ein No-Go. Sie geben sich gemässigt und wollen mit Bubendorfs Aussagen nichts zu tun haben. «Sie repräsentieren seine private Meinung und nicht diejenige des Vereins. Wir distanzieren uns davon», schrieb die Gruppe in einer Mitteilung Anfang Dezember.
Anfang dieser Woche gab dann auch noch Co-Präsident Werner Boxler seinen Rücktritt bekannt. Zu viel für den Verein. Eine Mediation zwischen den Vorstandsmitgliedern trug keine Früchte, das gegenseitige Vertrauen habe zu sehr gelitten. Deshalb stellten alle ihr Mandat «im Hinblick auf vorgezogene Neuwahlen» zur Verfügung. Frühestens Ende Februar soll ein neuer Vorstand gewählt werden.
Sowohl Michael Bubendorf als auch die «Freunde der Verfassung» wollten auf Anfrage von watson nichts über die Rücktritte sagen.
Ein ähnliches Schicksal ereilte den Verein «Mass-voll». Die Jugendgruppierung rund um das ehemalige FDP-Mitglied Nicolas Rimoldi organisiert seit über einem Jahr grosse Corona-Demonstrationen, der violette Schriftzug dürfte mittlerweile vielen ein Begriff sein.
Bis zur Abstimmung über das Covid-Gesetz teilte sich Rimoldi das Präsidium mit Viola Rossi. Diese sorgte bereits im Vorfeld des 28. Novembers für Unmut: Es kursierten Videos von ihr, in denen sie Polizistinnen und Polizisten anschreit. Zudem belagerte Rossi mit «Mass-voll» in der nationalen Impfwoche das Impfdorf am Zürcher Hauptbahnhof.
Des Guten zu viel, auch nach dem Gusto der «Freunde der Verfassung». Der Verein, der den Kern des Referendumskomitees bildete, wollte, dass Rossi für sie in der SRF-«Arena» gegen das Covid-Gesetz debattierte. Nach dem Vorfall im Impfdorf zogen die Verfassungsfreunde ihre Nomination für Rossi jedoch zurück.
Kurz nach der Abstimmung dann die Spaltung innerhalb von «Mass-voll»: Viola Rossi und weitere Mitglieder verliessen den Verein und gründeten kurzerhand einen neuen: «Taraxxa». Wofür der Verein genau einsteht, bleibt etwas unklar. Laut einer Mitteilung soll der Verein vor allem jungen Menschen, «die sich nirgends zugehörig fühlen, die vom Leben ausgeschlossen wurden», einen Zufluchtsort bieten.
Woher der Bruch zwischen Rimoldi und Rossi kommt, ist nicht klar. Der neue Verein «Taraxxa» musste gleich zu Beginn klarstellen, dass Rimoldi nicht Mitglied sei. Auf Anfrage betont Rimoldi jedoch, dass man sich im Guten getrennt habe und die Aufsplittung rein strategischer Natur war.
Wie gross der Mitgliederschwund bei «Mass-voll» nach der Aufsplittung ist, ist ebenfalls nicht klar. Rimoldi selbst bleibt seiner Linie auch nach der Abstimmung über das Covid-Gesetz treu. Auf Twitter und auf Telegram bezeichnet er Alain Berset und die gesamte Schweizer Regierung unermüdlich als Faschisten.
Einen speziellen Fall stellt das Onlineportal «Die Ostschweiz» dar. Seit Ausbruch der Pandemie fällt das Medium als Kampfblatt der Covid-Kritiker auf. Im Juli 2021 sorgte «Die Ostschweiz» für einen handfesten Skandal, als ein Bündner Gastautor die Schweizer Impfkampagne als Völkermord und Gesundheitsminister Alain Berset als «schwerkranken Psychopathen» bezeichnete. Verschiedene Politikerinnen, die für das Portal Meinungsartikel schrieben, beendeten daraufhin die Zusammenarbeit.
«Die Ostschweiz» hat sich zum Lieblingsmedium der coronaskeptischen Telegram-Kanäle gemausert. Gemäss Angaben des Chefredaktors Stefan Millius konnte man die Anzahl der Unique Clients von rund 200'000 pro Monat vor der Pandemie auf «bis zu 1,5 Millionen zu Spitzenzeiten» steigern.
Doch damit ist nun Schluss. Wie die Redaktion Ende Dezember mitteilte, wolle man künftig nicht mehr über Corona berichten. «Wir sind der Meinung, es ist alles gesagt», erklärt Millius. «Mit der Abstimmung ist ein demokratischer Entscheid gefallen. Das Volk stützt den Kurs des Bundesrates. Aus unserer Sicht macht es deswegen keinen Sinn mehr, jede Woche den Bundesrat zu kritisieren und aufzuzeigen, wieso er komplett falsch liegt.»
In Skeptikerkreisen trauert man dem Verlust eines Sprachrohrs nach. «Mass-voll» bedankt sich beispielsweise auf Telegram «für die kritische Berichterstattung». Auch Stefan Millius ist sich bewusst, dass man einen beträchtlichen Teil der Leserinnen wieder verlieren könnte. Doch: «Wir sind eine regionale Zeitung, die sich wieder auf ihr Kerngeschäft fokussieren will. Das ist mit unseren bescheidenen Ressourcen nicht möglich, wenn man ständig im Corona-Hamsterrad gefangen ist.»
Es gibt weitere Beispiele für das scheinbar wacklige Gerüst der Skeptikerszene. Daniel Stricker, der mit seiner Talkshow auf YouTube und anderen Kanälen ein grosses Publikum erreicht, sorgte im Dezember für einen Eklat, als er sich plötzlich aus den USA meldete. Er wolle einen Roadtrip durch das Land machen, liess er verlauten.
Nur: Um in die USA einreisen zu können, muss man geimpft sein. Strickers Fans zeigten sich enttäuscht und Stricker sah sich gezwungen, ein Video zu erstellen, in dem er kryptisch darlegte, dass es auch ohne Impfnachweis Wege gebe, um in die USA einzureisen.
Die Frage bei all diesen Beispielen lautet: Ist der Corona-Widerstand dem Untergang geweiht? War die zweite Abstimmungsniederlage eine zu viel?
Nein, findet der Sozialwissenschaftler Marko Kovic. Er beschäftigt sich seit Ausbruch der Pandemie intensiv mit den Anti-Corona-Bewegungen. «Aus diesen Vorfällen zu schliessen, dass die ganze Skeptiker-Bewegung dem Untergang geweiht ist, halte ich für nicht richtig.»
Veränderungen, wie wir sie jetzt sehen, seien ganz normal. «Bei der grünen Protestbewegung in den 60ern und 70ern konnte man dies ebenfalls beobachten», sagt Kovic. Es sei nicht unüblich, dass in solchen Bewegungen nach einem Jahr personelle Veränderungen anstehen.
Kovic sieht darin keinen Zerfall, sondern eine Professionalisierung. «Nach der Sturm-und-Drang-Phase will man nun Strukturen aufbauen, die nachhaltig überleben können». Dabei hätte extremes Gedankengut, wie es Michael Bubendorf bei den Verfassungsfreunden verbreite, keinen Platz.
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Mit der Aussortierung des extremen Gedankenguts kann die Führungsebene dieser Vereine also ideologisch homogener werden. So könnten sie potenziell an Schlagkraft dazugewinnen – oder gesellschaftliche Legitimation. Erste Coronaskeptiker lassen sich dieses Jahr bereits bei Stadt- und Gemeinderatswahlen aufstellen. «Die Bewegung will nicht mehr nur den lauten Protest auf der Strasse, sondern auch in die Politik», sagt Kovic.
«Dazu passt auch, dass ‹Mass-voll› und Co. momentan aus allen Rohren gegen das Mediengesetz schiessen.» Man wolle nicht mehr nur noch das Corona-Thema bewirtschaften, sondern auch andere, die in das rechts-libertäre Weltbild passen. Nur so könnten diese Vereine das Ende der Pandemie überstehen.
Das bestätigt «Mass-voll» auf seinem Telegram-Kanal gleich selbst: «Für uns ist die Zeit des Schweigens noch lange nicht angebrochen», heisst es da.
Also müssen diese Gruppierungen zutiefst Anti-Demokratisch sein. Ich hoffe nur, die Wähler an den Orten wo diese faschistoiden Typen sich aufstellen lassen, denken etwas nach bevor die diese wählen.