Bianca Schaffert arbeitet als Pflegeexpertin auf dem Notfall eines Regionalspitals im Mittelland. Schaffert ist zudem Vizepräsidentin der Zentralen Ethikkommission der Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
Sie arbeiten als Pflegefachperson an der Front. Wie sieht die Situation in den Spitälern aus?
Bianca Schaffert: Die Patientenzahlen bei den Covid-Patienten nehmen zu. Über die letzten Wochen gesehen waren mit Schwankungen etwa 40% geimpft und die anderen 60% ungeimpft. Das entspricht den Zahlen, welche die Gesundheitsdirektion für den ganzen Kanton Zürich veröffentlicht. Auf den Intensivstationen sind etwa fünf von sechs Covid-Patientinnen und -Patienten ungeimpft. Seit die Delta-Variante dominiert, kommen auch viele Patientinnen und Patienten ohne Vorerkrankungen im Alter zwischen 30 und 50 auf die IPS. Darüber hinaus betreuen wir wie jeden Winter sehr viele andere Patientinnen und Patienten ohne Covid. Allen jederzeit gerecht zu werden, ist sehr anspruchsvoll.
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Ist die Lage ähnlich schlimm wie letztes Jahr?
Nein, aber falls es nicht gelingt, die täglichen Ansteckungsraten schnell zu senken, könnte es in ein paar Wochen so weit sein. Dabei muss man immer bedenken: Wer sich heute ansteckt, wird erst in 5 bis 7 Tagen positiv getestet und kommt bei schwerem Verlauf erst weitere 5- bis 7 Tage später ins Spital. Das heisst, diejenigen Covid-Patientinnen und -Patienten, die wir jetzt behandeln und pflegen, haben sich schon vor über 10 Tagen angesteckt und die Fallzahlen von heute bestimmen die Anzahl Patientinnen und Patienten im Spital in den nächsten Wochen. Allerdings haben wir nicht mehr die gleichen Ressourcen wie letztes Jahr.
Sie sprechen den Personalmangel an?
Ja. Da spielen viele Faktoren mit. Zum einen haben gemäss Berufsverband der Pflegefachpersonen etwa 10 Prozent der Pflegenden gekündigt. Dann haben wir aktuell Krankheitsausfälle und Personal, das sich in der Isolation oder Quarantäne befindet. Einige davon haben einen Impfdurchbruch. Darüber hinaus ist das bestehende Personal müde und es ist belastend, dass das Ende dieser arbeitsreichen Situation nicht abzusehen ist. Letztes Jahr während der Lockdowns war es auch einfacher, zusätzliches Assistenzpersonal zu finden. Viele sassen zu Hause und wollten etwas Sinnvolles tun.
Nun ist oft die Rede von einer möglichen Triage, wenn die IPS-Betten knapp werden sollen. Ist das in Ihrem Spital auch ein Thema?
Wir können aktuell alle zertifizierten IPS-Betten betreiben, während es Spitäler gibt, die aufgrund von Personalmangel IPS-Betten und Betten-Stationen geschlossen haben. Bevor Triage ein Thema wird, kommen zuerst andere Massnahmen zur Anwendung. So beispielsweise das Betreiben zusätzlicher Überwachungsbetten im Aufwachraum, die frühere Verlegung von Patienten der Intensivstation auf die Bettenstation oder das Verschieben von Operationen. Gewisse geplante Operationen kann man verschieben. Patientinnen und Patienten, die über den Notfall kommen, kann man nicht planen und damit die Bettenbelegung auch nicht steuern.
Es gibt noch immer Leute, die von der Impfung nicht überzeugt sind. Was sagen Sie denen?
Wir sehen klar, dass bei den geimpften Patienten die Verläufe weniger schwer sind als bei den ungeimpften. Sie erholen sich schneller, sie sind während der Krankheitsphase allgemein stabiler und haben seltener schwere Verläufe, wenn sie erkranken. Es ist ganz einfach: Wer geimpft ist, startet mit besseren Chancen ins Rennen mit Sars-CoV2. Es ist wie bei einem Marathon: Das Immunsystem der Geimpften ist trainiert. Dasjenige der Ungeimpften muss einen Kaltstart hinlegen und wenn nötig einen langen Marathon ohne Training durchstehen.
Was halten Sie von einer Impfpflicht?
In unserer Kultur wird die Freiheit, selbst zu entscheiden, als sehr hohes Gut angesehen. Daher muss der Nutzen der Impfung sehr hoch sein, damit eine über das geltende Recht verordnete Impfpflicht als verhältnismässig gerechtfertigt ist. Daneben gibt es Argumente, die für eine moralische Impfpflicht sprechen können und in der Gesellschaft gerade heiss diskutiert werden, um viel Leid zu verhindern, Kosten zu sparen und das Leben der Menschen wieder einfacher zu machen. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass die Impfung einerseits enorm zur Entlastung des Gesundheitswesens beiträgt, andererseits das Covid-Problem nicht alleine zu lösen vermag. Die vielen Durchbrüche mit Ansteckungspotenzial zeigen auf, dass es dringend und zwingend für alle ist – geimpft und ungeimpft –, Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen wie korrektes Tragen der Maske, Abstandhalten, Testen bei Symptomen und Meiden von grossen Menschenansammlungen in Innenräumen einzuhalten.
Es ist mal ein gegenpol zu den Artikeln auf Wataon die suggestieren, das wir längst aus der Pandemie wären wenn sich die Leute impfen würden. Mit dem Höhepunkt der Schlagzeile das bisher erst 14 geimpfte Personen gestorben seien (obwohl es 6 Monate alte Daten waren).
Impfen ist sehr wichtig und ohne wären wir vermutlich in einer ganz anderen viel schlimmeren Situation. Trotzdem müssen langzeit Strategien erarbeitet werden. Covid lässt sich nicht mehr ausrotten und die Impfdurchbrüche gibt es nun mal.
Leider darf man bei der Impfung nicht Eigenverantwortung wahrnehmen und früher boostern.
Die Impfung ohne bewährte Hygienemassnahmen funktioniert mit den ansteckenderen Varianten leider nicht mehr um die Pandemie zu beenden. Darum ist es aktuell wichtig auch als geimpfte möglichst eine Maske zu tragen und grössere Versammlungen zu meiden. Dennoch benötigt es mehr grimpfte.