Bundeshaus in Bern während der Wintersession im Dezember. Zufällige Begegnung in der Wandelhalle mit einem Bundesrats-Mitarbeiter. Er erzählte mir eine Episode, die mir zu denken gab. Bei einer Visite mit seiner kleinen Tochter bei der Kinderärztin habe diese ihm und seiner Frau dafür gedankt, dass sie ihren Nachwuchs bedenken- und diskussionslos impfen liessen.
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Das sei heute nicht mehr selbstverständlich, habe die Ärztin gesagt. Etwa mit der Hälfte aller Eltern gebe es Diskussionen über angebliche Risiken von Impfungen. Wir waren uns einig: Wenn die Angst vor dem Impfen grösser ist als die Angst vor der Krankheit, ist in unserer Gesellschaft etwas schief gelaufen.
Das zeigt sich gerade jetzt, wo das Thema so drängend ist wie lange nicht. Wir leiden massiv unter der Corona-Pandemie und ihren gravierenden Nebenwirkungen in Form von Lockdowns. Aus heutiger Sicht gibt es nur eine Kur, die dieses Übel nachhaltig beseitigen kann: Die Impfstoffe, die in Rekordzeit entwickelt wurden und sukzessive verfügbar sind.
Was die Forscherinnen und Forscher hier vollbracht haben, ist nichts weniger als eine Meisterleistung an menschlicher Innovationskraft. Wird das aber auch gewürdigt? Die Nörgeleien und Schuldzuweisungen wegen verzögerter Lieferungen sind verkraftbar. Der aktuelle Engpass wird sich auflösen, wenn die Produktion auf Hochtouren läuft.
Wirklich bedenklich ist die weit verbreitete Skepsis, ja die Ablehnung gegenüber dem Impfen an sich. Und das häufig bei jenen, die es besser wissen müssten: Eine Umfrage von Tamedia bei verschiedenen Alters- und Pflegeheimen zeigt, dass sich im Schnitt nur gerade rund ein Drittel der Angestellten zu einer Corona-Impfung durchringen kann.
Was ist da los?
Für meine Eltern war es keine Frage, ob sie mich impfen lassen sollten. Sie stammen aus einfachen, streng katholischen Verhältnissen. Beide haben Geschwister im Kindesalter zu Grabe getragen. Für sie waren Impfungen ein segensreicher Fortschritt. Aus meiner Kindheit in den 1960er und 70er Jahren ist mir kein Fall von Impfskepsis in Erinnerung.
Ich wurde auch in der Schule regelmässig gepikst, was nicht lustig war – ich hatte als Kind höllische Angst vor Spritzen. Später liess ich mir vor Reisen in exotischere Gefilde viele verpassen. Mein graues und mein gelbes Impfbüchlein sind ziemlich voll. Sogar die MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) habe ich im Erwachsenenalter nachgeholt.
Haben mir diese Vakzine geschadet? Nicht, dass ich wüsste. Dafür haben sie vielleicht verhindert, dass ich als «Souvenir» eine Krankheit wie Gelbfieber mitgebracht habe.
Die Skeptiker und Gegner kümmert das nicht. Viele junge Frauen in Pflegeberufen haben laut den Tamedia-Zeitungen Angst vor Spätfolgen der Impfung: «Sie fürchten, dass es Probleme mit der Fruchtbarkeit geben könnte.» Ich kann das zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Eine junge Bekannte von mir will deshalb mit der Impfung zuwarten.
«Ich habe mein Leben noch vor mir», begründete die 22-Jährige ihr Zögern. Die Corona-Impfungen sind brandneu, niemand weiss, ob sie langfristig nicht schädliche Nebenwirkungen haben könnten. Ein gewisses Risiko ist vorhanden, aber es gibt kein Nullrisiko-Leben. Nicht einmal in unseren vier Wänden sind wir absolut sicher.
Gerade weil die Corona-Vakzine so schnell entwickelt wurden, stehen sie unter verschärfter Beobachtung. Das wissen die Entwickler und Hersteller. Sie versuchen, Risiken und Nebenwirkungen vertraglich auf die Käufer abzuwälzen. Für sie mag das Routine sein, ärgerlich ist es trotzdem, denn es ist ein gefundenes Fressen für die Impfskeptiker.
Bemüht man sich jedoch um einen nüchternen Blick, besteht kaum Grund zur Sorge. Die oft erwähnte Befürchtung, die Corona-Impfstoffe könnten Frauen unfruchtbar machen, wurde von zahlreichen Experten untersucht und widerlegt, wie das deutsche «Ärzteblatt» aufzeigt. Das gilt auch für andere Ängste wie jene vor einer Überreaktion des Immunsystems.
Impfskeptiker begründen ihre Besorgnis immer wieder mit den gleichen Beispielen. So hat der Impfstoff Pandemrix, der 2009 gegen die Schweinegrippe entwickelt wurde, tatsächlich zu Fällen von Narkolepsie geführt, einer Art Schlafkrankheit. Zu einer Häufung kam es in Schweden, weil Pandemrix dort in Form einer Massenimpfung gespritzt wurde.
In Schweden ist die Abneigung gegen das Impfen deshalb besonders ausgeprägt. Allerdings handelte es sich um etwa 500 Fälle. Weltweit waren es etwa 1300, bei mehr als 60 Millionen verabreichen Pandemrix-Impfdosen. Jeder Fall mag einer zu viel sein, doch das Gesamtbild spricht eine klare Sprache: Das Narkolepsie-Risiko war überschaubar.
Bei Impfskeptikern taucht gemäss Tamedia auch das Argument auf, dass geimpfte Menschen zwar nicht selbst erkrankten, aber das Virus weiterhin auf andere Menschen übertragen könnten. Das wäre in Alters- und Pflegeheimen tatsächlich problematisch. Aber warum sonst werden Alte und Vulnerable prioritär geimpft? Um so etwas zu verhindern!
Es bleibt dabei: Impfskepsis ist irrational. Anfällig dafür sind nicht zufällig Menschen, die lieber auf die Alternativ- als auf die Schulmedizin vertrauen. Möglich ist das nur, weil wir nicht mehr wissen, welche Gefahren mit Krankheiten verbunden sind. Vielleicht ändert sich dies, je länger die Pandemie mit ihren Todes- und Krankheitsfällen andauert.
Denn was ist die Alternative zum Impfen? Wollen wir uns von Lockdown zu Lockdown hangeln, unterbrochen von kurzen Öffnungsphasen? In Trumpscher Manier darauf hoffen, dass das Virus von selbst verschwindet oder sich bis zur Harmlosigkeit abschwächt? Wollen wir auf Jahre hinaus mit Masken und Social Distancing «leben»?
Langsam scheint sich diese Erkenntnis durchzusetzen. In der 6. Corona-Befragung der SRG wollen sich 41 Prozent sicher impfen lassen. Nur 24 Prozent lehnen dies ab. Die für eine Herdenimmunität notwendige Durchimpfung von bis zu 80 Prozent der Bevölkerung scheint erreichbar. Sorgen aber bereiten die 34 Prozent, die abwarten wollen.
Ein übler Verdacht drängt sich auf: Manche Zauderer hoffen insgeheim, dass sie auf der Welle der Impfwilligen mitsurfen und vom Herdenschutz profitieren können, ohne selber den Arm hinhalten zu müssen. Der bekannte deutsche Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen hat zu einer solchen Einstellung eine klare Meinung:
Hirschhausens Aussage bezieht sich nicht auf die aktuelle Pandemie. Sie ist fast drei Jahre alt, stammt also aus einer Zeit, als Corona nur eine Biermarke war. Immerhin besteht Grund zur Hoffnung, dass die Impfskepsis schwinden wird, wenn die Vakzine erst einmal in ausreichender Zahl verfügbar sein werden und eine Art Herdentrieb einsetzen wird.
Sonst bleibt nur ein Mittel, und es ist nicht der Teufel des staatlichen Impfobligatoriums, den die Corona-Skeptiker so gerne an die Wand malen. Kinos, Theater oder Open-Airs könnten zu «Notwehr» greifen und Einlass nur gegen einen Impfnachweis gewähren. Besonders wirksam wäre diese Massnahme wohl bei Flug- und anderen Ferienreisen.
Bereits gibt es Kritik an einem derartigen «indirekten Impfzwang». Er wäre unschön und vor allem juristisch heikel. Es wäre tragisch, wenn uns nur noch diese Option bliebe. Noch können wir das verhindern, wenn wir uns an eine simple Erkenntnis halten, die für unsere Eltern selbstverständlich war: Impfungen schaden nicht, sie helfen.
Realistisch gesehen verstehe ich jeden der warten will. Impf-Skeptiker sind nicht mit Impf-Gegner oder Verschwörungstheoretiker gleichzusetzen.
Wenn sich noch nichtmal die Fachleute wirklich einig sind, wieso denn der "normale" Bürger?
Wenn es dann soweit ist, dass jeder könnte der möchte, aber die Impfverweigerer so viele sind, dass die anderen wegen ihnen im Lockdown bleiben müssen, hätten wir Diskussionsbedarf.
Aber ehrlich gesagt, gehe ich nicht davon aus, dass es soweit kommen wird. Denn je mehr sich mit Erfolg und ohne Nebenwirkungen impfen lassen, desto weniger Skeptiker gibt es.