Der Gang zu seinem Briefkasten ist für Noah (Name geändert) zu einer Belastung geworden. Seit Monaten flattern Arztrechnungen herein, die ihn jedes Mal an die schwierigste Zeit seines Lebens erinnern. An die Zeit, als seine Mutter in der Klinik Hirslanden in Zürich nach einer Krebsdiagnose behandelt wurde, bevor sie starb. Eine Zeit, die er nicht in guter Erinnerung behält. Nicht nur wegen des Todes seiner Mutter.
Im November 2022 verlor Noahs Mutter den Kampf gegen den Krebs. Und noch immer kommen Rechnungen wie diese:
Rechnungsbetrag: 22'704.- CHF
Leistungen: keine Angaben
Wie viele Rechnungen noch folgen, weiss Noah nicht. Niemand kann ihm Auskunft geben. Er weiss nur: Jede Rechnung reisst alte Wunden auf.
Noah sagt:
Die schwierige Zeit beginnt im Winter 2020. Noahs Mutter erhält die Diagnose Krebs. Nach einem Schlaganfall im September 2022 muss sie in der Klinik Hirslanden stationär behandelt werden. Ihr Mann starb früh, Unterstützung erfährt sie durch ihre zwei Söhne.
Die ersten acht Tage verbringt sie auf der Halbintensivstation. Danach wollte man sie auf die normale Station verlegen. Aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands wünscht sich die Krebspatientin ein Einzelzimmer. Da sie gemäss den Bedingungen ihrer Versicherung für einen Aufenthalt in der Klinik Hirslanden nur allgemein versichert ist, muss sie für ein Einzelzimmer einen Aufpreis bezahlen.
Kostenpunkt: 1280.- CHF pro Tag.
Damit nimmt der Ärger mit den Rechnungen seinen Lauf.
Denn der Aufpreis für das Zimmer wird der Familie ab Eintrittsdatum verrechnet. Heisst: Noahs Mutter muss rückwirkend auch die acht Tage bezahlen, die sie nicht in Anspruch genommen hat, wie eine Rechnung zeigt, die watson vorliegt:
Der Preis für ein Upgrade liege im üblichen Rahmen, sagt Mario Fasshauer, Geschäftsleiter der Patientenstelle Zürich. Doch die rückwirkende Verrechnung kritisiert er. «Sollte dies tatsächlich die Praxis sein, wäre es äusserst ungewöhnlich, und es wäre angebracht, die Situation genauer zu untersuchen», sagt der Leiter der Anlaufstelle, die Patienten bei der Klärung rechtlicher Fragen unterstützt.
Die Klinik Hirslanden schreibt, dass dies keine gängige Praxis sei und nur Leistungen verrechnet würden, die tatsächlich bezogen wurden. Über den konkreten Fall darf die Klinik aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben.
Für Noah war dies jedoch nur die Spitze des Eisbergs.
Im Winter 2022 wird Noahs Mutter auf die Intensivstation verlegt. Danach will man sie auf ein Mehrbett-Zimmer verlegen, obwohl sie sich wieder ein Einzelzimmer wünscht. «Meine Mutter rief mich an diesem Tag völlig aufgewühlt und unter Tränen an. Man würde sie verlegen, wenn sie an der Rezeption nicht sofort ein Depot über rund 20'000 Franken für das Einzelzimmer hinterlegen würde», erzählt der 33-jährige Noah.
Er habe der Klinik bereits im Vorfeld angeboten, das verlangte Depot zu hinterlegen. Daran erinnert sich offenbar niemand.
«Meine Mutter hing zu diesem Zeitpunkt an zahlreichen Schläuchen, hatte Krebs im Endstadium. Sprechen fiel ihr schwer, fortbewegen konnte sie sich nur noch im Rollstuhl.» Die Vorstellung, dass seine Mutter in diesem Zustand an der Rezeption die Rechnung begleichen sollte, macht ihn noch heute wütend.
Noah fuhr umgehend in die Klinik und bezahlte. «Die Anzahlung musste jeweils am selben Tag erfolgen», sagt Noah, der sich «unter Druck gesetzt» fühlte.
Mario Fasshauer, Geschäftsleiter der Patientenstelle Zürich, ist ein vergleichbarer Fall nicht bekannt. Er sagt aber, dass aufgrund des Fachkräftemangels öfters Kommunikationsprobleme zwischen den Patienten und dem Personal aufträten.
Wie es im Fall von Noahs Mutter dazu kommen konnte, bleibt unklar. Die Klinik kann auf den konkreten Fall nicht eingehen.
Seit dem Tod der Mutter im November 2022 wäre er froh, die Klinik würde ihm die Rechnungen so schnell wie möglich zustellen.
«Ich flehte die Buchhaltung regelrecht an, mir alle offenen Rechnungen zuzustellen, damit ich sie sofort begleichen kann.» Doch das konnte bis heute niemand.
Das Problem: Die Klinik Hirslanden hat ein sogenanntes Belegarzt-Modell. Die Belegärzte behandeln Patienten zwar in der Klinik, sind aber nicht direkt vom Hirslanden angestellt. Heisst: Sie arbeiten auf eigene Rechnung – und rechnen entsprechend eigenständig ab.
Auf Anraten der Klinik Hirslanden ist die Frau zweimal in eine Rehaklinik verlegt worden. Grob geschätzt haben die drei Aufenthalte in der Hirslanden Klinik sowie die Behandlungen die Familie 200'000 Franken gekostet. Doch wie viele Rechnungen noch offen sind, darüber hat die Klinik keinen Überblick. Dass die Rechnungen für einen Laien unübersichtlich sind, da die erbrachten Leistungen nur mit einem Code ausgewiesen werden, macht die Sache für Noah nicht erträglicher.
Eine Nachfrage bei der Patientenstelle zeigt, dass solche Fälle keine Seltenheit sind. Dass Arztrechnungen für Patienten schwer verständlich sind, sei ein Problem. «Patienten sind die beste Kontrolle im Gesundheitswesen, doch weil viele die Rechnungen nicht nachvollziehen können, ist dieser Kontrollmechanismus eingeschränkt», sagt Mario Fasshauer.
Der Zeitpunkt der vollständigen Abrechnung eines Falles sei von vielen Faktoren abhängig, schreibt die Klinik Hirslanden. Nur ein Teil davon liege in ihrem Einflussbereich. Es könne vorkommen, dass Honorare teilweise direkt von den Partnerärzten verrechnet werden. Der Inhalt dieser Abrechnungen entziehe sich dann der Kenntnis des Spitals.
Das Belegarztmodell hat Noah auch aus einem anderen Grund in schlechter Erinnerung. Die Ärzte seien untereinander schlecht informiert gewesen und hätten sich zu wenig miteinander abgesprochen. «Der Urologe wollte beispielsweise einmal den Blutverdünner absetzen, der Neurologe hingegen riet meiner Mutter dringend davon ab, um einen erneuten Schlaganfall zu verhindern.»
Die Ursache dafür liegt der Patientenstelle zufolge am Belegarztsystem. Die Klinik stellt nur das Bett und die Hotellerieleistung zur Verfügung, die Behandlung obliegt den Belegärzten. Die Problematik: Die Praxissysteme dieser Ärzte seien nicht mit dem Kliniksystem verknüpft. «Leider gibt es immer noch keine elektronische Patientenakte», sagt Fasshauer.
Das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) ist 2017 in Kraft getreten. Doch bei der Umsetzung harzt es. Bis im August 2023 sind in der Schweiz erst rund 25'000 Patientendossiers eröffnet worden.
Es besteht derzeit keine umfassende Vernetzung zwischen den IT-Systemen der verschiedenen Praxen und Spitälern. Diese mangelnde Integration führe dazu, dass wichtige Patienteninformationen und medizinische Daten oft nur fragmentiert und isoliert vorliegen würden. In der Folge sei nicht auszuschliessen, dass dies zu negativen Auswirkungen bis hin zu Komplikationen führen könne.
Krankheitsbedingte Kosten, die von keiner Versicherung gedeckt sind, können in gewissen Fällen vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden – allerdings nur innerhalb von drei Monaten nach Todestag. Im Falle von Noahs Mutter ist diese Frist längst abgelaufen.
«Alle Rechnungen, die nach der Einreichung der Steuererklärung versendet wurden oder noch folgen, kann ich nicht mehr abziehen. Ich habe dies mit dem Steueramt geprüft», sagt Noah. Ausserdem habe das Steueramt ihn aufgrund der undetaillierten Arztrechnungen mit Rückfragen kontaktiert.
In seinen Augen ist das Belegarztsystem für Selbstzahler überhaupt nicht durchdacht. «Man ist sich im Vorfeld nicht bewusst, was da alles auf einen zukommt. Normalerweise läuft dies ja alles über die Krankenkasse. So wird man nicht ständig mit dem Tod einer geliebten Person konfrontiert.»
Bis 2027 haben er und sein Bruder keine finanzielle Planungssicherheit. Im gesetzlichen Rahmen dürfen Ärzte für bis zu fünf Jahre zurückliegende Leistungen in Rechnung stellen. «Erst kürzlich habe ich eine Rechnung von 2021 erhalten – einer früheren, ambulanten Krebsbehandlung meiner Mutter.» Noah sagt: «Ich bin überzeugt, dass noch so manche Überraschung auf uns zukommen wird.»
Das sind 38400.- pro Monat, für ein Zimmer plus ein bisschen Zusatzservice.
Halleluja, für das Geld lebt man wortwörtlich fürstlich in einem Hotel, oder in einer Luxuswohnung (10k) mit eigenem Personal (2x 14k).
Eine Unverschämtheit, und eine Frechheit wenn man schaut, was beim Pflegepersonal ankommt und den Krankenkassen/Kantonen belastet wird. Die Abzocke hat System, so werden wir die Gesundheitskosten nie in den Griff bekommen.
Dasselbe bei Altersheimen.