Es ist ein bisschen paradox. Spätestens mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs erlebt die Welt eine Rückkehr zur internationalen Bipolarität: Westen gegen Osten, Autokratie gegen Demokratie. Just in diesem Moment entdeckte Mitte-Präsident Gerhard Pfister eine neue Identität für seine Partei: Er besann sich auf die westlichen (nicht mehr christlichen) Werte und schuf damit nach eigenem Empfinden in der Schweiz einen dritten Pol, eingemittet zwischen links und rechts.
Damit das auch allen klar wurde, verbreitete Pfister das Mitte-Mantra medial nach den jüngsten Wahlsiegen besonders kräftig. In der NZZ sagte er: «Wir erleben die Herausbildung eines Systems mit drei Polen. Rechts die SVP und die FDP, links die SP und die Grünen, dazwischen ein Zentrum um die Mitte-Partei herum.» Im «Tages-Anzeiger» und in einem Hintergrundgespräch vergangene Woche wiederholte er, was er eigentlich schon vor den Wahlen immer gesagt hatte – wenngleich er damals aufgrund offener Listenverbindungen noch etwas flexibler gegenüber den Polen war.
Keine Frage: Aus den Wahlen geht die neu erfundene Partei pfisterscher Prägung gestärkt hervor. Im Stände- (klar) wie auch im Nationalrat (knapp) liegt die einstige CVP nun vor dem Freisinn. Sie wird damit in der neuen Legislatur zum wichtigsten Scharnier, sobald es zur Blockbildung kommt. Nach der Aussen- folgt nun aber die Innenwirkung. Und hier wird sich erst weisen müssen, wie gut die Bundeshaus-Fraktion dem zentrischen Kurs ihres Präsidenten folgen kann. Hinter den Kulissen hat das Ringen begonnen.
Bereits in der fraktionsinternen Debatte um die BVG-Reform vergangenen Frühling hat sich Pfisters grosser Antipode gezeigt: Es ist Markus Ritter, Bauernpräsident. Erst kürzlich bestätigte er in einem Interview, dass er sich für das BVG-Referendum einsetzt – während Pfister die wichtige Arbeit seiner Partei an der Vorlage rühmt. Die Abstimmung darüber im kommenden Jahr wird die Konfliktlinie zwischen den beiden weiter schärfen. Es ist aber nicht der einzige Schauplatz im Mitte-Hahnenkampf, raunt es aus der Fraktion.
Schon in heute beginnenden Wintersession wird das Budget zum Thema werden. Ritter und Konsorten wehren sich mit Verve gegen Kürzungen zulasten der Landwirtschaft – und ernten damit Unverständnis im wirtschafts- und sozialliberaleren Flügel der Partei. Dieser, muss man wissen, fühlt sich durch die vergangenen Wahlen bestärkt: «Unsere Partei hat schliesslich überall dort gewonnen, wo wir uns als progressive Kraft gegeben haben», sagt ein Fraktionsmitglied. Gegner könnten kontern: Gewählt wurden aber immer noch mehrheitlich Anhänger der konservativen Achse. Gerade im Ständerat sind diese deutlich in der Überzahl.
Uneinig ist sich die Mitte vor allem dann, wenn es ums Portemonnaie der Leute geht. Das ist nicht ganz neu. Schon in der vergangenen Legislatur wollte Präsident Pfister eine Kaufkraft-Allianz mit der SP zimmern, als das Parlament über Renten und Krankenkassenprämien stritt. Am Ende scheiterte Pfisters Deal mit Links am Widerstand eigener Ständeräte. Doch auch im Nationalrat gibt es konservative Mitte-Mitglieder mit sehr intaktem Selbstbewusstsein und wenig Verständnis für Pfisters Umverteilungspläne. Bei den baldigen Debatten über Mieten dürften die internen Gräben deshalb ähnlich verlaufen. «Das wird ein erster Lackmustest für uns», sagt ein anderes Fraktionsmitglied.
Selbst im Dossier Gesundheitskosten, Kernthema der Mitte-Partei und Pièce de Résistance in der Kaufkraftdebatte, treten Interessenkonflikte offen zutage: Kämpfen die sozialliberalen Mitte-Exponentinnen für tiefere Prämien, weibeln die konservativeren Ständeräte für die Spitalstandorte in ihren Kantonen – oder für die Krankenkassen, in deren Sold sie stehen. Ein Umstand, den Pfister mehrfach schon stark kritisierte.
Die Mitte und das Geld: Nicht ohne Grund drängt Bauernpräsident Ritter jetzt in die Finanzkommission. Noch offen ist, wer neben ihm sitzt. Zwei weitere Sitze hat Fraktionspräsident Philipp Bregy zu vergeben, sollte Ritter den Zuschlag erhalten. Was noch nicht ganz sicher ist: Ritter beansprucht auch einen Sitz in der Wirtschaftskommission (WAK) für sich. Bislang galt, wer in die WAK darf, erhält daneben keine weiteren Kommissionsmandate. Womöglich lassen sich an diesen Personalien schon erste Richtungsentscheide ablesen.
Für konservativere Kräfte in der Mitte wiederum ist eine Grenze erreicht, wenn sich liberalere Fraktionsmitglieder allzu euphorisch Europa annähern wollen. Auch dieses Dossier wird in der kommenden Legislatur wieder an Gewicht gewinnen.
Zunächst aber wird ein Personalgeschäft das Kräfteverhältnis innerhalb der Fraktion ausloten: die Wahl zur Nachfolge von Bundespräsident Alain Berset. Ritter hat sich in der Vergangenheit klar gegen SP-Bundesratskandidat Beat Jans gestellt und dies auch öffentlich kundgetan. «Damit hat sich Ritter verrannt», sagen wichtige Stimmen aus der Fraktion. Sie zweifeln daran, dass alle Bauern dem Verdikt ihres Präsidenten folgen und tatsächlich den jungen Jon Polt wählen werden. Das Bauern-Hearing findet heute Montag statt.
Kaufkraft, Aussenpolitik, Bundesrat: Manchmal wirkt es, als zöge sich der Stadt-Land-Graben quer durch die Mitte-Fraktion. Oder anders gesagt: Zum Start der neuen Legislatur wirkt der dritte Pol noch reichlich bipolar.