Einem kleinen russischen Mann mit traurigen Augen wächst eines Tages einfach so ein Schwanz. Ein Vater reitet wie ein Verrückter durch einen impressionistischen Wald. Er flieht mit seinem Sohn im Arm vor dem bösen Erlkönig. Und drei sehr grosse und sehr reiche Berge lachen ihren kleinen Artgenossen aus, weil er fast gar nichts besitzt. – Die Filme, die am diesjährigen Animationsfilm-Festival in Baden gezeigt werden, erzählen mal leichte, mal schwere Geschichten, manche sind lustig, andere traurig und einige sind einfach nur sehr hübsch anzusehen. 85 Kurz- und Langfilme aus 15 verschiedenen Ländern stehen auf dem Programm. Und Polen ist ganz vorne mit dabei.
Denn Polen ist gross im Animationsfilme-Machen: Eine gut vernetzte Szene, zahlreiche Studios, eine Schule für animierte Filme in Lodz. Und ein gewaltiger Sinn fürs Experimentelle. Die Fantoche-Leute haben sich deshalb die beiden polnischen Kuratoren Piotr Szczepanowicz und Anja Sosic nach Baden geholt.
Drei Kurz- und ein Langfilm sollen hier kurz vorgestellt werden:
Eine Frau macht sich schön. Sie duscht, schnappt sich eine Unterhose, sie schneidet mit einer Schere ihre Achselhaare ab. (Sie waren vorher sehr lang.) Dann kommt er. Der Mann, für den sie sich schön gemacht hat. Und dann geht's rund. Am Ende verliert er sein Auge. Fünf wunderbar feurige Minuten.
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Ein Mann macht auf der Strasse Werbung. Man weiss nicht genau wofür. Vielleicht für Bananen. Er trägt nämlich ein Bananenkostüm. An seiner gelben Verkleidung haben die Leute nichts auszusetzen. Dafür aber an seinem Schwanz, der ihm eines Nachts plötzlich wächst. Er sei kein Mensch, sagen sie. Der Mann wird immer trauriger und seine Augen fangen an zu zittern, als er seine Geschichte erzählt. Sie handelt von der Einsamkeit. Zehn sehr schön gezeichnete Minuten – irgendwo zwischen Tier und Mensch, zwischen Kafkas «Verwandlung» und seinem Affen Rotpeter.
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Zu Schuberts gehetztem Klaviergeklimper galoppiert der Vater mit seinem Sohn auf dem Arm durch den dunklen Wald. Die Perspektive ändert sich ständig, immer wieder taucht der Erlkönig auf, seine Augen sind nicht mehr als zwei schwarze, tote Löcher, er greift nach dem Buben. Dann verschwindet er wieder, nicht mehr als ein paar Kleckse bleiben von ihm übrig. Doch sofort nimmt er wieder Gestalt an, sieht plötzlich aus wie Böcklins widerliches Pestmonster. Mit der Sense jagt er den beiden nach. Ein fünfminütiger Wettlauf gegen den Tod.
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Edgar Allan Poes Meistererzählungen handeln vom Tod, von geistiger Verwirrtheit, von Geistern, Hypnose, Mord, von pochenden Herzen und bösen Augen. Als Rabe Nevermore besucht Poe das Grab seiner verstorbenen Frau, wo ihn Lady Death zu verführen sucht: Seine Gedichte über sie seien wie Küsse auf ihre Lippen. Seine Geschichten wie eine liebliche Umarmung. Er solle loslassen und ihr folgen auf die andere Seite. Doch Poe will nicht sterben. Er will schreiben. Und mit seinen Erzählungen in die Ewigkeit eingehen.
Die Geschichte «The Fall of the House of Usher» spielt in einem verfallenen Schloss, wo Roderick mit seiner kranken Schwester lebt. Als sie stirbt, sargt er sie ein. Traurig schlägt er die Nägel in ihre letzte Wohnstätte und senkt sie in die Gruft ...
«The Tell-Tale Heart» wurde im «Gothic novels»-Stil umgesetzt: Der Mörder ist sich sicher, niemals wird ihm jemand auf die Schliche kommen, so behutsam ging er vor ...
Die Erzählung «The Facts in the Case of M. Valdemar» widmet sich dem magnetischen Heilen. Die medizinische Welt schaute im 19. Jahrhundert auf Anton Mesmer, der mit seiner Theorie des Mesmerismus für helles Aufsehen sorgte: Der Mensch besitze einer dem Elektromagnetismus ähnliche Kraft, meinte er, mit der er die Muskeln, Nerven und nicht zuletzt den Geist steuern könne. Die Hypnose war erfunden.
Was aber geschieht, wenn man jemanden während des Sterbens hypnotisiert? Für wie lange mag sich die Hand des Todes durch eine solche Prozedur zurückhalten lassen?
«Extraordinary Tales» ist eine Wucht an ästhetischem Grusel. Und weil Christopher Lee (Dracula und Frankenstein), Guillermo del Toro (Regisseur von «Pan's Labyrinth», «Hellboy») und Bela Lugosi (Star in zahlreichen Stummfilm-Horrorklassikern) den Figuren ihre Stimmen leihen, dringt das Grauen auch in die Ohren.
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