wechselnd bewölkt
DE | FR
Schweiz
Forschung

Neue Studie: 33'000 Suizidversuche innert eines Jahres in der Schweiz

Neue Studie zeigt: 33'000 Suizidversuche innert eines Jahres in der Schweiz

Die Studienautoren sind selber erstaunt, wie viele Befragte über Suizidversuche berichten. Am höchsten sind die Zahlen bei Menschen mit geringer Bildung und bei Alleinstehenden.
18.09.2019, 05:1918.09.2019, 17:17
Niklaus Salzmann / ch media
Mehr «Schweiz»
depression suizid symbolbild suicide verzweiflung
Oft steht Einsamkeit in Zusammenhang mit Suizidgedanken. (Symbolbild)Bild: shutterstock

Je höher die Bildung, desto seltener versuchen Menschen, sich das Leben zu nehmen. Das hat sich in einer Befragung von fast 20 000 in der Schweiz wohnenden Menschen deutlich gezeigt. In den zwölf Monaten vor der Befragung hatte im Schnitt jede tausendste Person mit einem Hochschul- oder Fachhochschulabschluss einen Suizidversuch gemacht. Bei denjenigen, die nur die obligatorische Schule abgeschlossen haben, waren es dreizehn von tausend.

Erstaunt sind die Autoren darob nicht. «Wenn wir depressive Symptome betrachten, zeigt sich derselbe Zusammenhang», sagt Psychologe Claudio Peter, der das Projekt am Schweizerischen Gesundheitsobservatorium geleitet hat.

Auftraggeber für die Auswertung war das Bundesamt für Gesundheit. Esther Walter, die dort Projektleiterin für die Suizidprävention ist, sagt: «Die Resultate zeigen, dass wir in der Prävention besonders gut auf Menschen schauen müssen, die weniger gute Bildungsabschlüsse haben.» Es gehe auch um ein soziales Problem, Menschen mit tieferer Bildung seien in diverser Hinsicht schlechter aufgestellt. So ist beispielsweise oft die Arbeitssituation schlechter, finanzielle Probleme sind wahrscheinlicher, die Wohnsituation kann schwieriger sein und manchmal wissen weniger gebildete Menschen auch weniger gut, wo sie in schwierigen Situationen Hilfe holen können.

Städter wünschen sich häufiger, nicht mehr zu leben

Auffallend ist auch, dass Menschen in Städten häufiger an Suizid denken als Menschen in ländlichen Gegenden. Erklärungen dazu liefern die Projektleiter keine. Bei den versuchten Suiziden trat dieser Unterschied dann auch nicht mehr hervor. Auch bei den tatsächlich erfolgten Suiziden sieht es anders aus: Dort stehen ländliche Kantone wie Appenzell Innerrhoden, Jura und Thurgau zuoberst.

Unklar ist weiter, ob Suizidgedanken und -versuche mit dem Alter zusammenhängen. In der Studie waren die Werte bei den 15- bis 24-Jährigen und bei den 55- bis 64-Jährigen besonders hoch. Jedoch gelten die Unterschiede wegen der statistischen Unsicherheiten nicht als gesichert. Jugendliche sind in der Schweiz aber auch gemäss anderen Erhebungen besonders gefährdet. Am häufigsten gaben Befragte ab dem Alter von 85 Jahren an, Suizidgedanken zu haben. Tatsächliche Suizidversuche in den letzten zwölf Monaten gab es aber keine. Da jedoch in dieser Altersklasse nur relativ wenige Menschen befragt wurden, lassen sich laut den Studienautoren keine Schlüsse ziehen.

Lass Dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen. In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.
Die Dargebotene Hand: Tel.: 143, www.143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel.: 147, www.147.ch
Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch

Studienautoren erstaunt, wie häufig Suizidversuche sind

Während es zu Suiziden selber viele Daten gibt, ist über Suizidversuche nur wenig bekannt. «Es gibt kaum Publikationen dazu, um zu vergleichen», sagt Claudio Peter. «Wir waren aber doch erstaunt, wie häufig Personen über Suizidversuche berichten.»

Rund jede zweihundertste befragte Person gab an, innert der letzten zwölf Monate versucht zu haben, sich das Leben zu nehmen. Hochgerechnet bedeutet dies, dass schätzungsweise 33 000 Menschen ab 15 Jahren innert eines Jahres einen Suizidversuch gemacht haben. Mehr als 200 000 haben in ihrem Leben mindestens einen Suizidversuch hinter sich. Und Esther Walter rechnet damit, dass die tatsächlichen Zahlen wegen der Dunkelziffer noch höher sind.

Das Reden über dieses Thema fällt vielen Menschen schwer. Fast ein Viertel der Personen, die einen Suizidversuch begangen hatten, redeten danach mit niemandem darüber. Dabei könnte gerade dies helfen. «Nach einem ersten Suizidversuch ist das Risiko für weitere Suizidversuche erhöht», sagt Esther Walter. «Zu diesem Zeitpunkt ist das Reden besonders wichtig, aber vorher wäre noch besser.»

Umgekehrt steht oft Einsamkeit in Zusammenhang mit Suizidgedanken. So verspüren denn auch Menschen in einer Partnerschaft im Vergleich zu alleinstehenden seltener den Wunsch, tot zu sein oder sich Leid anzutun. «Viele Menschen haben Angst, jemanden zu fragen, ob er oder sie suizidale Gedanken hat», sagt Esther Walter. «Doch für die Betroffenen ist es entlastend, darüber zu reden.»

Ungewöhnlich sind solche Gedanken nicht. Fast acht Prozent hatten in den zwei Wochen vor der Befragung Suizidgedanken gehabt. Das Leben nehmen sich in der Schweiz rund tausend pro Jahr. Das entspricht ungefähr dem europäischen Durchschnitt. (mim/bzbasel.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
83 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
HPOfficejet3650
18.09.2019 06:38registriert November 2015
Falls jemand behauptet Suizid sei feige, wisst ihr was wirklich feige ist? Jemanden so sehr psychisch zu verletzen das dieser denkt, Suizid sei der einzige Ausweg.
Soziale Ausgrenzung und Mobbing ist oft eine Vorstufe von Suizid.
50823
Melden
Zum Kommentar
avatar
Charlie Runkle
18.09.2019 06:41registriert August 2016
Nice, tolle Gesellschaft, da fühlt mann sich ja grad wohler
13541
Melden
Zum Kommentar
avatar
Pflichtfeld ☝
18.09.2019 08:32registriert April 2018
Welches sind die gesellschaftlichen Gründe? Ausgrenzung, Mobbing, zu wenig Status, Wertschätzung, soziales Umfeld, Stress, Druck, Leistungsgesellschaft: man muss immer funktionieren, um jeden Preis. Äusserlich sieht unsere Gesellschaft gesund aus. Alle sagen immer: „uns geht es doch gut, wir haben doch alles!“ Offensichtlich haben wir aber nicht das, was wir zum Glücklich sein brauchen. Materielles, Geld, Macht und Status sind es jedenfalls nicht. Nicht nachhaltig.
711
Melden
Zum Kommentar
83
Das sind 8 der wohl speziellsten Unterkünfte der Schweiz
Ferien in einem Baudenkmal machen? An einem Ort, der gerade so gut ein Museum sein könnte – oder einer, der Geschichte mit einmaliger Unterkunft kombiniert? Das ist bei diesen Ferienwohnungen in der Schweiz möglich.

Die Stiftung Ferien im Baudenkmal ermöglicht seit 2005 genau das, was sie sagt: Ferien im Baudenkmal. Das kann eine alte Scheune sein, eine alte Bahnhofstation oder sonst ein historisches Gebäude in der Schweiz.

Zur Story