Mit dem ESC-Sieg von Nemo wurde in der Schweiz die Diskussion um einen dritten Geschlechtseintrag wieder aufs politische Parkett gebracht – wahrscheinlich prominenter denn je. Bestrebungen für diesen Eintrag gibt es schon seit mehreren Jahren, doch rechtlich hat sich bis dato noch nichts getan. Die Situation ist seit jeher unverändert: Im Personenstandsregister gibt es nur «männlich» oder «weiblich».
Für die LGBTQ+-Community ist der Sieg von Nemo ein Lichtblick: «Der Sieg von Nemo ist natürlich für Nemo selbst sehr cool, aber auch für die nicht binäre Community», sagt Lio Brändle vom Transgender Network Switzerland.
Brändle erklärt:
Das Transgender Network hat mit anderen Akteuren bereits vor dem Sieg von Nemo einen offenen Brief mit Betreff «Break the code! Für die Anerkennung nicht binärer Personen» an Bundesrat und Parlament eingereicht. Die Verfasser des Briefs fordern die Einführung einer dritten Geschlechtsoption und schreiben:
Heute, Montag, fünf Tage nach Erscheinen des Briefs, haben ihn bereits über 12'000 Menschen unterzeichnet. Zu den Erstunterzeichnenden gehören unter anderem der SP-Nationalrat Islam Alijaj, die Grüne-Nationalrätin Sibel Arslan und das SP-Co-Präsidium bestehend aus Mattea Meyer und Cédric Wermuth.
Nun könnte sich an der Situation der non-binären Personen in der Schweiz tatsächlich etwas ändern, denn SP-Bundesrat und Justizminister Beat Jans zeigte sich am Sonntag bereit, Nemo zu einem Gespräch «auch über queere Rechte» zu treffen.
Nemo seinerseits erklärte, sich auf einen baldigen Kaffee mit dem Justizminister zu freuen. Brisant: Noch im Dezember 2022 hatte der Bundesrat in einem Bericht zur Erfüllung zweier Postulate aus dem Parlament klar festgehalten, dass er die Voraussetzungen für die Einführung des dritten Geschlechts als nicht erfüllt erachte.
Was genau Nemo an dem Gespräch mit Bundesrat Beat Jans fordern wird, ist derzeit noch unbekannt. Was meint Brändle vom Transgender Network dazu? «Ich kann nicht sagen, was genau Nemo von Beat Jans fordern wird, aber Nemo hat sich in den bisherigen Interviews stark für den dritten Geschlechtseintrag eingesetzt», so Brändle. «Es ist sehr schön, dass nun endlich über dieses Thema gesprochen wird, denn es braucht mehr Aufmerksamkeit.»
Brändle ergänzt: «Mit der Einführung eines dritten Geschlechtseintrags wird schliesslich niemandem etwas weggenommen.»
Der Bundesrat lehnte im Dezember 2022 eine dritte Geschlechtsidentität im Personenstandsregister ab. Denn die schweizerische Rechtsordnung beruhe «basierend auf einer jahrhundertelangen gesellschaftlichen Tradition» auf dem binären Geschlechtermodell, wie der Bundesrat schreibt. Alle Rechtsnormen würden sich auf die beiden Geschlechter «weiblich» und «männlich» beziehen.
Kritik an der dritten Geschlechtsoption gibt es vor allem aus dem rechten Lager. Der SVP-Nationalrat Benjamin Fischer sagt auf Anfrage von watson: «Für die Einführung eines dritten Geschlechts müssten erst alle Unterschiede zwischen Frauen und Männern aus den Gesetzen und Verordnungen gestrichen werden. Etwa bei der Militärdienst- und Schutzdienstpflicht, im Sozialversicherungsrecht bei der Alters- und der Witwenrente, in Fällen von Erwerbsausfall, Arbeitslosigkeit oder Mutterschaft.»
Jede und jeder sei frei, sich zu fühlen und zu leben, wie er oder sie will, dafür brauche es keine Änderung beim amtlichen Geschlechtseintrag – ergänzt Fischer. Und fügt an:
Das biologische Geschlecht ist gegeben und ändert nicht nach Gefühls- und Wetterlage.
Die sexuelle Identität ist was anderes, aber hat im Grundsatz auch niemanden was zu interessieren.
In jedem Artikel, der in den letzten zwei Wochen publiziert wurde zu diesem Thema, scheint dieser Unterschied nicht mehr zu existieren. Sachlich ist anders…
Keine Unterschiede mehr bzgl. Militärdienstpflicht, Pensionsalter, Wittwenrenten, Elternschaftsurlaub, Eherecht, usw., auch keine Frauen- oder Männerquoten mehr.
Dann spielt es keine Rolle mehr, wer welches Geschlecht hat, alle hätten die gleichen Rechte und Pflichten. Das biologische "Detail" des Kinder kriegens, könnte man entsprechend behandeln.
Eine Anerkennung würde somit obsolet, da per Definition alle anerkannt wären und die totale Chancengleichheit da wäre.