Die Öffentlichkeit wusste bisher nichts vom Ausbau der Spionageanlagen. Auch die meisten Politiker sind nicht im Bilde, dass in den letzten Jahren in Leuk VS und Wolfrichti BE ein zweistelliger Millionenbetrag in die Aufrüstung der bestehenden Horchstationen, des sogenannten Systems Onyx, investiert wurde. Im Wallis sind mindestens sechs, im Berner Oberland vier neue leistungsfähige und topmoderne Parabolantennen aufgestellt worden, wie neuste Luftbilder zeigen, die der «Nordwestschweiz» zugespielt wurden.
Effektiv dürften es noch mehr sein, da nicht alle Spiegel auf Anhieb sichtbar sind. Dass ein substanzieller Ausbau stattgefunden hat, zeigt der Vergleich mit älteren Bildern auf Google Earth. Insider sprechen von einer «Verdoppelung der bisherigen Abhörkapazitäten». Für das Verteidigungsdepartement VBS geht es nur um einen «Erhalt der Leistungsfähigkeit der Systeme».
Der in geheimdienstlichen Angelegenheiten für gewöhnlich gut informierte grüne Fraktionschef Balthasar Glättli weiss von nichts: «Dass ein millionenteurer Ausbau der Funkaufklärung an der Öffentlichkeit vorbei stattfindet, lässt nichts Gutes erahnen im Hinblick auf die neuen Begehrlichkeiten des Geheimdienstes», sagt der Zürcher Nationalrat. Nur altgediente Sicherheitspolitiker wie Geri Müller (Grüne, AG) oder Roland Borer (SVP, SO) können sich an Diskussionen in der zuständigen Kommission erinnern. «Wir wurden vor Jahren summarisch über diesen Ausbau informiert. Doch was dort genau geschieht, wozu die Daten benötigt werden und wie viel das Ganze kostet, das wissen wir auch nicht», sagt Borer.
Die Einzigen, die mehr wissen und die Anlagen vor Ort besichtigt haben, sind die sechs Mitglieder der Aufsichtskommission des Geheimdienstes GPDel. Besonders gesprächig sind sie aber nicht. Sie verweisen auf das VBS. Dieses bestätigt auf Anfrage: «Es hat ein Ausbau der Anlagen stattgefunden.» Die Finanzierung sei ordentlich über den sogenannten AEB (Ausrüstung und Erneuerungsbedarf) und über die Immobilienbotschaft erfolgt.
Die Armee betreibt die Abhöranlagen seit den 1990er-Jahren im Auftrag des Schweizer Geheimdienstes NDB. In Leuk sind unter anderem die Satelliten Azerspace 1, Inmarsat, Intelsat sowie Türksat 3A im Visier der Staatsschützer. Welche Satelliten mit den neuen Parabolspiegeln zusätzlich überwacht werden, ist unklar. Fest steht: Der NDB sammelt Mails, Faxe, Telefongespräche sowie drahtlose Internetkommunikation in rauen Mengen. Offiziell dürfen nur ausländische Verbindungen abgefangen werden. Davon betroffen sind auch Schweizer, die sich gerade im Ausland befinden. Anhand von Schlüsselwörtern oder Namen von Personen, Organisationen oder Unternehmungen werden die Daten in Zimmerwald vom Zentrum elektronische Operationen (ZEO) der Armee ausgewertet. Auftraggeber ist immer der NDB. Der Bundesrat und die Armeeführung werden in regelmässigen Lageberichten über potenzielle Gefahren informiert.
Die Horchstationen werden ausgebaut, zugleich wird das Auswertesystem aufgerüstet. Es operiert unter dem Projektnamen «Achat», wie der «Sonntags-Blick» Anfang April enthüllte, und ist nötig, um die Daten aus Leuk und Wolfrichti nutzbar zu machen. Die Armee investiert laut der Zeitung bis 2020 rund 90 Millionen Franken in neue EDV-Hardware, Standardsoftware sowie speziell entwickelte Software. Zwischen dem Onyx-Ausbau und «Achat» gibt es offiziell «keinen direkten Zusammenhang».
Nebst den offiziellen Horchstationen besitzt auch die private Firma Wavecom in Bülach eine Abhöranlage. Dort wird die Kommunikation über den Satelliten Inmarsat 3-F2 abgefangen und mindestens zu Schulungszwecken ausgewertet. Private Abhöranlagen sind laut Gesetz verboten. Die Bundesanwaltschaft hat 2014 Ermittlungen gegen die Firma wegen unerlaubtem Nachrichtendienst nach Abklärungen des NDB eingestellt. Laut NDB-Chef Markus Seiler sei die Sache aber «nicht problemlos». Trotzdem bleibt die Firma bis heute unbehelligt.
Der Ausbau geheimdienstlicher Aktivitäten ist noch nicht abgeschlossen: Stimmt auch der Ständerat dem Nachrichtendienstgesetz zu, darf der NDB künftig die gesamte Internetkommunikation, die über ausländische Server läuft, scannen (sogenannte Kabelaufklärung). Linke Politiker wie Glättli wollen das Gesetz per Referendum zu Fall bringen: «Es braucht eine öffentliche Debatte über den Geheimdienst.» Nicht nur über Ueli Maurers Wunschkatalog mit neuen Geheimdienst-Kompetenzen. Sondern auch über den konkreten Ausbau des Dienstes. Und über seine geheime Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten, fordert Glättli.
(trs)