Im Feierabend den Anruf des Vorgesetzten annehmen. In den Ferien schnell die Mails checken. Oder die Mittagspause in einem Zoom-Call verbringen. Mit der Allgegenwärtigkeit von Smartphones und Homeoffice verschwinden die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit zusehends – nicht ohne Risiken für die Gesundheit. Ständige Erreichbarkeit kann zur psychischen Belastung werden.
In einem Kanton beschreitet man deshalb neue Wege: In einem 50-minütigen Onlinekurs lernen die Genfer Staatsangestellten, wie man offline geht. Das Ausbildungsmodul behandelt das Recht auf Abschalten sowie arbeitgeberspezifische Regeln und Empfehlungen, gefolgt von einem Quiz.
«Es wird immer schwieriger, Privat- und Berufsleben miteinander zu vereinbaren. Ständig online zu sein, ist jedoch keine Pflicht, und das Recht auf Abschalten ist unbestritten, wenn auch in der Schweiz noch nicht gesetzlich verankert», wird den Staatsangestellten einleitend klar gemacht. Tatsächlich ist ein solches Recht national nirgends explizit festgehalten – anders als etwa in Australien oder Frankreich. Es gibt aber Regelungen auf Firmen und Branchenebene.
Im E-Learning wird den über 18'000 Genfer Staatsangestellten empfohlen, berufliche Kontakte in der Freizeit zu vermeiden – ausser für Notfälle und in gewissen Funktionen. Sie lernen Tricks, um besser abzuschalten: das Einrichten von Abwesenheitsmeldungen oder der Einsatz von Apps, mit denen sich private und geschäftliche Mails und Benachrichtigungen auf dem Smartphone trennen lassen. Ebenso hebt der Kurs die Bedeutung persönlicher Kontakte anstelle von Telefongesprächen oder E-Mail-Korrespondenzen hervor. All das mit dem Ziel, «die Lebensqualität zu verbessern».
Weder beim Verband der Westschweizer Firmen noch beim Schweizerischen Arbeitgeberverband hat man Kenntnis von Arbeitgebern in der Privatwirtschaft, welche ihren Angestellten solche Onlinekurse anbieten.
Dass die Genfer Verwaltung vorpreschte, kommt nicht von ungefähr. Das Recht auf ein Offlineleben steht in der Kantonsverfassung, seit sich die Bevölkerung vor eineinhalb Jahren mit 94 Prozent Ja-Anteil das Recht auf digitale Unversehrtheit gegeben hat. Der Verfassungsartikel beinhaltet ein Recht auf Schutz vor Datenmissbrauch, auf Sicherheit im digitalen Raum, auf Vergessenwerden – sowie auf ein Offline-Leben.
Das klingt abstrakt und ist es auch. Gegner und Befürworter streiten sich, ob ein solcher Verfassungsartikel nur symbolisch ist oder konkrete Auswirkungen hat. Derzeit laufen diese Diskussionen im Kanton Neuenburg, wo am 24. November über das Recht auf digitale Integrität abgestimmt wird. Auch im Kanton Zürich kommt dereinst eine ähnliche Initiative der Piratenpartei vors Volk.
Kein Erfolg hatte das Recht auf digitale Integrität im Bundesparlament: Der Nationalrat versenkte im letzten Dezember einen entsprechenden Vorstoss von Samuel Bendahan (SP/VD).
Kantonale Verfassungsartikel beziehen sich auf die Aktivitäten der öffentlichen Hand. So impliziert das Recht auf ein Offline-Leben in Genf zwar, dass Kantonsangestellte abschalten können sollen und die Verwaltung nicht nur online, sondern auch am Schalter oder telefonisch erreichbar sein muss. Auf private Firmen und ihre Angestellten und Kunden hat der Paragraf dagegen keine Auswirkungen. Dafür ist die nationale Gesetzgebung massgebend.
Hier steht zumindest beim Thema Abschalten eine neue Debatte bevor. In einer Motion fordert die Tessiner Grünen-Nationalrätin Greta Gysin eine Änderung des Arbeitsgesetzes: Für Arbeitnehmende brauche es ein explizites Recht, in der Freizeit nicht erreichbar zu sein.
Der Bundesrat empfiehlt den hängigen Vorstoss zur Ablehnung. Seiner Ansicht nach gelten heute schon «ausreichende und klare, gesetzliche Schranken für die ständige Erreichbarkeit». Während der Ruhezeit bestehe kein Anspruch des Chefs oder der Chefin, die Arbeitnehmenden erreichen zu können. Anders gesagt: Wer trotzdem aufs Handy schaut, muss sich selbst an der Nase nehmen – oder schleunigst einen Offline-Kurs besuchen.
Am Elternabend mussten wir uns dann anhören, dass der Sohn die Nachrichten nicht liest am Abend und seine Unterlagen deshalb amel unvollständig gewesen seien.
Mein Mann hat zum Glück gut reagiert und die Klasse vor abendlichen Nachrichten befreit.
Aber Spass ufs Velo... ichxhatte mal einen Chef der sagte, er sei 24h für uns erreichbar. Wenn Leute mit Vorbildfunktion einen solchen Blödsinn labern, ist es doch kein Wunder dass der Druck steigt.