Wir leben in unruhigen Zeiten: Finanzkrise, Terrorismus, Klimawandel, Migration, Corona, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und dann auch noch US-Präsident Donald Trump, der die Weltordnung quasi demontiert – die Menschheit kommt im 21. Jahrhundert kaum mehr zur Ruhe. Solche Krisenzeiten und der damit verbundene gesellschaftliche Wandel sind stets auch ein Stresstest für die Demokratie. Die Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen und diese kann die Demokratie schlicht nicht liefern.
So erlebt die Welt derzeit eine Welle der Autokratisierung, wie das «Varieties of Democracy»-Projekt (V-Dem) der Universität Göteborg in seinem neusten Report anmerkt. 45 Staaten bewegten sich demnach im Jahr 2024 in Richtung Autokratie, also der unkontrollierten Machtausübung einer einzelnen Person oder Personengruppe. Im Gegensatz dazu zeigten nur 19 Staaten demokratisierende Tendenzen. Auch wenn die Tendenz in den letzten beiden Jahren wieder leicht nach oben zeigte, der demokratische «Aufbruch» der 1990er-Jahre ist beinahe komplett verpufft.
Alle Regionen der Welt sind von der Autokratisierung betroffen – auch Europa. Vor allem in Griechenland, Ungarn, Rumänien und Serbien erlebte die Demokratie in den letzten Jahren eine bedenkliche Erosion. Medienfreiheit, freie Wahlen und die Unabhängigkeit der Justiz werden eingeschränkt, während gegen aussen eine demokratische Fassade aufrechterhalten wird.
Besonders besorgniserregend ist gemäss dem V-Dem-Report, dass in 45 Ländern Anzeichen von Autokratisierung festgestellt wurden, während nur 19 Länder Fortschritte in Richtung Demokratisierung machten. Vor 20 Jahren zeigte diese Tendenz noch in eine komplett andere Richtung. Auch die freie Meinungsäusserung sowie die Qualität der Wahlen verschlechtern sich aktuell in deutlich mehr Ländern als noch 2004.
Dem V-Dem-Report zugrunde liegt der «Liberal Democracy Index» (LDI), der anhand von Hunderten von Indikatoren den Demokratie-Status eines Landes berechnet. Mit einem LDI von 0.847 liegt die Schweiz weltweit gesehen auf Rang 3. Vor ihr befinden sich nur Dänemark und Estland, unmittelbar dahinter Schweden, Norwegen und Irland. Den tiefsten LDI verzeichnen Afghanistan und Myanmar (je 0.016) sowie Nordkorea (0.014) und Eritrea (0.009).
Der LDI gibt jedoch nur den Demokratie-Status eines Landes an, nicht aber, unter welcher Herrschaft die Bewohner eines Landes wirklich leben. Dafür benützt V-Dem den «Regimes of the World»-Indikator (RoW), mit denen Staaten vier Herrschaftsformen zugeteilt werden: liberale Demokratie, Wahldemokratie, Wahlautokratie und geschlossene Autokratie.
Auch hier ist der Trend zur Autokratisierung klar ersichtlich. So gibt es seit 2023 erstmals seit Mitte der 1990er-Jahre wieder mehr geschlossene Autokratien als liberale Demokratien (35:29) auf der Welt. Generell gibt es mit 91:88 erstmals mehr autokratische als demokratische Staaten.
Weil unter anderem Indien und Nigeria nicht mehr als Wahldemokratie, sondern neu als Wahlautokratie eingestuft werden, leben aktuell 72 Prozent der Weltbevölkerung unter einer autokratischen Regierung. Vor zwölf Jahren waren es noch 46 Prozent.
Die Gründe für die steigende Autokratisierung sind vielfältig: unerfüllte Wohlstandsversprechen, Überforderung im Umgang mit Krisen, scharfe Polarisierung als Folge von gesellschaftlichen Umbrüchen, zersplitterte Parteienlandschaften. Sie tragen zur Politikverdrossenheit in demokratischen Ländern bei und sorgen dafür, dass Extremparteien Zulauf erhalten.
Vor allem die Entwicklung in den USA bereitet den Experten von V-Dem aktuell besonders grosse Sorgen. «Das Ausmass der Ereignisse in den USA ist beispiellos und erfordert einen genaueren Blick auf die scheinbar am schnellsten fortschreitende Autokratisierungsphase, die die USA in ihrer modernen Geschichte erlebt haben», heisst es im Bericht. Projektleiter Staffan Lindberg gibt beim kanadischen TV-Sender CBC zudem eine düstere Prognose ab: «Wenn es so weitergeht, wird die Demokratie in den USA keine weiteren sechs Monate halten.»
Als Grund dafür werden die Ausweitung der Exekutivgewalt, die Untergrabung der Haushaltsbefugnisse des Kongresses, Offensiven gegen unabhängige und gegensteuernde Institutionen und die Medien sowie die Säuberung und Demontage staatlicher Institutionen genannt. All das seien «klassische Strategien von Autokraten».
Gegenüber CBC vergleicht Lindberg Trumps Vorgehen mit dem anderer Autokraten wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Der Unterschied: «Trump ist schneller.» Er versuche, in wenigen Monaten das zu erreichen, wofür sie acht bis zehn Jahre gebraucht hätten. Das sei «sehr beunruhigend». Weil Trump die Macht erst im Januar 2025 übernommen hat, werden die USA im neusten V-Dem-Report noch als liberale Demokratie geführt.
Neben den abschreckenden gibt es aber auch positive Demokratie-Beispiele: Vor allem in Staaten wie Dominica, Moldau, Malaysia und Sambia gibt es erfreuliche Tendenzen. Diese Länder stärken demokratische Institutionen, garantieren zunehmend Grundrechte und verringern Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Diese Länder zeigen, dass demokratischer Fortschritt selbst in einem schwierigen globalen Umfeld möglich ist. Und noch ein kleiner Lichtblick: Trotz aller Krisen sind in Westeuropa die Demokratien bislang mehrheitlich stabil geblieben.
Geht es den Wählern wirklich um nationale oder ethische Identität? Um Ordnung und Sicherheit? Abschaffung von Homoehen oder Transmenschen?
Es zeigt sich sehr oft, dass gerade die Wähler der extremen Rechten, am Schluss die grössten Verlierer sein werden.
Ich verstehe es einfach nicht!