Die Frauen sind im Stöckli klar in Unterzahl. Umso überraschender, dass sie nun die Spitze übernehmen: Zu Beginn der Wintersession werden aller Voraussicht nach drei Frauen als Präsidentin sowie erste und zweite Vizepräsidentin gewählt. Es ist eine historische Premiere, wie die Parlamentsdienste bestätigen.
Als Präsidentin wird die Thurgauer Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller vorgeschlagen, die Wahl am 28. November ist Formsache. Der Zufall will es, dass sie eine runde Zahl erwischt: Sie wird die 200. Person seit 1848, die das Ständeratspräsidium innehat. Die Frauen in diesem Amt lassen sich hingegen an einer Hand abzählen: Häberli-Koller wird erst die fünfte Ständeratspräsidentin in der Geschichte sein.
Als erste Frau wurde 1991 – 20 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts – Josi Meier (CVP/LU) zur Ständeratspräsidentin gewählt. Später folgten Françoise Saudan (FDP/GE), Erika Forster-Vannini (FDP/SG) und schliesslich die heutige Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP/SG).
Historisch ist, dass diesmal das gesamte Präsidium weiblich wird. Als erste Vizepräsidentin ist die jurassische SP-Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider vorgesehen, als zweite die Genfer Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone. Turnusgemäss werden sie voraussichtlich nach Häberli-Koller auf dem Präsidentenstuhl Platz nehmen dürfen.
Ständerätin Maya Graf (Grüne) ist Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F. «Es freut uns sehr, dass der Ständerat in den nächsten drei Jahren voraussichtlich von drei Ständeratspräsidentinnen repräsentiert wird», sagt sie. Der Nachholbedarf sei gross. «Es hat viel zu lange gedauert, bis nach 175 Jahren Schweizer Bundesstaat erstmals das Präsidium aus drei Ständerätinnen bestehen wird.»
Dass die Frauen auch im Präsidium vertreten sind, sei entscheidend, sagt sie: «Ein Rat repräsentiert die Gesellschaft nur so gut, wie er es auch in seiner Leitung tut.» Zudem sei die Vorbildfunktion enorm wichtig. Im Ständerat braucht es nach Ansicht von Alliance F dringend mehr Frauen, liegt doch der Anteil aktuell bei nur 28 Prozent. Kommt hinzu, dass nicht alle der 13 Ständerätinnen wieder antreten werden.
Brigitte Häberli-Koller freut sich auf ihr Amt. «Es wäre für mich eine grosse Ehre, Ständeratspräsidentin zu werden. Sofern ich gewählt werde, bin ich gespannt auf all die Begegnungen und Erfahrungen.» Sie habe aber auch Respekt vor dem Amt, betont die Thurgauer Mitte-Ständerätin. «Es ist wichtig, dass wir unseren Institutionen Sorge tragen.»
Häberli-Koller war 2018 von ihren Parteikollegen im Ständerat zur Ersatzstimmenzählerin nominiert worden. Das ist gemäss den ungeschriebenen Gesetzen des Ständerats der erste Schritt auf dem Weg ins Vizepräsidium und schliesslich ins Präsidium. Die Wahl ist in aller Regel reine Formsache.
Dass mit ihr sowie Baume-Schneider und Mazzone gleich drei Frauen den Rat präsidieren, freue sie sehr, sagt Häberli-Koller. «Es ist gerade im Ständerat schön, wenn Frauen zusätzliche Aufgaben und auch Verantwortung übernehmen.»
Häberli-Koller war 2019 die einzige Ständerätin, die bei den Wahlen wieder antrat. Das nährte Befürchtungen, der Frauenanteil in der kleinen Kammer könnte sinken. Eingetreten ist dann das Gegenteil. Der Anteil stieg – und ist so hoch wie noch nie. Dennoch sind die Frauen noch immer klar untervertreten: 13 Ständerätinnen sind heute im 46-köpfigen Rat.
Zum Anstieg trug 2019 auch die grüne Welle bei. Fünf Grüne schafften den Sprung ins Stöckli, davon vier Frauen. Eine von ihnen, die Genferin Lisa Mazzone, wird nun zur zweiten Vizepräsidentin des Rats gewählt. Es ist das erste Mal, dass ein Mitglied der Grünen zum Zug kommt. Das heisst auch: In zwei Jahren könnte Mazzone zur Präsidentin gewählt werden.
«Der Ständerat wird vielfältiger und es ist mir eine Ehre, als junge grüne Genferin diese Vielfalt im Präsidium verkörpern zu dürfen», sagt die 34-Jährige. Der Frauenanteil sei nach wie vor tief im Ständerat. «Es würde mich freuen, zusammen mit meinen Kolleginnen andere Frauen für die Wahlen zu inspirieren.»
Im Nationalrat übernimmt übrigens nach Irène Kälin (Grüne) wieder ein Mann: Höchster Schweizer wird der Bündner Mitte-Nationalrat Martin Candinas. Als erster Vizepräsident ist Eric Nussbaumer (SP/BL) vorgesehen, als zweite Vizepräsidentin Maja Riniker (FDP/AG). (aargauerzeitung.ch)
Charlie Brown