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Rupperswil – das Wichtigste zum ersten Prozesstag

epa06600470 A drawing shows Thomas N. (L) and Renate Senn (R), a public defender, during the trial for the quadruple murder of Rupperswil in Schafisheim, Switzerland, 13 March 2018. Thomas N. is accus ...
Bild: Sibylle Heusser/Keystone

Was Thomas N. zur Bluttat in Rupperswil sagte – das Wichtigste zum ersten Prozesstag

Mit unbewegter Miene, in klarem sachlichem Ton hat der Beschuldigte im Prozess um den Vierfachmord in Rupperswil AG am Dienstag vor dem Bezirksgericht Lenzburg zahlreiche Fragen zu seiner Tat beantwortet. Er gab sich zerknirscht, wirkte aber nicht immer glaubhaft.
13.03.2018, 18:4613.03.2018, 19:40
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Hintergrund der Tat

Wegen rund 11'000 Franken mussten vier Menschen sterben - «gibt es dafür Worte?», fragte der Gerichtspräsident. «Krank, unmenschlich», antwortete der Beschuldigte. Er könne es sich selbst bis heute nicht erklären.

Hintergrund der Tat sei, dass er sein Leben nicht in den Griff bekommen habe. Sonst hätte er Hilfe geholt. Nachdem er seiner Mutter jahrelang einen erfolgreichen Studienabschluss vorgegaukelt hatte, obwohl er mehrmals gescheitert war, sei es unvorstellbar gewesen, ihr die Wahrheit zu sagen. Er musste also Geld beschaffen - so kam es zur Bluttat.

Am Anfang sei das Geldproblem gestanden. Er habe seit Frühling 2015 ein Konstrukt in seinem Kopf entwickelt. Später, als er den jüngeren Sohn gesehen hatte, sei der sexuelle Aspekt dazugekommen, der schliesslich vorherrschend war. Der Plan habe mehrere Teile umfasst: Ins Haus gelangen und Geld erpressen, Missbrauch, Tötungen, Haus anzünden.

Es hätte eine Möglichkeit gegeben, das «Programm» vor den Tötungen zu stoppen und zu gehen. Er habe das aber nicht getan. Er sei lange nicht imstande gewesen, sich zu entscheiden. «Es ging nicht, weiterzumachen und nicht, aufzuhören.».

Immer wieder antwortete er auf eine Frage, dies oder jenes habe er «nicht überlegt», daran habe er «nicht gedacht», jenes habe er sich «anders vorgestellt», oder seine Erinnerung sei eben so oder so - «tut mir leid».

So fühlte sich N. nach der Tat 

Nachdem er die vier Menschen getötet habe, habe er sich leer und fassungslos gefühlt. Auch «wütend über mich selbst». Auch wenn er sich nach der Tat nach aussen nichts habe anmerken lassen, habe er sich innerlich ganz anders gefühlt. «Es war extrem belastend.» Immer wieder seien die Bilder erschienen.

Dass er kurz nach der Tat im Internet nach weiteren Buben suchte, seinen Rucksack wieder mit Tatutensilien packte und zwei Familien in den Kantonen Bern und Solothurn ausspionierte, sei in keiner Weise als eine Vorbereitung zu weiteren Handlungen zu sehen.

«Es war ausgeschlossen, das nochmals zu tun.» Allerdings auch zur Zeit vor der Tat in Rupperswil sagte er: Es sei für ihn nur ein Konstrukt im Kopf gewesen, keine Realität.

epa06600469 A drawing shows a view into the courtroom with the accused Thomas N. (right outside) during the trial for the quadruple murder of Rupperswil in Schafisheim, Switzerland, 13 March 2018. Tho ...
Bild: Sibylle Heusser/Keystone

N. hofft auf Heilung

Befragt nach seiner Sexualität sagte er nach anfänglichem Zögern: «Ich bin pädophil.» Die Gutachter hätten gesagt, dies sei nicht heilbar – er hoffe aber dennoch, dass dies irgendwann möglich sei. Er habe gemerkt, welch gutes Gefühl es sein könne, mit einem Psychologen zu sprechen.

Immerhin vereinnahmten ihn diese Fantasien nicht mehr so stark wie früher, was auch damit zusammenhänge, dass er im Gefängnis sei. Man habe ihm gesagt, man könne das angehen. Darauf arbeite er hin.

Seine einzige und wichtigste Bezugsperson sei seine Mutter, sagte er. Er wünsche sich, einst in der Lage zu sein, sie unterstützen zu können. Deshalb sei es sein Ziel, sich zu verändern. Deshalb wolle er jetzt ein neues Studium anfangen - Wirtschaft. Sein Ziel sei es, irgendwann in die Gesellschaft zurückkehren zu können.

Das psychiatrische Gutachten

Am Vormittag hatten die beiden psychiatrischen Gutachter ausgesagt. Insgesamt bestehe ein hohes Rückfallrisiko, wenn nichts unternommen werde, sagten beide Fachleute. Beide waren der Meinung, der Beschuldigte sei therapiefähig, wenn eine Behandlung auch viele Jahre lang dauern werde.

Ebenso einig waren sich die beiden Psychiater darin, dass der Beschuldigte voll schuldfähig war. Der heute 34-Jährige habe seine Tat genau geplant und zielgerichtet durchgeführt.

Beim Beschuldigten diagnostizierten beide Gutachter eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Dazu komme die pädosexuelle Neigung. Eine solche sei nicht heilbar, aber man könne lernen, damit umzugehen ohne zu delinquieren. Auch Dominanzstreben und zwanghafte Züge und der Verdacht auf sexuellen Sadismus stellten die Experten fest.

Beim auf vier Tage angelegten Prozess geht es um die Bluttat vom 21. Dezember 2015 in Rupperswil. Der Beschuldigte soll die 48-jährige Mutter, ihre 19- und 13-jährigen Söhne sowie die 21-jährige Freundin des älteren Sohnes getötet haben. Zuvor missbrauchte er den jüngeren Knaben, nachdem er die Mutter gezwungen hatte, auf zwei nahen Banken Geld abzuheben.

Die Verhandlung geht am Mittwoch mit den Plädoyers weiter. (cma/sda)

Das war Tag 1 im Liveticker:

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Die Verhandlung ist für heute beendet
Gerichtspräsident Aebschbach lässt vier Hammerschläge ertönen. Die Verhandlung ist für heute beendet. Morgen geht es weiter mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerschaft, am Donnerstag wird sich das Gericht zur Urteilsberatung zurückziehen. Das Urteil soll am Freitag verkündet werden.
Wie haben Sie gelernt, so zu töten?
Es geht weiter mit der Befragung durch die Opfervertreter:

Wie haben Sie gelernt, so zu töten?
«Ich habe nicht darüber nachgedacht. Es war einfach das Erste, was mir in den Sinn gekommen ist. Das einfachste, schmerzfreiste für die Opfer. Mehr wollte ich nicht darüber nachdenken.»

Es wird ihnen attestiert, dass Sie hochprofessionell gehandelt haben.
«Ich habe es nie vorher ausprobiert, ich habe nie Recherchen gemacht oder sonst irgendwas.»
«Ich wusste es, wollte es aber nicht wahrhaben»
Aus den Reihen der Opfervertretung kommt die Frage, wie es sich verträgt, dass Thomas N. als Pädophiler zwar Kinder liebt, aber gleichzeitig D. sexuell missbraucht hatte. Thomas N. sagt dazu, es vertrage sich überhaupt nicht. Aber er habe sich die Tat nicht als sexuellen Missbrauch vorgestellt: «Ich wusste zwar, dass es einer ist, wollte das aber nicht wahrhaben.» Ob er sich ernsthaft vorgestellt habe, dass ein Kind Spass haben könnte an so einer Sache, hakt der Anwalt nach. Thomas N. sagt, dass er wusste, dass es eigentlich nicht sein kann. Aber er habe es sich so extrem gewünscht.
Warum haben Sie sich nie entschuldigt?
Thomas N. wird gefragt, ob er sich einmal entschuldigt habe bei den Hinterbliebenen. N. antwortet, dass er einen Brief geschrieben habe, er könne sich aber nicht mehr genau erinnern, was drinsteht. Anwalt Leimbacher zitiert aus dem Brief und sagt, Thomas N. habe kein einziges Mal das Wort Entschuldigung gebraucht. Dann fragt Leimbacher, warum er sich heute nicht bei den Angehörigen entschuldigt habe. Thomas N. «Ich wollte nicht den Ablauf stören. Mir wurde gesagt, ich könne am Schluss noch etwas sagen, Im Moment interessiert es glaub' niemanden ...»
«Sie haben versagt im Leben und darum haben Sie Menschen umgebracht?» – «Einfach gesagt, ja, das war ein Grund.»
Jetzt übernimmt die Opfervertretung die Befragung. Rechtsanwalt Leimbacher fragt: Wenn Ihnen D. (der ältere Sohn, Anm. d. Red.) damals im Haus nicht entgegengekommen wäre: Hätten die Menschen dann auch sterben müssen?
«Ich weiss es ganz ehrlich nicht. Es hätte sein können, dass ich einfach gegangen wäre. Oder dass es einen anderen Grund gegeben hätte, der zur Tötung geführt hätte. Ich wünschte, ich könnte ihnen sagen, ‹nein›, die Menschen wären nicht gestorben. Aber ich weiss es nicht.»

Dann nahm ihnen letztlich D. die Entscheidung ab.
«Ich finde es nicht richtig, D. ....» Thomas N. bricht ab, schweigt. Dann sagt er: «Ich habe die Entscheidung getroffen, nicht er.»

Sie haben vorhin gesagt, Sie haben Angst gehabt. Vor was konkret hatten Sie Angst?
«Vor dem, was jetzt passiert.»

Können Sie das erklären?
«Dass ich Verantwortung übernehmen muss, dass alles offen ist. Dass jeder sieht, wie ich versagt habe im Leben.»

Sie haben versagt im Leben und darum haben Sie Menschen umgebracht.
«Einfach gesagt, ja, das war ein Grund.»

Wenn Sie eine Rangliste machen müssten, der möglichen Motive, was ist zuoberst?
«Sexueller Missbrauch.»

Können Sie ausschliessen, dass M. (der Partner der getöteten C., Anm. d. Red.) auch ein Opfer gewesen wäre?
«Nein, natürlich nicht.»

Sie haben vorhin gesagt, Sie haben sich nach der Tat leer gefühlt. Was verstehen sie unter leer?
«Fassungslos. Zerrissenheit. Auch Wut. Alles gleichzeitig.»

Wut auf wen oder was?
«Mich.»

Fassungslosigkeit wegen wem oder was?
«Wegen mir, dass ich so etwas tun konnte.»
«Welche Strafe würden Sie sich geben?» – «Ich weiss es wirklich nicht.»
Was haben Sie jetzt im Moment für eine Einstellung zum Leben?
«Das Leben ist etwas schönes. Etwas, das man achten muss.»

Und vorher?
«Ich war unzufrieden, habe viel gejammert. Ein verwöhnter Goof.»

Sie haben sich offenbar auch Gedanken zur Todesstrafe gemacht. Was haben Sie persönlich für eine Haltung?
N. schweigt lange. Dann sagt er: «Das hat sich vielleicht ein bisschen geändert. Ich hatte die Haltung, dass es gewisse Leute verdient haben.»

Gehören Sie zu denen?
«Auf eine Art ja.»

Gibt es irgendwas, was Sie uns noch nicht gesagt haben. Gibt es Punkte, um reinen Tisch zu machen. Um sich zu erleichtern?
«Nein, ich habe alles gesagt, was ich weiss.»

Welche Strafe würden Sie sich selber geben?

Schweigt lange. «Ich weiss es wirklich nicht.»

Bezirksrichter Cirigliano fährt mit der Befragung fort.

Es gibt Momente, die den Eindruck entstehen lassen, dass Sie beschönigen. Sie sagten in der Befragung, der sexuelle Missbrauch habe ihnen keinen Spass gemacht. Wenn man sich die Videos anschaut, entsteht ein anderer Eindruck.
«Nein, es hat keinen Spass gemacht. Aber das ist schwierig zu erklären. Ich habe mich während der Tat gefragt: ‹wieso ist das nicht schön? Ich habe es mir doch so vorgestellt. Probier das, vielleicht wird es dann schöner.› Aber es wurde nicht schöner.»
Haben Sie schon mal an die Opfer gedacht? – Ja.
Bereuen Sie das, was Sie gemacht haben?
«Absolut.»

Der Gerichtspräsident übergibt das Wort an Richterin Bitterli.

Schauen Sie in die erste Reihe, schauen Sie sich diese Leute an (die Angehörigen der Opfer, Anm. der Red.). Haben Sie eine Ahnung, was für Leid Sie über diese Menschen gebracht haben?
«Ich kann es mir nicht annähernd vorstellen. Die direkte Erfahrung ist die, was ich mit der Tat meiner Familie angetan habe. Das macht mich schon fix und fertig. Wenn ich mir vorstellen würde, was die Direktbetroffenen durchmachen müssen ... Unvorstellbar.»

Und nach dieser Tat fahren Sie einfach weiter. Gepackter Rucksack, gehen auskundschaften. Sie bringen vier Leute um und gehen dann wieder einkaufen. Wie geht das?
«Ich habe mir nicht vorgestellt, das noch einmal zu tun. Das war etwas anderes. Ein Verdrängen, ein Versuch, mich nicht damit befassen zu müssen.»

Jetzt stellt wieder Gerichtspräsident die Fragen.

Haben Sie schon mal an die Opfer gedacht?
«Ja»

Wie müssen wir uns das vorstellen?
«Schmerzhaft. Ich sehe oft die Gesichter. Wie sie auf dem Obduktionstisch liegen.»

Sie beschreiben hier sehr sachlich, haben Sie auch Emotionen, die damit verbunden sind?
«Schmerzhaft.»

Denken Sie auch an X und Y (die Opfer im zweiten Sachverhalt, Anm. der Red.)?
«Ich habe mitbekommen, wie es den Familien geht. Es tut mir Leid, was ich da verursacht habe. Dass ich diese Angst verbreitet habe.»

Sie sind nicht vorbestraft. Und gehen von Null auf Tausend. Haben Sie dafür eine Erklärung?
«Nein».

Keine?
«Nein. Wirklich nicht. Ich schäme mich, für was ich getan habe. Es ist extrem schlimm. Ich will am liebsten, dass es einfach aufhört. Das ist das einzige, was ich machen kann. Hier sitzen und Ihre Fragen beantworten. Egal wie weh es tut.»
«Mir wird geholfen. Ich kann zum ersten Mal darüber reden»
Es entsteht der Eindruck, dass Sie Ihr Leben nach dem 21. Dezember ganz normal weitergelebt haben. Täuscht dieser Eindruck?
«Es täuscht.»

Inwiefern?
«Der Gemütszustand war komplett anders. Ich war hin und her gerissen. Es gab Tage, da konnte ich mir einreden, ich sei das nicht gewesen, alles sei in Ordnung. Und es gab Tage, an denen es präsent war. Es war, als hätte ich eine Mauer aufgebaut und gleichzeitig haut jemand mit dem Vorschlaghammer drauf. ... Es war sehr belastend.»

Haben Sie die Verhaftung als Erleichterung erlebt?
«Ja.»

Ist das nicht ein Widerspruch, wenn Sie vorhin gesagt haben, es hätte gar nichts mehr passieren können nach dem 21. Dezember?
«Nicht die Erleichterung, dass noch einmal etwas passieren könnte. Sondern, dass ich die Erinnerungen nicht mehr herumtragen muss.»

Müssen Sie das nicht mehr?
«Doch, aber nicht mehr alleine. Mir wird geholfen, ich kann zum ersten Mal darüber reden. Das war eine enorme Erleichterung.»

Hatten Sie Geldbedarf am Tag vor der Tat?
«Schwierig zu sagen, ich hatte nicht konkret Geldbedarf. Ich wusste immer, dass meine Mutter für mich sorgt.»

Wie war der Drang nach dem Ausleben der Pädophilie vor der Verhaftung?
«Der war nicht gross.»

Wieso haben Sie denn diese Reise unternommen?
«Das ist schwierig zu erklären. Es ist wie ein Abschliessen, auf eine Art. .... Eine Bestätigung suchen, dass ich mich richtig entschieden habe.»
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie die vier Menschen töteten? – Leer.
Wenn die Nachbarin, die an diesem Morgen ins Haus gekommen ist, nicht wieder gegangen wäre, würde sie heute auch zu den Opfern gehören?
«Ich weiss es nicht.»

Aber Sie schliessen es auch nicht aus?
«Ich kann es nicht ausschliessen.»

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie diese Leute töteten?
«Leer. Die Tötung selber ist nicht anwesend.»

Waren Sie nervös?
«Solche Gefühle waren nicht da. Es war wie ein Schock, der bis nach der Tat andauerte.»

Haben Sie sich in einen Blutrausch gesteigert?
«Nein.»

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie gegangen sind, nachdem Sie den Brand gelegt haben?
«Leer.»

Wie haben Sie die Zeit zwischen der Tat selber und Ihrer Verhaftung erlebt?
Thomas N. schweigt lange. «Hin und her, ein rauf und runter, zerrissen, Wut, Angst. Er sieht aus, als wolle er noch etwas hinzufügen. Schweigt dann aber.»

Sie sagten aus, dass Sie das perfekte Verbrechen begehen wollten. Hat Sie das bestätigt, dass Sie so lange nicht entdeckt wurden?
«Nein, überhaupt nicht, das dachte ich nicht.»
«Ich dachte, es gehe wahrscheinlich am einfachsten und schmerzfreiesten»
Der Gerichtspräsident stellt Thomas N. weitere Fragen zur Tat. Thomas N. antwortet mit belegter Stimme, seine Sätze enden manchmal abrupt. Oft wartet er lange, bevor er Antwort gibt. Er spielt mit den Fingern und entschuldigt sich, dass er so oft in Bildern spreche.


«Warum haben Sie sich für die Tatwaffe Messer entschieden?»
«Ich dachte, es gehe wahrscheinlich am einfachsten und schmerzfreiesten.»

«Sie hatten mehrmals Gelegenheit, das Haus ohne Tötungen zu verlassen. Warum haben Sie das nicht gemacht?»
«Das war in dieser Phase schwierig, irgendetwas zu entscheiden. Ich habe mich davor gedrückt, es hätte Überwindung gebraucht, einfach zu gehen.»

«Es kostete Sie also mehr Überwindungen zu gehen, als vier Tötungen vorzunehmen?»
«Nein, so nicht. Vor dem Missbrauch, bevor die Mutter zurückgekommen ist mit dem Geld, da war ich überrascht. Dann habe ich die erste Entscheidung getroffen, habe mich für den Missbrauch entschieden. Weil das so schlimm war für mich, habe ich dann gesagt, fertig jetzt. Ich befand mich zuvor wie in einem Raum, wo ich weder das eine noch das andere entscheiden musste. Ich bin herumgelaufen, einfach, damit ich mich nicht entscheiden muss. Ich weiss nicht, ob ich das richtig erklären kann. Es war wie in einer Blase.
Abbrechen geht nicht, weitermachen geht nicht. Ich wäre am liebsten stundenlang in diesem Haus geblieben. Einfach, um mich nicht entscheiden zu müssen. Es macht keinen Sinn, auch jetzt, wenn ich zurückschaue, ist es absolut unverständlich.»
«Ich wollte die Tat vertuschen. Aus Angst, aus Scham.»
Der Gerichtspräsident erläutert kurz, was hinter verschlossenen Türen passiert ist: «Das Gericht hat sich die 8 Videos angeschaut. Dabei waren die Staatsanwaltschaft, Opfervertreter Müller, und Opfervertreter Meichsner und das gesamte Gericht. Die anderen Teilnehmer der Parteien haben verzichtet. Der Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte aus postmortalem Persönlichkeitsschutz und, weil die Videoaufnahmen pornographischen Inhalts waren.»

Dann beginnt der Gerichtspräsident mit der Befragung zur Tat.

«Warum musste es zu diesen Tötungen kommen, Herr N.?»
N. schweigt lange. Dann sagt er: «Das ist eine schwierige Frage.» Er schweigt wieder. «Die Tat vertuschen. Aus Angst, aus Scham. Das waren die Hintergedanken.»

«Sie wollten 30'000 Franken erbeuteten. Am Schluss wurden es 11'000. Wie erklären Sie sich dieses Verhältnis?»
«Krank.»

«Welche Diagnose würden Sie sich geben?»
«Das kann ich nicht sagen. Es ist unmenschlich.»

«Ich habe mich darin geflüchtet, dass es nur ein Konstrukt ist. Habe mir gesagt, es ist etwas Abstraktes, nichts Reales, also musst du keine Angst haben, dass du es jemals so durchziehen wirst, wie du es dir überlegt hast. Dann kam der sexuelle Missbrauch dazu. Ich konnte das nicht mehr loslassen.»
«Haben Sie jemals Ihre Hunde geschlagen?» «Nein»
Jetzt befragt die Pflichtverteidigerin ihren Mandanten. Ob er überhaupt eine Therapie beginnen wolle? Thomas N. wartet lange mit der Antwort, dann sagt er: «Ja, natürlich.» Er habe im vorzeitigen Strafvollzug gemerkt, wie gut ihm die Gespräche mit Therapeuten tun.

Das Gericht fragt, ob Thomas N. jemals seine Hunde geschlagen habe?
«Nein», antwortet er knapp.

«Eine Nachbarin sagte aber, dass Sie relativ heftig auf die Hunde reagiert haben. Wie muss man sich das vorstellen?»
«Ich war bestimmt auch einmal laut, aber ich habe sie nie geschlagen.»

Die Befragung zur Person des mutmasslichen Täters ist beendet. Das Gericht und interessierte Parteivertreter ziehen sich nun zur Visionierung der Videos zurück, die Thomas N. bei der Tat angefertigt haben soll. Die Öffentlichkeit ist davon ausgeschlossen. In einer halben Stunde soll der Prozess fortgesetzt werden.
Thomas N. will wieder ein Mitglied der Gesellschaft werden
Thomas N. betont, dass er während seiner Zeit als Fussballtrainer, auf dem Fussballplatz, die pädophilen Neigungen unter Kontrolle gehabt habe. Die Kabine habe er immer als Raum der Kinder gesehen. Auch in seinem schwarz-weissen Notizbuch, in denen er die Namen von verschiedenen Jungen notiert hatte, sei keiner seiner Fussballjunioren drin gewesen, sagt N.

«Wie kommen Sie auf die Idee, wieder ein Studium anzufangen, nachdem er bereits fünf Mal ein Studium abgebrochen habe?» Er habe sich zuerst überlegt, eine Lehre anzufangen. «Aber, auch wenn ich eine Lehre mache: Welcher Betrieb würde mich einstellen, wenn ich einst wieder freikomme?»

Thomas N. sagt: «Mein Ziel ist es, irgendwann einmal wieder Mitglied der Gesellschaft und resozialisiert zu sein.»
«Ich dachte, dass ich es unter Kontrolle habe.»»
«Ging Ihnen nie durch den Kopf, dass das, was Sie machten, falsch ist?»
«Auf der einen Seite war es natürlich ein gutes Gefühl, sonst hätte ich es nicht gemacht. Auf der anderen Seite …» Thomas N. schweigt jetzt lange. «…» Er starrt intensiv in Richtung des Opfervertreters, der ihm die Frage gestellt hat. «… auf der anderen Seite wusste ich natürlich, dass es falsch ist, Kinder zu begehren.»

«Hatten Sie nie den Gedanken, Hilfe zu beanspruchen?»
«Ich habe mir das überlegt, aber es ist ein gewaltiger Schritt. Angst, Scham, Einbildung, haben mich daran gehindert. Und ich dachte, dass ich es unter Kontrolle habe.»
«Das Ziel ist, ein bisschen zu sparen, für zukünftige Ausgaben»
Das Gericht, die Opfervertreter und die Staatsanwältin befragen jetzt Thomas N.

«Wie ist Ihr Umgang mit Geld?»
Thomas N. fragt zurück, ob die Frage sich auf die Gegenwart bezieht oder auf die Vergangenheit. Aktuell habe er keine Geldsorgen. «Die Zelle ist spartanisch eingerichtet, ich rauche nicht, ich trinke keinen Kaffee. Das Ziel ist, ein bisschen zu sparen, für zukünftige Ausgaben.» Er lese Bücher, bereite ein Studium vor. Früher, da war der Umgang mit Geld sorglos, ja.

«Was sind Ihre Hobbys im Gefängnis?»
Die Integrationsgruppe Yoga, das habe ihm Spass gemacht. Bisschen sportlich aktiv, joggen oder im Kraftraum. Aktuell habe er Bücher bestellt zur Studiumsvorbereitung.

«Was wollen Sie studieren?»
Wahrscheinlich Wirtschaft. Die Auswahl ist nicht so gross.

«Ist Fussball noch ein Thema bei Ihnen?»
Nein.

«Welches sind Ihre sexuellen Fantasien?»
Er sei pädophil. «Aber es ist schwierig, darüber zu reden, vor allem im Gefängnis.»

«Sie haben einmal gesagt, Sie wollen später als alter Mann vor dem Kamin sitzen, mit einem Glas Wein und einem Hund ...»
«Das ist immer noch mein Traum, ja.»

«Sind Sie der Ansicht, dass Pädophilie heilbar ist?»
«Dazu kann ich nicht sagen. Ich hoffte, es wäre so. Aber wenn die Gutachter etwas anderes sagen, dann wird es so sein.»

Ob er im Gefängnis masturbiere, will der Gerichtspräsident von N. wissen. «Selten.» Die Gedanken seien dabei die gleichen wie draussen, die Pädophilie käme aber kaum noch vor.
Jetzt wird Thomas N. befragt
Der Gerichtspräsident befragt jetzt den Beschuldigten: «Herr N. wie geht es Ihnen gesundheitlich?» Thomas N. antwortet ruhig und bedächtig. Zu Beginn versteht man ihn fast nicht in den hinteren Reihen, seine Anwältin richtet das Mikrofon. «Den Umständen entsprechend. Ich habe keine körperlichen Leiden.»

Ob er Medikamente nehme? Nein, keine Medikamente, und er habe ein normales Verhältnis zu Alkohol. Mit seiner Mutter habe er immer noch Kontakt. N. erzählt danach von seinem Gefängnisalltag.
«Pädophilie an sich ist nicht heilbar. Was behandelt werden kann, ist der Umgang.»
Der Gerichtspräsident befragt Sachs zu seiner Aussage im Gutachten, wonach Anhaltspunkte für eine Serientäterschaft bestehen. Sachs relativiert: «Das sind hypothetische Überlegungen, die man nicht belegen kann.» Mit ein Grund für diese Aussage sei gewesen, dass Thomas N. ganz am Anfang, als die finanziellen Überlegungen im Vordergrund gestanden seien, sich selber gesagt habe, dass er grössere Geldbeträge brauche und dafür allenfalls mehrere Taten begehen müsse. «Das widerspricht allerdings seinen späteren Aussagen», so Sachs. Man könne jedenfalls nicht ganz ausschliessen, dass zumindest die Option da gewesen sei.

Eine weitere Frage des Gerichtsvorsitzenden bezieht sich auf die Pädophilie des mutmasslichen Täters: «Die Pädophilie an sich ist nicht heilbar», erklärt der Gutachter. «Das was behandelt werden kann, ist der Umgang mit der Pädophilie. So dass man wegen ihr nicht mehr straffällig wird. Das ist schwierig und langdauernd, aber nicht unmöglich.»

Auch Sachs wird schliesslich vom Gerichtspräsidenten Daniel Aeschbach zu einer Einschätzung der Tat anhand eines Rankings befragt: Sachs betont, dass es ein einmaliger Fall in seiner Karriere sei. «Ich hatte noch nie Gewalt von diesem Schweregrad gesehen, die von einer Person verübt wurde, die bis zur Tat strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Deshalb ist es auch schwierig, prognostische Aussagen zu machen. Man kann den Fall Thomas N. nicht mit anderen, ähnlich gelagerten Fällen vergleichen.»
Das Gericht befragt den zweiten Sachverständigen
Der Gerichtspräsident eröffnet die Verhandlung wieder. Das Gericht wird jetzt den Sachverständigen Josef Sachs befragen. Der Beschuldigte Thomas N. sieht abgekämpfter und fahriger aus als noch am Morgen.
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Bild: EPA/KEYSTONE
Sibylle Heusser/Keystone
Um 14 Uhr geht es weiter
In Kürze wird der Prozess im Vierfachmord Rupperswil fortgesetzt. Das Gericht ist bereits anwesend, die Staatsanwältin und die Opfervertreter ebenso. Noch wartet man hier auf Thomas N. und seine Verteidigerin.

Die Sicherheitskontrollen sind auch am Nachmittag strikt: Ausweiskontrolle, Metalldetektor – ohne ausreichende Bewilligung kommt hier niemand rein.
epa06600469 A drawing shows a view into the courtroom with the accused Thomas N. (right outside) during the trial for the quadruple murder of Rupperswil in Schafisheim, Switzerland, 13 March 2018. Tho ...
Bild: EPA/KEYSTONE
Sibylle Heusser/Keystone
Der Morgen in der Zusammenfassung von unserem Gerichtsreporter William Stern
Therapieerfolg sei nicht auszuschliessen.
Gutachter Sachs schliesst mit der Bemerkung, dass ein Therapieerfolg nicht auszuschliessen sei, dass ein solcher aber frühestens nach 10 Jahren eintreten könnte. Hingegen könne man bereits früher erkennen, ob die Therapie überhaupt möglich sei.

Der Gerichtspräsident unterbricht die Verhandlung anschliessend für die Mittagspause. Um 14 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt. Thomas N. wird in Begleitung eines Polizisten aus dem Saal geführt.
«Er ist ein absoluter Perfektionist»
«Zur Persönlichkeit ist anzumerken, dass Thomas N. bis zur Matur, bis zu einem Alter von 20 Jahren, gar nicht aufgefallen ist.» Dann jedoch sei er zweifach gescheitert, so Sachs, zuerst im Militär, dann in der beruflichen Karriere. «Man muss sich fragen: Was ist da passiert? An der Intelligenz liegt es nicht, die ist überdurchschnittlich».

Thomas N. sei selbstbezogen, nicht gut im Vernetzen, einige Personen sagten, er könne einem nicht in die Augen schauen, sagt Sachs weiter. «Das sind autistische Züge. Diese sind aber nicht so massiv, dass eine Diagnose Autismus im medizinischen Sinn gestellt werden könne. »

Zweitens sei ihm aufgefallen, sagt Sachs, dass Thomas N. auf den «schönen Schein» sehr viel Wert gelegt habe. Das habe dazu geführt, dass er sich nicht so zeigen konnte, wie er war. «Er lebte wie in einer Blase, hatte nur oberflächlichen Kontakt zu anderen Menschen. Auf der anderen Seite konnte er selbstsicher auftreten – das sind narzisstische Züge. Zusammen mit dem Autistischen zeigt das, dass Thomas N. sich nur sehr schlecht in andere Menschen einfühlen kann, dass er also wenig Empathiefähigkeit besitzt. Bei Junioren, bei Hunden, war das anders.»

Sachs beobachtete überdies, dass Thomas N. ein unglaubliches Durchhaltevermögen besass: Sei es beim Studium oder als Juniorentrainer. «Er ist ein absoluter Perfektionist: Bleistifte waren immer perfekt ausgerichtet, in dem schwarz-weissen Büchlein, das er im Zusammenhang mit der Tat führte, war der Abstand zwischen den Zeilen immer perfekt. Er konnte kein Jota von seinem Lebensplan abweichen. Das sind klar zwanghafte Persönlichkeitszüge.»

Allerdings habe Thomas N. keine schwere Persönlichkeitsstörungen, so Sachs, sonst wäre er früher schon aufgefallen.

Sachs erklärt, dass es aus seiner Sicht keinen Grund zur Verminderung der Schuldfähigkeit gebe.

Thomas N. hört sich die Ausführungen des Psychiaters an, wie er zuvor schon Habermeyer gelauscht hatte: Das Kinn in die Hände gestützt, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet.
Die drei Punkte von Sachs' Gutachten
Sachs weist zuerst darauf hin, dass man die Persönlichkeit eines Täters unter Ausschluss der Tat anschauen müsse. Das habe er, Sachs, in einem ersten Schritt getan.

Die Tat selber sei in einem zweiten Punkt seines Gutachtens abgehandelt. Dabei stelle sich vor allem die Frage, warum die bei jedem Menschen natürlich angeborenen Hemmungen beim Beschuldigten im Zeitpunkt der Tat ausgeschaltet wurden.

Im dritten Punkt habe er sich mit der Prognose beschäftigt, so Sachs.Sachs gibt aber zu Bedenken, dass bei Rückfallprognosen ab einem Zeitraum von 15 Jahren, forensische Psychiater nicht genauer seien als die Durchschnittsbevölkerung.
Jetzt spricht der zweite Gutachter
Josef Sachs Forensiker
Die Verhandlung geht weiter mit der Befragung des Gutachters Josef Sachs. Sachs ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie. Der Aargauer trat 2015 nach 25 Jahren als Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Königsfelden ab. Er hat laut eigener Aussage an mehr als 1000 Gutachten mitgearbeitet.
Gutachter sind sich nicht einig
Staatsanwältin Barbara Loppacher nimmt vorweg, dass Josef Sachs, der zweite Psychiater, zum Schluss gekommen ist, dass Thomas N. narzisstische Züge, aber keine narzisstische Störung habe. Sachs wird sein Gutachten im Anschluss präsentieren.

Loppacher fragt Habermeyer, wie die Abweichungen zu erklären sei. Dieser erklärt, dass er das Gutachten von Herrn Sachs nicht kenne, und er sich deshalb kein Urteil anmasse. Aber es sei bekannt, dass in der Medizin unterschiedliche Sichtweisen ihre Berechtigung haben. Er macht den Vergleich mit dem Fussballer Neymar, bei dem ausgewiesene Fachärzte unterschiedliche Diagnosen festgestellt haben.

Ein Opferanwalt will wissen, ob die Bereitschaft zur Therapie, die Habermeyer bei Thomas N. festgestellt haben will, nicht auch manipulativ begründet sein könnte. Habermeyer antwortet ausweichend: «Sie erwarten von mir eine Stellungnahme, eine Gesamtwertung, die eher ins juristische fällt. Ob das taktisch motiviert ist, also eine Verteidigungsstrategie darstellt, das ist nicht an mir zu entscheiden. Für mich ist relevant, dass ich nicht erwarten kann, und auch bisher nicht erlebt habe, dass Straftäter im laufenden Strafverfahren komplett Einblick in ihr Denken gewähren. Herr N. hat sehr viel gewährt. Warum er das macht oder nicht macht, das ist letztlich Interpretationssache

Als Psychiater, so Habermeyer auf eine weitere Frage, könne er im Leben nie etwas ausschliessen.

Dann lässt der Gerichtspräsident den Hammer fallen. Es gibt eine Pause, um 11.30 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
«Einer von 10 Fällen, an die ich nach Berufsende denke werde.»
Auf die Frage des Gerichtspräsidenten, «wo dieser Fall im Ranking» bei ihm liege, antwortet Gutachter Habermeyer: «Es ist einer von 10 Fällen, an die ich auch nach Berufsende noch denken werde.»

2014 habe N. während der WM im Garten Fussball geguckt und zuvor alle Nachbarn informiert, dass es eventuell laut werden könne. «Und eineinhalb Jahre später begeht er so ein Delikt. Das hat mich nachdenklich gemacht. Das fällt aus dem üblichen Rahmen heraus.»
Seine Mutter sollte nichts von seinem Versagen erfahren
Habermeyer stellt klar, dass das Geld nicht das entscheidende Motiv für die Tat gewesen sei. N.s Kernmotivation sei vielmehr gewesen, dass seine Mutter nichts von seinem Versagen im Studium erfährt. Verheerend sei letztlich gewesen, dass N. den den 13-jährigen Jungen, das spätere Opfer, auf der Strasse getroffen habe.

Thomas N. habe Habermeyer selber mehrmals explizit gesagt, «dass es keine Geldsumme der Welt wert ist, ein solches Delikt zu begehen.»

Habermeyer antwortet dann auf weitere Fragen des Gerichtsvorsitzenden. Der erste Zahn, den man bei einer Therapie ziehen müsste, sei derjenige der Vorbereitungshandlungen. N. hatte seine nächsten Taten geplant und stand laut Staatsanwaltschaft bereits vor dem Haus seiner möglichen nächsten Opfer. Thomas N.s Haltung dazu sei, dass da ja noch nichts passiert sei. Das müsse man zuerst angehen.

In einem Klinik-Setting sehe er Thomas N. nicht, sagt Habermeyer weiter. Zunächst müsste vollzugsbegleitend therapiert werden, die Justizvollzugsanstalt Pöschwies sei dafür eine Option.
«Thomas N. ist nicht dauerhaft untherapierbar»
Jetzt kommt Gutachter Habermeyer zur Kriminalprognose, die entscheidend ist für die Beantwortung der Frage, ob Thomas N. eine lebenslange Verwahrung droht. Thomas N. sei nicht dauerhaft untherapierbar, sagt Gutachter Habermeyer.

Es gebe zwar ein «sehr hohes Rückfallrisiko» beim Beschuldigten, sagt Habermeyer, aber die Tatsache, dass Thomas N. keine Vorgeschichte gescheiterter therapeutischer Bemühungen habe, spreche dafür, dass man therapeutisch mit ihm arbeiten kann.

Dennoch gebe es auch Bedenken. Vor allem die Vorgeschichte der manipulativen Täuschungsstrategien sei problematisch. «Wenn Thomas N. das so weiterleben würde, würde eine Therapie ins Leere laufen.»

Langfristig sei es also durchaus möglich, mit dem Beschuldigten therapeutisch zu arbeiten, «allerdings in einem längeren Zeitraum, der deutlich über 5 Jahre geht.» Es sei aber wichtig, das nicht mit einer Heilung gleichzusetzen.

Habermeyer präzisiert aber auch, es sei für einen Psychiater extrem schwierig, bei einem Menschen, der noch nie eine Therapie gemacht habe, eine lebenslange Untherapierbarkeit zu prognostizieren.

Die Pädophilie, sagt Habermeyer auf Nachfrage des Gerichtspräsidenten, sei jedoch nicht heilbar.
Wie ein Drehbuchautor oder Krimiautor
Elmar Habermeyer geht über zum Tatgeschehen. Thomas N. habe sich im Vorfeld verschiedene Szenarien ausgemalt, es sei eine Flucht in eine andersgeartete Welt gewesen. Thomas N. beschreibe sich hinsichtlich dieser Fantasien selber wie ein «Drehbuchautor oder ein Krimiautor.»

Ihm gegenüber habe er gesagt, dass er die Durchführung der Taten bis zum Schluss eigentlich nicht vorgehabt habe, so Habermeyer. «Es war ihm allerdings klar, dass er eine rechtswidrige Handlung begeht.»

Es gebe Hinweise, dass Thomas N. an einer sadistischen sexuellen Störung leide, erklärt der Gutachter. Allerdings liege diese in einem Grenzbereich. Ein Hinweis sei, dass er Videoaufnahmen während der Tat machte. «Das kann man als Aneignung einer Trophäe sehen.» Thomas N. selber streite sadistische sexuelle Motive während der Tat ab.

Abschliessend könne man sagen, dass in dieser Hinsicht keine Minderung der Schuldfähigkeit bei Thomas N. festzustellen sei, so Habermeyer.
«Typischer Fall eines erfolglosen Narzissten»
Bei Thomas N. sei eine Vielzahl auffälliger Persönlichkeitsmerkmale gegeben, fährt Gutachter Habermeyer fort. Thomas N. habe zudem kaum Bezugspersonen, abgesehen von seiner Mutter. Auch habe er Angst, abgelehnt zu werden.

«Ingesamt wirkt er kühl und abweisend, er weist einen Mangel an Empathie auf. Sein schwarz-weiss Denken ist charakteristisch für eine narzisstische Störung.» Thomas N. sei der typische Fall eines erfolglosen Narzissten: Ambitioniert, aber nicht gewillt oder in der Lage, diese Ambitionen zielgerichtet zu verfolgen.
«Diagnose der Pädophilie gegeben»
Habermeyer erläutert nun, dass eine sexuelle Abweichung bei Thomas N. feststellbar sei: Die Diagnose der Pädophilie sei gegeben. Thomas N. habe ihm gegenüber geäussert, dass er im Alter von 4 bis 5 Jahren Opfer eines sexuellen Missbrauchs gewesen sein könnte, er könne sich aber nicht genau erinnern. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei aber durch dieses Ereignis, falls es denn stattgefunden habe, nicht gegeben, sagt Habermeyer.

«Herr N. hat sich schon in der Jugend durch präpubertäre Jungs angezogen gefühlt», sagt Habermeyer, «er ging aber zuerst davon aus, homosexuell zu sein. Dann merkte er, dass die sexuelle Präferenz in diesem Altersbereich blieb. Am Ende der Schulzeit realisierte er schliesslich, dass er pädophil ist.» Gegen aussen habe er dies immer verschwiegen. Auch dass er Bildmaterial und Geschichten mit pädophilen Inhalten konsumierte, habe er niemanden erzählt.

«Herr N. hat beschlossen, keine sexuellen Übergriffe zu begehen und hat das wohl auch bis zum Dezember 2015 nicht getan.» Der Beschuldigte habe keine Versuche unternommen, homo- oder heterosexuelle Beziehungen einzugehen.
«Keine frühkindlichen Entwicklungsstörungen»
Habermeyer geht weiter zur Analyse der biografischen Entwicklung. «Herr N. zeigt keine frühkindlichen Entwicklungsstörungen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Herr N. aus einem belastenden oder problematischen familiären Umfeld stammt, es haben keine gewalttätigen Erziehungsmethoden in der Familie geherrscht.»

Thomas N. habe keine Mobbing- oder Aussenseitererfahrungen in der Schule gemacht.

«Im Elternhaus galt Herr N. im Vergleich mit seinem Bruder als der intellektuell Überlegene, Zuverlässigere, Reifere. Mein Eindruck war, dass die Eltern grössere Hoffnungen in ihren Sohn gehabt haben.»

Bis zum Schulabschluss sein Thomas N. mit seinem Leben zufrieden gewesen sei, so Habermeyer.
Der erste Gutachter spricht
Elmar Habermeyer, Direktor der forensischen Klinik für Psychiatrie der Universitätsklinik Zürich beschreibt, wie er den Beschuldigten wahrgenommen hat. Habermeyer hat Thomas N. ingesamt 13.5 Stunden in der JVA Pöschwies untersucht.

Thomas N. sei ausgesprochen technisch und rational erschienen, im Verlauf sei dies durch emotionale Facetten ergänzt worden und der Beschuldigten kontaktfähiger. Habermeyer sagt, er konnte beobachten, dass Thomas N. sein Gegenüber kontrollieren, dominieren oder bewusst manipulieren wolle.

«Thomas N. spricht sachlich und offen über die Pädophilie und macht detaillierte Angaben zum Tatverlauf». Es gebe keinen Anhalt für eine Intelligenzminderung oder eine kognitive Leistungsminderung. Der Beschuldigte weise einen IQ von 106 auf. Hirnorganische Schädigungen können gemäss Habermeyer ausgeschlossen werden. Es seien keine relevanten psychiatrischen Erkrankungen feststellbar, der Angeklagte habe also keine Vorgeschichte.

Thomas N. habe ihm gegenüber übermässigen Alkoholkonsum und den Konsum von illegalen Substanzen verneint. «Es bleibt aber die Frage offen, inwieweit die Persönlichkeit des Beschuldigten Auffälligkeiten zeigt und ob eine sexuelle Devianz vorliegt.»

Thomas N. macht sich während der Ausführungen des Gutachters Notizen.
Thomas N. soll Filme nicht sehen
Das Gericht hatte geplant, die Visionierung der Filme pornographischen Inhalts, die der Beschuldigte auf seinem Computer gespeichert hatte, in Anwesenheit des Beschuldigten durchzuführen, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die Privatkläger bitten, den Beschuldigten bei der Visionierung nicht zuzulassen, da er gemäss eigenen Aussagen pädophil sei. Die Bilder könnten deshalb den Beschuldigten ergötzen, das sei nicht in niemandes Interesse.

Die Verteidigerin des Beschuldigten, Renate Senn, stimmt zu. Auch das Gericht gibt dem Antrag statt.
Verantwortung der Medien wird betont
Die Vertreter der Privatkläger erhalten das Wort.

Mehrere von ihnen weisen auf die Verantwortung bei der Berichterstattung hin und bitten die Medien, insbesondere die Erwähnung von Namen der Opferseite und der Hinterbliebenen zu unterlassen, sowie alle Informationen, die auf eine Identität der Hinterbliebenen schliessen lassen könnten.

Der Prozess sei auch eine Etappe bei der Verarbeitung dieses Ereignisses, sagt einer der Vertreter der Privatkläger. Gerade deshalb sei ein objektive Berichterstattung unumgänglich.
Vorbemerkungen in der Verhandlung
Gerichtspräsident Daniel Aeschbach beginnt mit den Vorbemerkungen. Er bedauert, dass nicht alle interessierten Personen Zugang zum Prozess bekommen haben. Die Öffentlichkeit sei aber durch die Medien genügend informiert. Anschliessend gibt er den erwarteten Ablauf der Verhandlung durch.

Dann fragt er den Beschuldigten, ob er wisse, warum er hier sei und was ihm vorgeworfen werde. Der Beschuldigte Thomas N. nickt und antwortet knapp: «Ja».
Der Beschuldigte betritt den Saal
Jetzt sind auch der Angeklagte und seine Verteidigerin im Saal. Er trägt ein graues Hemd, die Haare sind kurz geschnitten, der Blick auf den Boden gerichtet. Er wird flankiert von seiner Pflichtverteidigerin und einem Polizisten.

Der Gerichtspräsident eröffnet jetzt die Hauptverhandlung.
Gericht komplett
Das fünfköpfige Gericht ist nun komplett, auch die leitende Staatsanwältin ist vor Ort. Der Beschuldigte Thomas N. ist noch nicht im Saal.

Der Prozess wird in Kürze mit der Befragung der psychiatrischen Sachverständigen starten.
Hohe Sicherheitsvorkehrungen
Die Sicherheitsvorkehrungen hier sind hoch: Journalisten und Zuschauer müssen sich am Eingang einer Personenkontrolle unterziehen, elektronische Geräte sind – ausser für Journalisten– im Verhandlungssaal nicht zugelassen. Die Fenster sind mit schwarzen Planen blickdicht abgedeckt.
Sie entscheiden im Fall Rupperswil
Einige der Verteidiger der Opferseite sind bereits im Saal eingetroffen. Hier findest du einen Überblick über die Beteiligten im einem der aufsehenerregendsten Prozesse der jüngeren Geschichte der Schweiz.
Saal schon gut gefüllt
Der Saal der mobilen Polizei fasst 100 Plätze und ist – eine gute halbe Stunde vor Beginn – schon gut gefüllt. 65 Medienschaffende und 30 Zuschauer werden am Prozess erwartet. Fotos sind während der Verhandlung gemäss Reglement des Bezirksgerichts Lenzburg keine erlaubt.
Unser Reporter ist vor Ort

Schulpsychologen kommen nie unangemeldet
Thomas N. hatte sich mit einer List Zugang vom Haus der Opfer verschafft: Er gab sich als Schulpsychologe aus.

Philipp Ramming, Präsident der Schweizer Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie, stellt klar: «Die Eltern sollen wissen: Wir gehen nie so vor. Wenn Sie Zweifel haben, sollen sie sich bei der Schule melden.»

Dominik Wicki, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes Solothurn, ergänzt: «Wir machen keine Hausbesuche. Manchmal treffen wir Eltern im Schulhaus, meistens aber auf der Regionalstelle.» Der Kontakt laufe immer über die Schule. (aargauerzeitung.ch)
Prozess findet nicht weit vom Tatort entfernt statt
Das Bezirksgericht Lenzburg tagt in den Räumlichkeiten der Mobilen Polizei in Schafisheim - unweit des Tatorts in Rupperswil. Grund dafür sind Platzprobleme und vor allem Sicherheitsfragen. Den Prozess verfolgten 35 private Zuschauer; 65 Medienvertreter sind akkreditiert.
Strafantrag noch nicht bekannt.
Die Staatsanwaltschaft wird das beantragte Strafmass erst an der Gerichtsverhandlung bekanntgeben. Thomas N. muss mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe und einer Verwahrung rechnen.
Tag Eins im Rupperswil-Prozess
Heute steht der mutmassliche Täter des Vierfachmordes von Rupperswil vor dem Bezirksgericht Lenzburg. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den 34-jährigen Thomas N. des mehrfachen Mordes und der mehrfachen Pornografie. Der Prozess ist auf vier Tage angelegt, der Angeklagte wird wohl erst morgen Mittwoch zu Wort kommen.

Hier geht's zum detaillierten Artikel über die Anklageschrift.

Hier geht's zur Reportage aus Rupperswil.

(sda)

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sageits
13.03.2018 21:56registriert August 2016
Ich bin erschüttert. Und ratlos.
Für mich ist die Tat und der Täter unbegreiflich. Dass er schon konkrete Zukunftspläne äussert, wirkt befremdlich. Irgendwie verfrüht. Wie muss das erst in den Ohren der Angehörigen der Opfer klingen? Wie Hohn?

Zum Glück wurde er gefasst. Ich glaube nicht, dass er aufgehört hätte.
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Dummbatz Immerklug
13.03.2018 21:06registriert Februar 2016
Was mir bisher verborgen blieb: wie kam man ihm auf die Spur? Weiss das jemand?
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