Bühnen sind wichtig in der Politik, gerade in der Pandemie, wo man sie seltener betreten kann. Simonetta Sommaruga hat an diesem Morgen im Mai eine riesige Fabrikhalle ausgewählt, Arbeiter in Schutzbrillen stehen vor Maschinen, mannshohe Maschinenteile liegen auf Holzpaletten. Die Bundesrätin geht durch die Halle, lässt sich dies und das erklären. In ihrem Gefolge ranghohe Politiker, ein berühmter Erfinder, der Firmenchef, ein Umweltschützer. Es ist eine illustre Runde, mit der man sich gerne zeigt.
Seht her, wer mich alles unterstützt: Das ist die Botschaft der Bundesrätin, die mit ihrem Werben für das CO2-Gesetz bis an die Grenze dessen geht, was Bundesräten in Abstimmungskämpfen erlaubt ist. Sommaruga weiss nicht nur, dass es am 13. Juni knapp werden dürfte. Die Berner Bundesrätin kämpft auch um die wichtigste Vorlage ihrer Karriere. Es geht jetzt auch um ihr Vermächtnis als Bundesrätin.
Sommaruga krempelt gerade die ganze Klima- und Energiepolitik der Schweiz um. Neben dem CO2-Gesetz will sie noch im Juni das Energiegesetz vorstellen, das die künftige Stromversorgung regelt. Beide Vorlagen zusammen sollen dafür sorgen, dass die Schweiz weg von Treibhausgasen und weg vom Atomstrom kommt, hin zu erneuerbaren und sauberen Energien. Bringt Sommaruga die Gesetze durch, ist vorgezeichnet, was die Bundesratshistoriker über sie schreiben werden. Sie wird die grünste Bundesrätin sein, die die Schweiz bisher hatte. Sommaruga, 61-jährig und seit bald zehn Jahren im Amt, wird dann jederzeit zurücktreten können.
Die Fabrikhalle steht mitten in Zürich. Früher hat die Escher Wyss AG dort Maschinen gebaut; die Firma war einst so wichtig, dass ein ganzer Stadtteil nach ihr benannt worden ist. Mittlerweile gehört die Halle der MAN Energy Solutions AG. Im hinteren Teil ist eine neuartige Wärmepumpe der Firma aufgebaut. Gleich daneben steht ein Rednerpult. Dort treten unter anderem auf: Corine Mauch, Zürcher Stadtpräsidentin. Martin Neukom, Regierungsrat. Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz.
Und dann ist da noch Bertrand Piccard, der berühmteste Erfinder der Schweiz. Er besingt das neue CO2-Gesetz regelrecht, schwärmt von den Chancen, die es für alle biete - insbesondere für die Wirtschaft. Es ist so etwas wie der Soundtrack zur Veranstaltung, und es ist auch: der Soundtrack von Sommarugas Kampagne. Die linke Umweltministerin geht mit wirtschaftlichen Argumenten auf Stimmenfang. Bei jeder Gelegenheit betont sie die unternehmerischen Chancen der Vorlage.
Nur das Wort Verzicht will sie nie aussprechen. Die Bernerin vermeidet zu sagen, dass es so wie bisher nicht weitergehe. Dass Ölheizungen, Benzinautos und ultragünstige Flugreisen der Vergangenheit angehören, weil sie für einen Lebensstil stehen, der den Klimawandel befeuert hat. Darüber schweigt sie. Denn es geht jetzt darum, eine Abstimmung zu gewinnen. Da ist Verzicht ein gefährliches Wort.
Dies alles gehört zum Prinzip Sommaruga: Als Linke will sie nicht mit linken Positionen anecken, sondern mit Pragmatismus bis in die Mitte - und zum Machbaren - vordringen. Die Bernerin habe nie den linken Stallgeruch gehabt, schrieb ihr langjähriger Mitstreiter Rudolf Strahm kürzlich. Mit «Kooperation, Kompromiss und Beharrlichkeit» arbeite sie sich zum Ziel vor. Die Umweltverbände hätten gerne mehr gehabt, wünschten sich, dass Sommaruga ein wenig mehr ausgelotet hätte, was möglich ist.
Nicht allen gefällt das Pragmatische, gerade in den eigenen Reihen. Niemand schiesst so scharf gegen Simonetta Sommaruga wie der frühere SP-Präsident Peter Bodenmann. In seinen «Weltwoche»-Kolumnen kanzelt der alte Polithaudegen die eigene Bundesrätin oft regelrecht ab. Mal ist Sommaruga die eifrige Schülerin, die in Sachen Energiewende nichts begriffen hat. Mal spielt sie eine «himmeltraurige Rolle», mal braucht sie Nachhilfeunterricht. Hat der Patriarch den Aufstieg einer Frau nicht verwunden?
Die Entfremdung ist tief. Sommaruga, die kühle und kontrollierte Pragmatikerin am rechten Parteirand, war gerade erst zwei Jahre im Nationalrat, als sie 2001 das Gurten-Manifest mitveröffentlichte. Die Schrift sorgte für Distanz zu den Parteilinken - und trieb Sommarugas Aufstieg trotzdem voran.
Die Umweltministerin mag Symbole. Die Fabrikhalle, die für Vergangenheit und Zukunft steht. Eine Fahrt im Nachtzug zu einem Staatsbesuch. Oder den gefährdeten Titlisgletscher, zu dem sie ein paar Tage nach dem Auftritt in Zürich hinauffährt, an ihrer Seite: Michelle Gisin, Skistar aus Engelberg. Man sorgt sich wegen des Klimawandels und tut so, als ob die Schweiz ihre Gletscher retten könnte, wenn sie nur genug unternimmt. Was natürlich nicht stimmt, weil sie nur einen Bruchteil der weltweiten Emissionen verursacht.
Als National- und Ständerätin machte Sommaruga immer auch Umweltpolitik. Doch nach ihrer Wahl in den Bundesrat im Jahr 2010 wurde sie von ihren Kollegen im Justizdepartement versenkt. Die bürgerliche Mehrheit wusste nur zu gut, wie schwer man es dort gerade als SP-Politikerin hat. Und schwer wurde es dann auch. Die SVP schoss so oder so gegen ihre Asylpolitik; zeigte Sommaruga Härte, kam das im eigenen Lager schlecht an. Die ewigen Auseinandersetzungen mit der SVP prägten ihre Zeit als Justizministerin: Masseneinwanderungsinitiative, Durchsetzungsinitiative, Selbstbestimmungsinitiative. Die Abwehrkämpfe überdeckten, dass Sommaruga im Justizdepartement auch einiges gestaltete. Dass sie eine Soft-Frauenquote für Unternehmen oder Lohnanalysen durchsetzen würde, hatte kaum jemand erwartet.
Jetzt besetzt Sommaruga ein Schlüsseldepartement. Nirgends kann sie so viel linke Politik umsetzen wie im Uvek: Umwelt, Verkehr und Strassen, Energie, Service public, SBB, Post und Swisscom. Sind die Weichen einmal gestellt, wirkt das jahrelang nach. Und Sommaruga greift tief ins Räderwerk ein: Bis hinab in die Verordnungen redet sie mit, schraubt mal hier, mal dort nach links. Handstreichartig brachte sie kürzlich mit einer Verordnungsänderung den Bergregionen das schnelle Internet. Politisch wäre dies sonst kaum umsetzbar gewesen.
Es zeigt: So pragmatisch Sommaruga sich auch gerne gegen aussen gibt - hinter den Kulissen betreibt sie knallharte SP-Machtpolitik. Zu sehen war dies erst kürzlich, als sie ihren Parteikollegen Christian Levrat ins Amt des Post-Präsidenten hievte. Sommaruga dürfte die Empörung in Parlament und Bevölkerung einkalkuliert haben. Aber was ist ein kurzer Aufschrei gegen das langfristige Sicherstellen von Macht? Mit Levrats Wahl wird auch Jahre nach ihrem Rücktritt noch ein Sozialdemokrat Einfluss bei der Post nehmen können.
Doch wo sie nicht interessiert ist, wird es schwierig: zum Beispiel bei der überlasteten Strassenverkehrsinfrastruktur. Engpassbeseitigung oder ein Ausbau stehen nicht zuoberst auf der Prioritätenliste der Bundesrätin. Man habe mit Sommaruga gute Gespräche gehabt, sagt Andreas Burgener, der Direktor von Auto Schweiz. «Aber es war unter Bundesrätin Doris Leuthard sicher einfacher, einen Termin zu erhalten.»
Auch der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser ist an diesem Morgen in die Fabrikhalle gekommen. Noser gilt als einer der Architekten des Gesetzes, das nun zur Abstimmung steht. Dazu muss man wissen, dass die Vorlage einst in Trümmern lag. Im Nationalrat schaute nach einem Jahr Parlamentsarbeit eine erste Version heraus, die den Linken zu wenig weit ging - und den Rechten immer noch zu weit. Die unheilige Allianz versenkte in der grossen Kammer im Dezember 2018 das Gesetz in der Gesamtabstimmung. Dann war der Ständerat am Zug. Und Simonetta Sommaruga, die eben erst als Nachfolgerin von Doris Leuthard im Umweltdepartement angekommen war. Noser sagt dazu:
Am Ende kam ein grosser Kompromiss heraus, der das Prinzip Sommaruga spiegelt: Koalitionsbildung und Oppositionsvermeidung. Abtasten, vorwagen, das Mögliche ausloten. Eine Flugticketabgabe, aber keine CO2-Abgabe auf Treibstoffe. Ein gut gefüllter Klimafonds, der wichtige Teile der Wirtschaft ruhigstellt, mit einer Milliarde pro Jahr. Die FDP von Ruedi Noser - inzwischen zwar grüner geworden, aber noch längst keine Gralshüterin des Klimaschutzes - schrieb stark am Gesetz mit. Am Ende war von den Parteien nur noch die SVP dagegen. Sommaruga hatte das Machbare in der Mitte gefunden.
Der Anlass in Zürich neigt sich dem Ende zu, aber zuerst warten noch Mikrofone und Kameras auf ein paar Sätze von Sommaruga. Sie spricht über den Tesla, den sie fährt, um die Umwelt zu schützen. Und darüber, dass es bei dieser Abstimmung auch um das Leben der Kinder und Grosskinder gehe.
Wie sie, die Kinder und Grosskinder, dereinst über die Klimapolitik in der Ära Sommaruga sprechen werden, kann man heute nur erahnen. Die jungen Menschen, die für mehr Klimaschutz auf die Strasse gehen, sind auf alle Fälle enttäuscht über das Gesetz. Teilweise bekämpfen sie es gar. Ihnen entgegnet Sommaruga: «Ich verstehe die Ungeduld. Doch in der Schweiz macht man Schritt für Schritt.» Es sind typische Sommaruga-Sätze. (aargauerzeitung.ch)
Schiessen auf die Person hat nur sehr wenig zu tun, mit dem, über was eigentlich abgestimmt werden müsste.
Falschinformationen sollten stärker geahndet werden. Schliesslich geht es um die Zukunft unseres Planeten und unserer Kinder, Enkel und Nachfahren.
Bei jeglichen Veränderungen wird Angst geschürrt und der verlust von Arbeitsplätzen gepriesen.
Entwicklung bedingt das Verlassen der Komfortzohne.
Think about