Mit 41 Jahren wird der Mann aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden auf tragische Weise alleinerziehend. Bei einer Wanderung im August 1994 im Alpstein verunglückt seine Ehefrau tödlich. Die beiden Töchter sind damals zwei und vier Jahre alt.
Kurz darauf gab er seine Erwerbstätigkeit vollständig auf, um sich ausschliesslich um seine Töchter zu kümmern. Mit der Witwerrente, den Halbwaisenrenten und Ergänzungsleistungen resultierte ein monatliches Einkommen von rund 5000 Franken. Als die jüngere Tochter 18-jährig wurde und er 57 Jahre alt war, zahlte die Ausgleichskasse Appenzell Ausserrhoden keine Witwerrente mehr; für eine Witwe hingegen wäre sie lebenslänglich geflossen.
Das Bundesgericht lehnte im Mai 2012 eine Beschwerde gegen die gestoppte Rente ab. Doch der Mann kämpfte weiter und bekam zehn Jahre später doch noch Recht. Im Oktober 2022 taxierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweizer Praxis als männerdiskriminierend.
Gemäss dem Urteil aus Strassburg verlangte der mittlerweile 70-jährige Familienvater von der Schweiz insgesamt rund 189'000 Franken Nachzahlungen. In der Forderung enthalten sind auch die Ergänzungsleistungen (EL), die er nach dem Verlust der Witwerrente verlor - und Radio- und TV-Gebühren, von denen er als EL-Bezüger befreit gewesen wäre.
Am 5. Dezember 2022 beantragte der Mann, das Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2012 zu revidieren. Das Bundesgericht ist aber nicht darauf eingetreten, wie aus einem am Freitag publizierten Entscheid hervorgeht. Die Richter begründen ihr Urteil mit der Bereitschaft des Bundes, dem Mann, der mittlerweile in Südamerika lebt, knapp 64'000 Franken als Ersatz für die entgangenen Witwerrenten nachzuzahlen. Damit ist in den Augen des Bundesgerichts die Verletzung der Menschenrechtskonvention geheilt.
Die Vergleichsverhandlungen führte das Bundesamt für Justiz. Es beantragte am 25. April 2023, das Revisionsgesuch abzuschreiben, weil es mit dem Angebot des Bundes gegenstandslos geworden sei.
Der Mann war damit aber nicht zufrieden. Wie der «Tages-Anzeiger» im letzten Mai berichtete, erklärte er die Verhandlungen für gescheitert. Er kündigte an, sich notfalls erneut an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden - um auch für die entgangenen Ergänzungsleistungen entschädigt zu werden.
Auf politischer Ebene schlägt der Bund vor, dass Hinterbliebene künftig längstens bis zum 25. Geburtstag des jüngsten Kindes eine Witwenrente erhalten. Mit dieser genderneutralen Regelung und anderen Reformelementen geht der Bund davon aus, dass die AHV jährlich um einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet wird. Bis 2035, wenn das System seine volle Wirkung entfaltet, sollen es 810 Millionen sein. Die Vernehmlassung zur Reform endet am 29. März.