Lebenslange Renten für Verwitwete soll es nicht mehr geben. Der Bundesrat hat Gesetzesänderungen in eine Vernehmlassung gegeben, mit denen alle hinterbliebenen Elternteile gleich behandelt werden. Renten erhalten sollen Mütter und Väter mit unterhaltsberechtigten Kindern und alle übrigen während zwei Übergangsjahren.
Der Bundesrat hat am Freitag Änderungen der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) bis zum 29. März 2024 in die Vernehmlassung geschickt. Er reagiert mit den Vorschlägen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und auf gesellschaftliche Entwicklungen.
Das System der lebenslangen Renten für Verwitwete entspreche nicht mehr der gesellschaftlichen Realität, schreibt der Bundesrat. Immer mehr Frauen seien erwerbstätig und die Rollen der Eltern seien anders verteilt.
Leistungen für hinterbliebene Mütter und Väter sollen neu auf die Betreuungs- und Erziehungszeit ausgerichtet sein. Ausbezahlt werden sollen sie bis zum 25. Geburtstag des jüngsten Kindes. Wer ein erwachsenes Kind mit Behinderung betreut, soll die Leistungen auch länger erhalten. Die Rente soll unabhängig sein vom Zivilstand.
Wer in einer Ehe ohne unterhaltsberechtigte Kinder lebt oder vom geschiedenen Partner Unterhaltsbeiträge erhält, soll nach dem Tod des Partners oder der Partnerin lediglich noch Anspruch auf eine Übergangsrente haben.
Haben die Kinder ihre Ausbildung beendet, könne davon ausgegangen werden, dass der verwitwete Vater oder die verwitwete Mutter je nach Alter in der Lage sei, für sich aufzukommen oder die Lebenshaltung anzupassen. Bei Inkrafttreten der Vorlage über 50-jährige Verwitwete mit Ergänzungsleistungen sollen ihre Renten behalten können.
Verwitwete ab 58 Jahren ohne Kinder, denen durch den Tod ihres Partners oder ihrer Partnerin Armut droht, sollen im Rahmen der Ergänzungsleistungen individuell unterstützt werden. Der Bundesrat begründet dies mit den Schwierigkeiten für Ältere, eine Erwerbsarbeit zu finden oder das Arbeitspensum zu erhöhen.
Als Übergangsregelung ist vorgesehen, laufende Renten von bei Inkrafttreten der Neuerungen über 55-jährigen Verwitweten ohne unterhaltsberechtigte Kinder sollen weiter auszurichten. Für Jüngere dagegen sollen laufende Renten innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten der gesetzlichen Neuerungen aufgehoben werden.
Der Bundesrat reagiert mit der Vorlage auf Kritik des EGMR. Dieser hatte 2022 eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern bei den Hinterlassenenrenten in der Schweiz festgestellt. Zurzeit gilt eine Übergangsregelung, die dafür sorgt, dass der Anspruch auf Witwerrente nicht bei Volljährigkeit des jüngsten Kindes endet.
Doch die Rechtsgleichheit zwischen Witwern und Witwen soll auch Entlastungen bringen. Die Rede ist von rund 720 Millionen Franken Entlastung für die AHV und rund 160 Millionen Franken für den Bund. Treten die Neuerungen 2026 in Kraft, soll das neue System ab 2035 seine volle Wirkung entfalten.
Nach Angaben des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) vom Juni wären Frauen von den Einsparungen besonders betroffen. Heute erhielten sie fast 90 Prozent der Hinterlassenenleistungen. Dabei seien Frauen nach dem Tod ihres Ehepartners bereits heute häufiger in einer schwierigen finanziellen Lage als Männer, schrieb der SGB.
Anstatt die Renten der Frauen zu erhöhen und die von ihnen geleistete Betreuungs- und Erziehungsarbeit über die Renten zu sichern, würden nun die Witwenrenten um Millionen gekürzt, kritisierte der SGB. Das entspreche einem weiteren Abbau der Frauenrenten.
Im Dezember 2021 bezogen rund 8900 Personen unter 50 Jahren und knapp 30'000 50- bis 59-Jährige eine Witwen- oder Witwerrente. Davon waren 7960 respektive 28'830 Frauen. Insgesamt erhalten laut Botschaftsentwurf zurzeit 175'850 Personen eine Witwen- oder Witwerrente in der Höhe von insgesamt 1,7 Milliarden Franken.
Von der Reform nicht betroffen sind Witwen- und Witwerrenten der beruflichen Vorsorge. Die Rente wird grundsätzlich bis zum Tod oder bis zur Wiederverheiratung des hinterlassenen Ehegatten gezahlt. (saw/sda)