Die Gesundheitskosten steigen, das ist eine Tatsache. Wie allerdings dieses Problem gelöst werden soll, daran scheiden sich die Geister. Die einen finden, die Ärzte mit ihren immer höheren Salären seien Schuld am Schlamassel. Andere sagen, es sei wegen den Versicherten, die bei jedem Husten gleich zum Doktor rennen. Dritte wiederum sehen das Problem bei den Krankenkassen selber, die sich gegenseitig konkurrieren und so die Prämien in die Höhe treiben.
In der laufenden Frühjahrssession ist gleich ein ganzer Strauss an politischen Vorstössen zu diesem Thema traktandiert. Am Dienstag stimmte nun der Ständerat einer Änderung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) zur Mindestfranchise zu.
Kranke müssen sich in Zukunft stärker an den Behandlungskosten beteiligen. Die tiefste Franchise soll an die Entwicklung der Gesundheitskosten angepasst werden. Das hat zur Folge, dass die Mindestfranchise um 50 Franken angehoben wird und neu 350 Franken beträgt. Nachdem der Nationalrat dem Geschäft bereits zugestimmt hat, sprach sich am Dienstag auch der Ständerat mit 26 zu 13 Stimmen dafür aus.
Die Änderung des KVG erlaubt es, die Franchisen weiter zu erhöhen, wenn die Gesundheitskosten steigen. Sobald die durchschnittlichen Bruttokosten der Leistungen pro versicherte Person mehr als 13-mal höher liegen als die tiefste Franchise, wird sie wiederum um 50 Franken erhöht.
Die Räte hoffen, dass mit der Änderung weniger Versicherte wegen Bagatellen zum Arzt gehen und damit Kosten verursachen.
Ganz konkret heisst das, dass voraussichtlich im Jahr 2020 die tiefste Franchise auf 350 Franken erhöht wird. Der Bundesrat geht davon aus, dass dann durch den neuen Mechanismus die Franchisen alle vier Jahre um 50 Franken steigen werden.
Stefan Felder, Gesundheitsökonom an der Universität Basel, sagt, von der Erhöhung der Mindestfranchisen wären in der Schweiz 4.5 Millionen Menschen betroffen – 53 Prozent der Bevölkerung, also. 1,6 Millionen Menschen in der Schweiz haben nur die Mindestfranchise. 2,9 Millionen kombinieren sie zusätzlich mit einem Hausarzt- oder HMO-Modell.
Der Präsident der Gesundheitskommission des Ständerats, Joachim Eder (FDP), sagte, mit der Massnahme könne der Kostenanstieg gedämpft werden. Für die Versicherten sei dies in Form von weniger schnell steigenden Krankenkassenprämien spürbar. In den Jahren, in denen die Mindestfranchise steigt, verlangsamt sich das Kostenwachstum bei den Krankenkassenprämien gemäss Berechnungen des Bundesrates um 0,5 Prozent.
Das bezweifelt SP-Nationalrätin Barbara Gysi. Gegenüber dem «Blick» sagt sie, es sei nicht nachweisbar, dass höhere Franchisen die Gesundheitskosten irgendwie dämpfen würden.
Auch Gesundheitsökonom Felder sagt, dass die Gesetzesänderung bei den Kosten wenig ausrichten könne. «Aus der Wissenschaft wissen wir, dass sich die Kostenbeteiligung kaum darauf auswirkt, ob man überhaupt zum Arzt geht. Patienten, die häufig die Praxis aufsuchen, reagieren jedoch darauf.» Die Zahl der Arztbesuche werde allerdings wegen der nur leicht höheren Franchise kaum zurückgehen. «Die Massnahme ist ein Placebo», sagt Felder.
Die Gegner kritisieren, dass Kranke immer stärker zur Kasse gebeten werden. Damit werde das Solidaritätsprinzip geritzt, sagte SP-Ständerat Hans Stöckli. «Immer mehr Menschen verzichten auf ärztliche Leistungen, weil sie es sich nicht leisten können. Das ist dramatisch.» Im «Blick» sagt Barbara Gysi, die Franchisenerhöhung sei schlichtweg inakzeptabel. «Sie trifft ausgerechnet die Schwächsten am stärksten – chronisch Kranke und die ältere Bevölkerung.»
Die Linke hat bereits Widerstand gegen die Erhöhung der Franchisen angekündigt. Die SP will das Referendum ergreifen, der Schweizerische Konsumentenschutz will mitziehen. Das letzte Wort zur Gesetzesänderung wird also voraussichtlich das Volk haben.
Krankenkassen-Themen haben derzeit politisch Konjunktur. Der Politologe Lukas Golder vom Forschungsinstitut Gfs Bern sagte vor Kurzem gegenüber watson: «Es ist auffällig, wie viele Initiativen zum Gesundheitswesen in der Pipeline sind». Der Bundesrat und das Parlament beschäftigten sich zwar schon lange mit den steigenden Kosten, doch habe es bisher eher wenige Volksinitiativen zum Thema gegeben und diese seien ausschliesslich von links gekommen: «Das ändert sich nun, etwa mit der Kostenbremsen-Initiative der CVP.»
Eine weitere Initiative hat die SP in der Pipeline. Mit ihrer Prämien-Entlastungs-Initiative will sie die Prämie bei 10 Prozent des Haushaltseinkommens begrenzen. Beide Initiativen befinden sich derzeit im Sammelstadium.
Weiter hat die Gesundheitskommission des Nationalrats eine Motion eingereicht mit dem Ziel, die Grundfranchise auf 500 Franken anzuheben. Gesundheitsökonom Felder sagt, das gäbe einen grösseren Effekt als die Franchisenerhöhung auf 350 Franken. «Die deutlich höhere Kostenbeteiligung würde das Verhalten der Leute ändern und insbesondere Arztbesuche wegen Bagatellen reduzieren», so Felder.
Versicherte, die eine höhere Franchise als die Grundfranchise wählen, müssen diese nicht drei Jahre lang beibehalten. Der Ständerat lehnte einen entsprechenden Gesetzesentwurf ab. Der Nationalrat wollte mit der Regelung verhindern, dass Versicherte ihre Franchise wegen eines absehbaren Leistungsbezugs – beispielsweise einer planbaren Operation – vorübergehend senken und dann wieder erhöhen. Er muss nun entscheiden, ob er an der Vorlage festhalten will.
(Mit Material der sda)