«Ich bin festen Willens, mein Mandat als Stadträtin weiterzuführen», schreibt Beatrix Jud heute in einem Statement auf ihrer Homepage. Die Opfiker Sozialvorsteherin steht in der Kritik, weil sie ihr Amt auf Teilzeitbasis ausübt, obwohl sie bei der IV zu 100 Prozent als arbeitsunfähig registriert ist.
Jud ist überzeugt, das Ziel einer Kampagne ihrer politischen Gegner zu sein. Dennoch bleibt es eine Geschichte voller Widersprüche:
Bevor ihre IV-Rente öffentlich wurde, erzählte Beatrix Jud dem Tages-Anzeiger, sie arbeite 60 bis 80 Prozent als Treuhänderin und betreue Kunden in der ganzen Schweiz.
Auf ihrer Homepage gibt Jud nach wie vor an, zwei Firmen zu führen. Bei beiden Unternehmen ist sie als erste Ansprechpartnerin angeführt.
Beruft man sich auf diese Angaben, kommt man auf ein Gesamtpensum von 160 bis 180 Prozent.
Besteht da noch der Anspruch auf eine 100-Prozent-IV-Rente?
«IV-Bezüger haben eine Meldepflicht, sollte sich ihr Gesundheitszustand oder ihre Arbeitsfähigkeit verbessern», sagt Daniela Aloisi von der Zürcher Sozialversicherungsanstalt (SVA) auf Anfrage.
Wenn die SVA eine IV-Rente zuspricht, wird immer gleich der nächste Revisionszeitpunkt bestimmt. Dieser ist von der gesundheitlichen Prognose abhängig. So ist es möglich, dass die Situation bereits ein Jahr später neu geprüft wird. Im Jahr 2013 gab es ungefähr 5'600 Revisionen bei einem Gesamtbestand von rund 38'000 Bezügern.
Falls sich die Arbeitsfähigkeit der 60-Jährigen verbessert hat, hätte sie dies melden müssen.
Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagt ihr Mann, der Baselbieter SVP-Politiker Paul Wenger, Beatrix Jud sei nicht mehr fähig, als Treuhänderin zu arbeiten.
In ihrem Statement schreibt Jud, sie sei nach einem Hirnschlag im Jahr 2012 erst gänzlich arbeitsunfähig gewesen, habe aber dank geeigneter Therapien wieder 30 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit zurückerlangt.
Sie habe sich entschlossen, aus dem Treuhandgeschäft zurückzuziehen und die operativen Tätigkeiten an Dritte weiterzugeben – «und mich im Wesentlichen nur noch meinem Amt als gewählte Stadträtin zu widmen». Von ihren Unternehmen würde sie keine Löhne mehr beziehen.
Ist Beatrix Jud wirklich nicht mehr als Treuhänderin tätig?
Die widersprüchlichen Aussagen der Stadträtin und ihres Mannes wecken Zweifel. Ein solcher Verdachtsfall löst automatisch eine Untersuchung aus. «Wir nehmen jede Meldung ernst», so Sprecherin Aloisi. «Wir erhalten pro Jahr durchschnittlich 600 Verdachtsmeldungen». Anonyme Hinweise werden dabei gleich behandelt wie ein Verdacht, der sich aus einem Medienbericht ergibt, wie in diesem Fall.
Fest steht: Beatrix Jud bezog ab Mai 2012 monatlich 8300 Franken Krankentaggeld einer privaten Versicherung – sie bezifferte ihren Einkommensausfall ihrer Tätigkeit als Treuhänderin mit knapp 200'000 Franken pro Jahr.
Später meldete sie sich bei der IV an, wo sie angab, zu 100 Prozent arbeitsunfähig zu sein. Obwohl sie mit einem Pensum von 30 bis 40 Prozent als Stadträtin tätig war und für diese Aufgabe eine Entschädigung von 43'600 Franken pro Jahr erhielt.
Voll arbeitsunfähig bei der IV angemeldet und gleichzeitig Stadträtin: Ist das nicht missbräuchlich?
Nicht unbedingt. Wer wegen Invalidität eine Einkommenseinbusse von mindestens 70 Prozent hat, dem steht eine volle Invalidenrente zu. Sollte sich aber herausstellen, dass die Arbeitsfähigkeit von Beatrix Jux mehr als die von ihr angegebenen 30 bis 40 Prozent beträgt, kann man von einem Missbrauch sprechen.
Schon früher geriet Jud wegen eines Aspektes ihres Privatlebens in die Kritik, der politisch relevant ist: Vergangenes Jahr trennte sich die SVP Opfikon von ihr. Unter anderem, weil Parteikollegen ihr vorwarfen, dass Juds Lebensmittelpunkt nicht in Opfikon liege, sondern in Reinach BL, wo ihr Ehemann Paul Wenger wohnt.
Jud widerspricht dieser Darstellung. Sie sei im Zürcher Unterland verwurzelt, ihr Mann im Baselbiet. Bei der Eheschliessung hätten sie sich «für die völlig legale Lebensform verheiratet mit getrenntem Wohnsitz» entschieden, und dabei seien sie geblieben.
Der Handelsregistereintrag der Baugenossenschaft Opfikon, in der die Statdrätin einsitzt, stützt diese Version. Dort ist ihr Wohnort mit «Reinach, BL» angegeben. Jud erklärte damals, der Handelsregistereintrag habe aus Kostengründen nicht angepasst werden können, obwohl eine Änderung gerade mal 20 Franken kostet. (rey)