Die Krankenkassenprämien werden 2024 um 8,7 Prozent steigen. Das teilte Bundesrat und Gesundheitsminister Alain Berset heute mit.
Zahlen des BAG zeigen, dass sich die Prämien seit 1996 bis auf zwei Ausnahmen jährlich erhöht haben. Dieser Aufwärtstrend liess sich bisher nicht stoppen. Es überrascht darum nicht, dass die Krankenkassenprämien gemäss Sorgenbarometer 2023 die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer sind.
Und was wollen die Parteien, die derzeit um Stimmen für die Wahlen im Oktober buhlen, dagegen unternehmen? Einiges, wie folgende Übersicht zeigt. Es kommt dabei aber darauf an, wem oder was sie die Schuld an den steigenden Gesundheitskosten geben.
Das Problem laut der SP:
Für die SP ist die «unsolidarische Finanzierung» des Gesundheitswesens der Hauptgrund, weshalb die Krankenkassenprämien seit Jahren steigen. Dass das Schweizer Gesundheitswesen gewinnorientiert ist, sieht sie kritisch.
Die SP spricht gar von einem «Pseudo-Wettbewerb» zwischen den Krankenkassen, der «theoretisch zu tieferen Kosten für die Versicherten führen sollte». In der Realität passiere aber das Gegenteil. Profitable Bereiche – etwa Behandlungen bei Spezialistinnen und Spezialisten – würden forciert und die Grundversorgung, Prävention und Pflege vernachlässigt.
Probleme macht die SP aber auch in anderen Bereichen fest. So bezahle man in der Schweiz für ein und dasselbe Medikament deutlich mehr als im Ausland. Schuld daran sei, dass sich die Pharma-Lobby im Parlament heute viel zu oft durchsetze. Ausserdem sei das elektronische Patientendossier noch immer nicht flächendeckend in Gebrauch, was zu «Mehrfachuntersuchungen und unnötigen Doppelspurigkeiten führt».
Die SP-Lösung:
2024 kommt die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP vors Volk. Diese sieht vor, dass Versicherte maximal zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben müssen. Den Rest der Kosten müssten Bund und Kantone, im Sinne einer Prämienverbilligung, übernehmen. Der Bund würde allerdings mit zwei Dritteln den Grossteil dieser Kosten tragen.
Daneben fordert die SP eine Generika- und Biosimilar-Pflicht bei Medikamenten und eine Überarbeitung der Tarife, wodurch die Grundversorgung – etwa durch Hausarztpraxen – gestärkt werden soll.
Nebenbei liebäugelt die SP mit der Einheitskasse, die den Wettbewerb komplett aushebeln würde. Am entsprechenden Initiativentext arbeitet die Partei zusammen mit Verbraucherverbänden, Gewerkschaften und anderen linken Parteien noch, wie der Blick schreibt.
Die Forderung nach einer Einheitskasse ist jedoch nicht neu. In der Vergangenheit scheiterte die Einheitskasse schon drei Mal an der Urne. Zuletzt 2014 mit 62 Prozent Nein-Stimmen. Nun könnte der Wind aber gedreht haben. Gemäss einer repräsentativen watson-Umfrage befürworten 79 Prozent der Bevölkerung eine Einheitskasse.
Das spricht dagegen:
Der Bundesrat lehnt die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP ab. Abgesehen davon, dass der Bund so deutlich mehr Geld für Prämienverbilligungen ausgeben müsste, während die Kantone aus Sicht des Bundesrats die Gesundheitskosten entscheidend beeinflussen könnten, bringt er ein weiteres Argument dagegen vor: Die Initiative würde nicht die Ursachen der hohen Gesundheitskosten bekämpfen.
Der indirekte Gegenvorschlag will den Kantonen mehr Mittel für die Prämienverbilligung zur Verfügung stellen. Der Nationalrat hat diesen Gegenvorschlag vor zwei Wochen angenommen.
Das Problem laut der Mitte:
Die Mitte ist grundsätzlich zufrieden mit dem Schweizer Gesundheitssystem. Trotzdem sieht sie Handlungsbedarf, denn mittlerweile könnten über 2,2 Millionen Menschen in der Schweiz ihre Krankenkassenprämien nicht mehr selbst bezahlen. Also jede vierte Person.
«Die Prämien steigen vor allem, weil das Gesundheitssystem viele Fehlanreize hat, die zu Übertherapie und teuren Behandlungen führen. Zudem zahlen wir zu viel für Medikamente und werfen davon auch zu viel weg», schreibt die Mitte auf Anfrage.
Weder Ärzte noch die Pharmaindustrie, Spitäler oder Kantone hätten ein Interesse daran, im Gesundheitswesen zu sparen. Dabei könnten gemäss Experten heute «20 Prozent oder 6 Milliarden Franken der Kosten in der obligatorischen Grundversicherung ohne Qualitätsverlust eingespart werden», so die Mitte.
Die Mitte-Lösung:
Die Mitte hat die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» auf den Weg geschickt. Die Idee: Die Krankenkassenprämien dürfen nicht stärker steigen als die Löhne. Ansonsten greift eine «Kostenbremse».
Diese funktioniert wie folgt: Liegt das Kostenwachstum pro versicherte Person zwei Jahre um ein Fünftel über der Nominallohnentwicklung, sind der Bundesrat und die Kantone dazu verpflichtet, konkrete Massnahmen zu beschliessen, welche die Gesundheitskosten senken. Diese Massnahmen müssen im Folgejahr greifen. So würden die Prämien bezahlbar bleiben.
Das spricht dagegen:
Der Bundesrat befürchtet, dass die Initiative dazu führen könnte, dass nötige Behandlungen nicht durchgeführt werden. Dies, weil die Sparmassnahmen einzig an die Lohnentwicklung im Land gekoppelt wären. Faktoren wie die Alterung der Gesellschaft, der technisch-medizinische Fortschritt sowie die Abhängigkeit der Löhne vom Konjunkturverlauf würden nicht berücksichtigt.
Der Bundesrat empfiehlt darum die Ablehnung der Initiative und formulierte selbst einen indirekten Gegenvorschlag mit flexibleren Kostenzielen.
In diesem würden Bundesrat und Kantone jährlich festlegen, welches Ziel für das maximale Kostenwachstum in den einzelnen Bereichen der obligatorischen Krankenkassenprämien angestrebt werden soll. Wird dieses Ziel überschritten, wären Tarifpartner, Kantone und Bund verpflichtet zu prüfen, in welchen Bereichen und mit welchen Massnahmen Kosten eingespart werden könnten. Inzwischen haben sich auch National- und Ständerat für den Gegenvorschlag zur Kostenbremse ausgesprochen.
Die Mitte sieht den Gegenvorschlag als einen «Schritt in die richtige Richtung». Die Kostenziele ihrer Initiative sind darin aber nicht mehr enthalten. «Das Initiativkomitee wird nach der Schlussabstimmung vom 29. September 2023 entscheiden, ob der Gegenvorschlag reicht, um die Initiative zurückzuziehen», verkündete die Mitte Anfang September darum in einer Medienmitteilung.
Das Problem laut der FDP:
Für die FDP sind die steigenden Gesundheitskosten eine logische Konsequenz zweier Faktoren. Einerseits entwickelt sich unsere Bevölkerung auf eine Weise, dass immer mehr Menschen medizinische Versorgung in Anspruch nehmen (etwa durch die steigende Lebenserwartung und -qualität).
Andererseits werde der Katalog der durch das Krankenversicherungsgesetz gedeckten Leistungen stetig erweitert. Das Schweizer Gesundheitssystem sei von so hoher Qualität, dass es als «luxuriös» bezeichnet werden könne.
Die FDP-Lösung:
Die FDP will sich für mehr Wettbewerb und mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen einsetzen. Sie schlägt darum ein neues Versicherungsmodell vor: die «Budget»-Krankenkasse.
Die Idee dahinter: Prämienzahlerinnen und -zahler sollen selber entscheiden, welche Gesundheitsleistungen sie mit ihrer Krankenkassenprämie abgedeckt haben wollen. So müssten sie nicht mehr für das ganze «Menü» der Grundversicherung aufkommen, sondern nur für jene Bereiche, die sie auch wirklich selbst nutzten. Dadurch würden jene Prämienzahlenden zwar das Risiko einer höheren Franchise eingehen, wären aber nicht mehr von stetig steigenden Gesundheitskosten betroffen. So sollten etwa auch Mehrjahresverträge mit Versicherungen möglich sein.
Die FDP verspricht, dass mit der Budget-Krankenkasse die Krankenkassenprämie einer Person um bis zu 25 Prozent gesenkt werden könne.
Das spricht dagegen:
Sowohl der Bundesrat als auch die Parteien von Mitte bis links kritisieren den FDP-Vorschlag einer Budget-Krankenkasse. Denn unser Gesundheitssystem funktioniere nur, weil die Gesunden die Kosten, die Kranke verursachen, mitfinanzieren. Es basiert auf Solidarität.
Zu SRF sagte Mitte-Nationalrat Christian Lohr, dass der Vorschlag der FDP zu mehr Ungerechtigkeit führen würde: «Wohlhabende könnten Prämien sparen und sich im Notfall eine Behandlung trotzdem leisten.»
Das Problem laut SVP:
Gemäss dem Parteiprogramm der SVP verhindern Staatseingriffe, neue Gesetze, Kontrollorgane und zentrale Kompetenzen beim Bund den Wettbewerb im Gesundheitswesen, was Fehlanreize schaffe und zu keiner Kostenreduktion führe. Die Partei spricht von einer «zunehmenden Verstaatlichung des Gesundheitswesens».
Auf Nachfrage von watson bringt die SVP aber auch die Corona-Pandemie ins Spiel. Zum Abfedern kurzfristiger Marktvolatilität verfügten die Krankenkassen im Normalfall über Reserven. «Wegen der Covid-Pandemie entschied aber der Bundesrat, dass die Krankenkassen diese Reserven anzapfen sollen und die Prämien nicht erhöhen dürfen.» Gleichzeitig werde der Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherungen auch noch ausgebaut. Die Kombination dieser beiden Faktoren führe «zwangsmässig zu einem Prämienschub».
Die Hauptschuld an den steigenden Prämien gibt die SVP allerdings der «masslosen Zuwanderung». Denn jeder Migrant, der sich in der Schweiz registriere, habe vom ersten Tag an Anrecht auf den kompletten Leistungskatalog der Krankenversicherung, ohne jemals in dieses System einbezahlt zu haben. «Bei einer durchschnittlichen Einwanderung pro Jahr von rund 70'000 Personen bedeutet das über 300 neue Ärzte, über 300 zusätzliche Spitalbetten und über 1700 neue Pflegekräfte, deren zusätzliche Kosten sich alle auf die Krankenkassenprämien niederschlagen.»
Die SVP-Lösung:
Im Parteiprogramm der SVP ist eine ganze Liste an Forderungen zu finden, die das Gesundheitswesen verbessern sollen. Unter anderem verlangt die Partei, dass Versicherte freiwillig höhere Franchisen wählen können und dass bei gleichwertigen Medikamenten immer die günstigsten verschrieben werden müssen. Auch will die SVP, dass sich unser Gesundheitswesen weg von Tarifstrukturen und Vertragszwängen und hin zu mehr Wettbewerb bewegt.
Ausserdem fordert die Partei: «Es braucht für die ganzen Asylmigranten, die zu uns kommen, eine Krankenkasse-Light mit stark abgespecktem Leistungskatalog, bis zu dem Punkt, an dem sie selbstständig und konstruktiv in unsere Gesundheitsversorgung einzahlen.» Ausserdem seien alle Asylmigranten, die kein Bleiberecht hätten, konsequent und sofort des Landes zu verweisen. «Nur so bekommen wir unsere Gesundheitskosten wieder in den Griff.»
Politische Vorstösse oder konkrete Lösungsansätze auf nationaler Ebene sucht man im Parteiprogramm der SVP allerdings vergeblich. Auf Nachfrage von watson ist die SVP die einzige Partei, die dazu auch nicht Stellung nimmt. Sie werde eine entsprechende Medienmitteilung nach der Pressekonferenz von Alain Berset versenden.
Auf kantonaler Ebene setzt sich die SVP seit einigen Jahren für höhere Steuerabzüge für Krankenkassenprämien ein. Damit will man den Mittelstand entlasten. Erst im September lancierte die SVP des Kantons Zürich etwa die kantonale Volksinitiative «Stopp Prämien-Schock». Diese sieht vor, dass der Steuerabzug für Krankenkassenprämien künftig automatisch im gleichen Umfang steigen soll wie die Prämien.
Es ist gut möglich, dass die SVP eine ähnliche Volksinitiative auch auf nationaler Ebene forcieren wird. Im Parteiprogramm schreibt sie: «Die SVP fordert, dass die Krankenkassenprämien der Grundversicherung vollumfänglich von den Steuern abgezogen werden können.»
Das Problem laut den Grünen:
Die Grünen vertreten denselben Standpunkt wie die SP: «Unser individualisiertes, auf Kopfprämien gebautes Gesundheitssystem funktioniert nicht.» In den letzten 25 Jahren seien die Gesundheitskosten um 80 Prozent gestiegen, die Krankenkassenprämien dagegen um 145 Prozent.
Die Grüne-Lösung:
Kurzfristig setzt sich die Partei dafür ein, dass die Prämienverbilligungen erhöht werden, «damit die Prämien Wenigverdienende und Familien nicht in die Armut treiben».
Mittelfristig fordern die Grünen die Einführung von einkommensabhängigen Krankenkassenprämien. Eine entsprechende Motion namens «Schluss mit den unsozialen Kopfprämien bei der Krankenversicherung» hat die Partei im Juni dieses Jahres eingereicht.
Das spricht dagegen:
Im August nahm der Bundesrat zur Grünen-Motion bereits Stellung. Darin hält er fest, dass in der Vergangenheit viele ähnliche Vorstösse gemacht wurden, welche jeweils vom Volk abgelehnt worden seien, wenn es zur Abstimmung kam. Er verweist ausserdem auf seinen Gegenvorschlag zur SP-Prämien-Entlastungs-Initiative, mit der die Prämienlast für die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreise tragbar bleiben soll.
Beim Vorstoss der Grünen befürchtet der Bundesrat einen administrativen Mehraufwand, da einkommens- und vermögensabhängige Prämien festgelegt werden müssten. Besonders wenn eine Abstufung der Prämien nach Kantonen und Regionen, wie dies nach geltendem Recht möglich sei, umgesetzt werden müsste. Einen grundlegenden Systemwechsel sieht der Bundesrat darum «als nicht angezeigt». Der Ständerat wird voraussichtlich noch in diesem Jahr über den Vorstoss abstimmen.
Das Problem laut der GLP:
Für die GLP gibt es viele Gründe, warum die Krankenkassenprämien jährlich steigen. Einerseits altere die Bevölkerung. Andererseits werde in Schweizer Gesundheitssystem die Qualität der Behandlung oft mit der Behandlungsquantität verwechselt, «was zu hohen Mehrkosten führt». Aber auch die Innovation sei ein Kostentreiber: Neue medizinische Methoden und innovative Therapien seien erwünscht, aber eben auch oft teuer.
Ausserdem kritisiert die GLP die Planung medizinischer Infrastruktur – etwa Spitäler – in «geografischen Kleinsträumen». Das sei veraltet und wirke sich negativ auf die Kosten im Gesundheitswesen aus.
Die GLP-Lösung:
«Damit der Zugang zu unserer hervorragenden Gesundheitsversorgung auch weiterhin für alle Personen, unabhängig von ihrem Budget, gewährleistet ist, fordern wir Massnahmen sowohl auf der Kosten- als auch der Finanzierungsseite», schreibt die GLP auf Anfrage. Vor allem solle die Ineffizienz und Fehlanreize des bestehenden Systems «endlich» behoben werden.
Die Grünliberalen fordern einen raschen Einsatz eines datenbasierten elektronischen Patientendossiers, die Behebung von Fehlanreizen im Tarifsystem, was insbesondere durch die Einführung von Tardoc und EFAS passiert sei und dass die Gesundheitsversorgung in grossen Gesundheitsregionen organisiert wird. Zu letzterem werde GLP-Nationalrat Jörg Mäder noch diese Session auf nationaler Ebene einen Vorstoss einreichen. Sein Vorstoss habe zum Ziel «die Koordination zu fördern und Überkapazitäten abzubauen», wie die GLP schreibt.
Daneben will sich die Partei dafür einsetzen, dass die Prämienverbilligungen ausgeweitet werden, «damit auch Familien des unteren Mittelstands entlastet werden».
SP: Wir verstaatlichen die KK, dann kommts schon gut.
Mitte: Wir sagen mal einfach die Kosten dürfen nicht mehr steigen, dann tun sie es vielleicht auch nicht mehr.
FDP: Ersparnisse für die Wohlhabenden und outsourcen der Schwachen mit Minimalleistungen
SVP: Wir wettern mal gegen alles und vor allem: mehr Markt! Klappt zwar nie aber immerhin bleibt so das Geld von den Lobbyisten.
Was für ein jämmerliches Schauspiel.