Schweiz
Gesundheit

Einheitskasse: Laut Umfrage sind 80 Prozent für nur eine Krankenkasse

Die Krankenkassenprämien steigen weiter an – eine grosse Mehrheit der Bevölkerung will das System jetzt umkrempeln.
Die Krankenkassenprämien steigen weiter an – eine grosse Mehrheit der Bevölkerung will das System jetzt umkrempeln.bild: keystone/shutterstock/watson

Grosse watson-Umfrage zeigt: Deutliche Mehrheit will die Einheitskrankenkasse

Fast vier Fünftel der Bevölkerung wollen eine Einheitskrankenkasse. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage von watson. Zudem will eine deutliche Mehrheit am Obligatorium festhalten.
06.09.2023, 05:0005.09.2023, 16:47
Corsin Manser
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Die Schweizer Bevölkerung muss für die Krankenkassen immer tiefer in die Taschen greifen. 2024 dürften die Prämien um bis zu zehn Prozent steigen. Die Gesundheitskosten sind deswegen eines der wichtigsten Themen im Wahlkampfherbst. Nun zeigt eine watson-Umfrage, dass die Bevölkerung von den steigenden Kosten die Nase voll hat und das System umkrempeln möchte.

Gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut DemoSCOPE wollte watson herausfinden, was die Bevölkerung von den Krankenkassen-Plänen der verschiedenen Parteien hält. Die für die Deutsch- und Westschweiz repräsentative Umfrage wurde zwischen dem 29. August und dem 1. September durchgeführt, wobei 9178 Personen teilgenommen haben (mehr zur Methodik am Ende des Artikels).

Deutliche Mehrheit will eine Reform

So wie bisher kann es nicht weitergehen – das meint eine überwältigende Mehrheit der Befragten. 88 Prozent der Bevölkerung befürworten (eher) eine Reform des Krankenkassensystems.

Mehrheit gegen Abschaffung des Obligatoriums

Stellt sich die Frage, wie das System reformiert werden soll – und auch hier hat die Umfrage interessante Ergebnisse geliefert.

Was die Bevölkerung nicht will, ist eine Abschaffung des Krankenkassen-Obligatoriums – eine deutliche Abfuhr für die Überlegungen der Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. Die SVP-Politikerin sagte in einem Interview mit der SonntagsZeitung: «Wir sollten eine Abschaffung der obligatorischen Kranken­versicherung in Betracht ziehen.»

77 Prozent der Befragten wollen am Obligatorium (eher) festhalten. Für nur 22 Prozent kommt eine Abschaffung infrage.

Das Obligatorium erhält Unterstützung aus allen politischen Lagern. Sogar die SVP-nahen Umfrage-Teilnehmenden wollen daran festhalten – 54 Prozent sind (eher) dafür, das Obligatorium beizubehalten. Auch die FDP-Wählerinnen und Wähler unterstützen das Obligatorium. Bei der Basis der GLP, Mitte, SP und Grünen ist die Sache mehr als klar: Das Obligatorium muss bleiben.

Budget-Krankenkasse hat schweren Stand

Einen Schritt weniger weit geht die FDP. So brachte sie diesen Sommer eine Budget-Krankenkasse ins Spiel. Dort wären die Leistungen gekürzt, dafür die Prämien tiefer.

Auf gänzlich taube Ohren stösst die FDP mit ihrem Vorschlag nicht: Immerhin 40 Prozent der Befragten könnten sich die Budget-Krankenkasse (eher) vorstellen. 55 Prozent sind jedoch (eher) dagegen.

Bei den FDP-nahen Umfrage-Teilnehmenden findet die Budget-Krankenkasse gar eine Mehrheit – 59 Prozent sind (eher) dafür. Auch eine Mehrheit der SVP-Basis ist (eher) für die Budget-Krankenkasse (55 Prozent). Die Wählerinnen und Wähler der anderen Parteien lehnen den Vorschlag ab.

Einkommensabhängige Prämien sind beliebt

Kommen wir zu den Vorschlägen, die bei der Bevölkerung Anklang finden. Eine Mehrheit der Befragten findet, die Krankenkassenprämien sollten vom Einkommen abhängig sein. 63 Prozent beantworteten die entsprechende Frage mit «Ja» oder «eher Ja». Geht es nach einer Mehrheit der Bevölkerung, sollen also diejenigen mehr Prämien bezahlen, die mehr verdienen.

Dies will auch die Grüne-Nationalrätin Manuela Weichelt. «Ein Milliardär zahlt heute für die Grundversicherung gleich viel wie eine Migros-Verkäuferin. Das ist doch absurd», sagte sie gegenüber dem «Blick». Sie reichte im Juni dieses Jahres eine entsprechende Motion ein. Der Bundesrat reagierte ablehnend und verwies auf die individuelle Prämienverbilligung, welche stattdessen gefördert werden solle.

Mehrheit will Kostendeckelung

Populär ist auch eine Kostendeckelung der Prämien. Dies fordert die SP mit ihrer Prämien-Entlastungs-Initiative. Demnach soll kein Haushalt mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben müssen.

Bemerkenswert: Sowohl Anhängerinnen und Anhänger der FDP als auch der SVP unterstützen die Deckelung. So sind 50 Prozent der FDP-Basis (eher) für die Kostendeckelung und 46 Prozent (eher) dagegen. Bei den SVP-Wählerinnen und -Wählern sind gar 59 Prozent (eher) dafür. Bei den restlichen Parteien ist die Unterstützung nochmals grösser.

Einheitskrankenkasse sehr populär

2014 erteilte die Schweizer Stimmbevölkerung einer Einheitskrankenkasse eine deutliche Abfuhr. Damals sprachen sich an der Urne 62 Prozent dagegen aus. Nun könnte sich der Wind gedreht haben. Laut der watson-Umfrage sind 79 Prozent der Bevölkerung für die Einführung einer Einheitskrankenkasse, bei der alle gleich grundversichert wären.

Die Einheitskrankenkasse ist nicht nur in linken Kreisen populär. Auch die Wählerinnen und Wähler aus dem bürgerlichen Lager befürworten die Idee. Sogar die FDP-Basis ist zu 58 Prozent (eher) dafür.

Bereits im Jahr 2017 gab es eine Umfrage zum Thema Einheitskrankenkasse. Damals gaben rund zwei Drittel der Bevölkerung an, diese zu unterstützen. Wie die watson-Umfrage zeigt, ist die Einheitskrankenkasse in den letzten sechs Jahren noch populärer geworden.

Die Diskussionen um eine Einheitskrankenkasse dürften nun wieder Fahrt aufnehmen. Vor rund zehn Tagen beschloss die SP an der Delegiertenversammlung, erneut eine Initiative dazu zu lancieren.

Trotz der deutlichen Umfragewerte ist es unsicher, ob die Einheitskrankenkasse an der Urne eine Mehrheit finden würde. Auch vor der Abstimmung im Jahr 2014 gab es eine Ja-Tendenz. Am Ende war die Ablehnung dann jedoch relativ deutlich.

Zur Methodik
Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit DemoSCOPE vom 29. August bis am 1. September in deutscher und französischer Sprache durchgeführt. Nach erfolgter Datenbereinigung lagen 9178 auswertbare Interviews vor. Diese wurden mittels Propensity-Score-Gewichtung an eine unverzerrte Grundgesamtheit angepasst, um dem Selbstselektionsbias entgegenzuwirken und aussagekräftigere Resultate zu erzielen. Zusätzliche wurde eine Gewichtung der Ergebnisse anhand der Partei-Sympathie vorgenommen. Unter der Annahme einer Zufallsstichprobe beträgt der maximale Fehlerbereich für Prozentangaben 1,0 Prozent. Die Umfrage wurde online auf watson.ch durchgeführt.
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389 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nick_
06.09.2023 06:44registriert November 2015
Die Einheitskasse weckt falsche Erwartungen von massiv tieferen Prämien. Es gibt aktuell 49 Krankenkassen schweizweit. Bei der Einheitskassen würde es wahrscheinlich (wie bei der AHV) jeweils 26 kantonale eigenständige Verwaltungseinheiten geben (Gesundheitswesen ist mehr kantonlastig).
Aktuell berträgt der Verwaltungskostenanteil an den KK-Prämien 5.2%. Selbst wenn man diese halbieren könnte mit der Einheitskasse, betrüge das Sparpotenzial lediglich Fr. 8.50 im Monat (durchschnittlich bei Erwachsenenprämien). Reicht dieses Sparpotenzial um das System radikal zu ändern?
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Fred-Flintstone
06.09.2023 05:58registriert Juni 2023
Macht Sinn, weil ja vorallem die Krankenkassen schuld sind an den hohen Prämien.

Die meisten Teilnehmenden dieser Umfrage würden vermutlich auch befürworten, die Leistungen für Fitnessabos oder Massage zu kürzen um einen Prämienanstieg zu verhindern.

Nein, ganz im ernst: Solange die Leistungskosten weiterhin in diesem Tempo steigen, wird kaum eine Besserung in Sicht sein. Und es sind alle Akteure in der Verantwortung eine Lösung zu finden. Von dem Spitälern über die Pharme bis hin zu den Kantonen und zum Bund. Eine landesweite Planung der Spitalinfrastruktur wäre dabei ein Anfang..
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Le French
06.09.2023 05:44registriert Juli 2019
Bevor ich entscheide, ob die Prämien abhängig sein sollen vom Einkommen, möchte ich zuerst sehen, welche Gesundheitskosten die einzelnen Lohnstufen verursachen.
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