Die Resultate der watson-Umfrage sind bemerkenswert. Fast vier Fünftel der Bevölkerung befürworten die Einführung einer Einheitskrankenkasse. Zudem wollen 88 Prozent das aktuelle System reformieren. Wie ordnen Politikerinnen und Politiker das deutliche Resultat ein?
Trotz des Ergebnisses findet FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt eine Einheitskrankenkasse «keine gescheite Idee». «Ich verstehe nicht, weshalb man anderen eine Krankenkasse aufzwingen will. Und ich glaube nicht, dass eine Staatskasse günstiger würde als die günstigste Krankenkasse, die heute auf dem Markt ist», sagt Silberschmidt. Er sei überzeugt, dass man eine Mehrheit der Menschen davon überzeugen könne. «Die Schweizer Bevölkerung will keine Staatskasse.»
«Halbwegs überrascht» vom Ergebnis zeigt sich auf Anfrage Céline Amaudruz, SVP-Nationalrätin und Präsidentin der Gesundheitskommission. Sie sei überrascht, weil die Bevölkerung bereits einmal gegen eine Einheitskasse gestimmt habe. Aber gleichzeitig sei sie nicht erstaunt, weil die «Bevölkerung heute unabhängig von der Parteizugehörigkeit unter den hohen und ständig steigenden Krankenkassenprämien leidet».
Amaudruz sagt: «Die Bevölkerung redet sich nun ein, dass die Einheitskasse die Lösung ist.» Die Präsidentin der Gesundheitskommission fordert deshalb, dass «Politiker nicht mehr die Meinung ihrer Partei über alles stellen, sondern gemeinsam Lösungen für die Bevölkerung» finden.
Die SVP-Nationalrätin schlägt daher einen neuen «Unterausschuss» vor, mit allen beteiligten Akteuren. Sie sagt: «Wir müssen von Grund auf neu anfangen. Die Situation ist für die Haushalte nicht mehr tragbar.»
Im Jahr 2014 scheiterte eine Initiative zur Einheitskrankenkasse mit 62 Prozent Nein-Stimmen. Doch es könnte zu einem Comeback kommen: So plant die SP, erneut eine Initiative für eine Einheitskasse zu lancieren.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sagt gegenüber watson: «Es ist sinnlos, dass alle privaten Krankenkassen um dasselbe streiten und dafür Millionen an Verwaltungs-, Personal- und Werbekosten ausgeben.» Mit einer Einheitskrankenkasse würden diese Ausgaben zu einem Grossteil wegfallen.
Auch Grüne-Nationalrätin Manuela Weichelt will jetzt aktiv werden. Gegenüber watson sagt sie: «Ich werde in der Herbstsession einen Vorstoss dazu machen oder bei der Parteileitung anregen, eine Initiative für eine Einheitskasse zu lancieren. Die Schweizer Bevölkerung will eine Staatskasse, aber das Parlament tut sich schwer damit.»
Wenig Zustimmung erhalten die Gedankenspiele der Zürcher SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli – sie regte an, über die Abschaffung des Krankenkassen-Obligatoriums nachzudenken. Laut der watson-Umfrage sind jedoch nur 22 Prozent der Bevölkerung für eine Abschaffung.
Die Ergebnisse überraschen den Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt nicht: «Dieses Vorhaben ist nicht realistisch und es würde auch keine Probleme lösen.»
Noch deutlicher formuliert es die Zuger Grüne-Nationalrätin Manuela Weichelt: «Die Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung wäre ein soziales Desaster. Man sieht bei Ländern, die sie nicht haben, dass die ärmere Bevölkerung oder der untere Mittelstand oft von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind.»
Was sagt Natalie Rickli zu den deutlichen Umfrageresultaten? Auf Anfrage von watson schreibt die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich:
Am wenigsten sind sich die Befragten über die Einführung einer Budget-Krankenkasse einig, wie sie die FDP fordert. Mit 55 Prozent ist eine knappe Mehrheit dagegen. Andri Silberschmidt freut sich über die 40 Prozent, welche eher oder ganz dafür sind: «Fast die Hälfte will eine Budget-Krankenkasse. Wenn wir den anderen erklären können, dass sie bei einer Einführung nicht betroffen sind, sehe ich gute Chancen für das Anliegen.»
Heute müsse man alle Leistungen aus der Grundversicherung bezahlen. «Einige wollen gewisse Sachen nicht versichern und dafür weniger Prämien bezahlen. Das würde gerade den Mittelstand entlasten», sagt Silberschmidt.
Anders interpretiert Grüne-Nationalrätin Manuela Weichelt die Ergebnisse zur Budget-Krankenkasse: «Die Ergebnisse zeigen, dass die Bevölkerung keine Zweiklassenmedizin will, wie sich die FDP das wünscht.» Für Weichelt zählt das Argument, jeder könne sich freiwillig für eine Budget-Krankenkasse entscheiden, nicht:
Wenn jemand knapp über dem Existenzminimum lebe, sei die Gefahr gross, die Budget-Kasse abzuschliessen, um Prämien zu sparen. «Wenn sie dann aber ernsthaft krank werden, fehlen ihnen gewisse Leistungen aus der Grundversicherung. Diese Kosten können sie selbst nicht tragen, es gibt eine Entsolidarisierung», sagt Weichelt.
Ein anderer Lösungsvorschlag kommt von der SP mit der Prämien-Entlastungs-Initiative. Sie fordert, dass die Krankenkassenprämien bei 10 Prozent eines Haushaltseinkommens gedeckelt werden. Zu diesem Anliegen sagen 69 Prozent der Befragten eher Ja oder Ja.
Ein Ergebnis, das die SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer nicht überrascht. Sie sagt: «Es geht bei unserer Initiative um eine Korrektur dieser unsozialen Kopfprämie, bei der eine Managerin gleich viel für die Krankenkasse bezahlt wie eine Kita-Mitarbeiterin.» Aktuell würden im Schnitt 14 Prozent des Einkommens für die Krankenkasse ausgegeben. «Wir müssen deshalb vor allem Familien und Personen mit tiefen und mittleren Einkommen entlasten», sagt Meyer.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt stellt die 10-Prozent-Deckelung infrage: «Prämien sollten nicht zu hoch sein. Doch dagegen gibt es die Prämienverbilligung der Kantone, welche bereits einem Drittel der Bevölkerung zugutekommt.» Dieses System solle man beibehalten für jene, die es wirklich benötigen würden.
Grüne-Nationalrätin Manuela Weichelt hat im Juni einen Vorstoss für einkommensabhängige Prämien eingereicht. Sie forderte eine stärkere Finanzierung der Krankenkasse über die Steuern. Und: einen Systemwechsel durch die Abschaffung der Kopfprämien. Ende August hat der Bundesrat empfohlen, den Vorstoss abzulehnen. Begründet wurde dies mit der Prämienverbilligung. Damit existiere schon heute «ein sozialpolitisches Korrektiv zur Kopfprämie». Einen Systemwechsel erachte der Bundesrat als «nicht angezeigt».
Für einkommensabhängige Prämien sprachen sich jedoch 63 Prozent der Befragten aus. Eine Minderheit ist mit 12 Prozent komplett dagegen, weitere 23 Prozent sagen eher Nein.
Weichelt sagt: «Der Mittelstand profitiert nicht von der Prämienverbilligung und die Kantone versuchen vermehrt, sich aus der Finanzierung herauszuschleichen. Es ist ein Fakt, dass seit 2012 zehn Kantone stetig weniger Prämienverbilligung bezahlen. Darunter auch der reiche Kanton Zug.» Einkommensabhängige Prämien seien eine wirksame Lösung gegen die zu starke Belastung der Haushalte. Und: «Das System kennen wir bereits bei der Unfallversicherung.»
«Die Menschen wollen nicht, dass ein Milliardär gleich viel für die Krankenkasse bezahlt wie eine Verkäuferin in der Migros», sagt Weichelt zu den Ergebnissen. Für sie sei klar: Es brauche einen Systemwechsel.